Der Hafenplatz in Kreuzberg beheimatete einst die „Alte Berliner Philharmonie“. Heute ist er geprägt von Plattenbauten, die über 300 Mietparteien ein Zuhause geben. Seit Jahren planen private Eigentümer hier das „Kulturhafen-Projekt“ – inklusive Abriss. Die Mieter:innen, darunter auch einige unserer Mitglieder, fürchten Verdrängung und müssen zusehen, wie der bestehende Gebäudekomplex verfällt.
358 Wohnungen und 361 gewerbliche Einheiten befinden sich derzeit in dem Gebäudeensemble Hafenplatz in Laufnähe zum Potsdamer Platz. Während in der Umgebung moderne Architektur mit horrenden Miet- und Kaufpreisen dominiert, verfällt der einstige Sozialbau mit derzeit noch moderaten Mieten. Geplant ist die Entwicklung eines neuen Quartiers durch Abriss und Neubau. Mieter:innen beklagen das seit Jahren öffentlich. Das Bezirksamt hat Unterstützungsbereitschaft bekundet und das Beratungsbüro Asum (Angewandte Stadtforschung und Mieterberatung) beauftragt. Es soll verschiedene Modelle von Abriss bis Umbau prüfen und herausfinden, wie der Ort instand gesetzt und die Mieter:innen geschützt werden können.
Massive Mängel und fehlerhafte Abrechnungen
Der Plattenbaukomplex entstand in den 1970er Jahren, auch ein Studierendenwohnheim ist Teil der Anlage. Heute sind die einst modernen Gebäude veraltet und zum Teil verfallen, die Zustände für viele Menschen im Wohnblock katastrophal: Schimmel an den Wänden, Wasserschäden, marode Fenster und Rattenplagen gehören für die Bewohnenden zum Alltag. In dem gesamten Ensemble leben laut der Anwohner:inneninitiative „Mieter*innenvernetzung Hafenplatz“ rund 1.500 Menschen, darunter langjährige Mieter:innen, ukrainische Geflüchtete und nach ASOG untergebrachte Personen. Für die Menschen aus der Ukraine sucht der Bezirk seit geraumer Zeit eine alternative Unterkunft – bislang vergeblich.
Im April erhielten mehrere Wohnparteien zudem Schreiben über angebliche Zahlungsrückstände von bis zu 5.200 Euro. Die Hausverwaltung hat inzwischen Irrtümer eingeräumt, aber eine Entschuldigung oder ein Rückrufschreiben blieben aus. Der Fehler war kein Einzelfall: Wir betreuen einige Mieter:innen und unsere Rechtsberater:innen haben schon bei früheren Abrechnungen exorbitant hohe Kosten und unzulässige Umlagen festgestellt.
Die Eigentumsverhältnisse und Pläne
Der Vermieter zeigt an der Not der Mieter:innen wenig Interesse. Das Objekt ist weitgehend in privater Hand und hat bereits mehrere offizielle Eigentümerwechsel erlebt. 2016 kaufte die Grundstücksgesellschaft Hafenplatz Berlin mbH die Grundstücke. Sie gehört zur Artprojekt Gruppe. Die Gesellschaft plante seit 2018, ein grünes Quartier mit einer Mischung aus Gewerbe, bezahlbarem Wohnen und Kultur zu entwickeln, und begann dafür rasch mit einem „Entmietungsprogramm“. Der Teilabriss war bereits geplant, obwohl noch nicht einmal eine Baugenehmigung vorlag. Noch im März 2022 liefen rund 80 behördliche Verfahren wegen widerrechtlichen Leerstands.
Der Bodenwert hat sich verfünffacht
Zwischenzeitlich ging der Hafenplatz mehrfach über den Ladentisch: 2020 weiter gereicht, vermutlich über einen Share Deal, der keine Grunderwerbsteuer erfordert, an die Hedera Bauwert GmbH. Die plante bereits eine deutlich verdichtete Bebauung. Der Bodenrichtwert hat sich seit dem Ankauf von Artprojekt 2016 etwa verfünffacht. Anfang 2021 ging das Grundstück dann an die Gamma Invest Berlin GmbH. Ihr Eigentümer Ioannis Moraitis ist gleichzeitig Geschäftsführer. Die zuletzt gegründete Entwicklungsgesellschaft Quartier am Hafenplatz gehört zu 75 Prozent Artprojekt Real Estate, aber auch Hedera Bauwert ist neben Moraitis weiterhin beteiligt.
Verträge mit einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft vertraulich
Das von ihnen nun geplante Projekt Kulturhafen soll ein „vielfältiges, sozial ausgewogenes und ökologisches Innenstadtquartier“ schaffen. Die bestehenden Gebäude will die Gesellschaft dafür abreißen lassen und durch höhere Neubauten ersetzen, die zu 60 Prozent aus Wohnungen und zu 40 Prozent aus gewerblichen Einheiten bestehen. Die Zahl der Wohnungen soll auf bis zu 900 steigen. Umgesetzt werde das Projekt jedoch nicht allein, sondern in Kooperation mit dem landeseigenen Wohnungsunternehmen Gewobag. Der Abgeordnete Niklas Schenker (Die Linke) forderte vom Senat Einsicht in die vertraglichen Regelungen zwischen der Eigentümerin und der Gewobag. Diese seien jedoch vertraulich. Es gebe aber eine neue Projektidee, die von einer höheren Baumasse ausgeht. Ein höherer Verwertungsdruck durch steigende Bodenpreise ist zu erwarten, was den Bezirk unter Druck setzen könnte.
Der Bezirk betonte mehrfach, dass er das Projekt frühestens dann genehmigen wolle, wenn die Zukunft der Bewohner:innen gesichert sei. Für die Eigentümerin eine Misere, die bis heute besteht. Die Anwohner:inneninitiative warnt seit Monaten davor, dass viele Menschen, abhängig von ihrem Mietvertrag, bei Abriss und Neubau ihr Zuhause verlieren.
Szenarien für die Zukunft der Mieter:innen
Die vom Senat beauftragte Agentur Asum berät die Mieter:innen schon seit Jahren vor Ort und kümmert sich aktiv um ihre Belange. Ihrer Auffassung nach bestehen drei Möglichkeiten:
- Erhalt des Bestands: Bei Verzicht auf Abriss würde die Bausubstanz weiter verfallen. Asum kommt zu dem Ergebnis, dass dies die Wohnverhältnisse der Mieter:innen weiter verschlechtern würde, auch wenn es den Wohnraum erhält. Dieses Szenario sei nicht wünschenswert.
- Teilsanierung und Teilabriss: Dieses Modell könnte alten Wohnraum erhalten und neuen schaffen: Bestehende Apartments werden instand gesetzt und bleiben zu Mietspiegelkonditionen bezahlbar. Die Mieterberatung Asum favorisiert diese Variante.
- Abriss und Neubau: Dieses Szenario berge das größte Verdrängungsrisiko und sei nur denkbar, wenn der Verbleib der Mieter:innen zuverlässig verhandelt und vertraglich festgeschrieben würde. Obwohl die Architekt:innen rund 200 zusätzliche Wohnungen in Aussicht gestellt haben, favorisiert Asum diese Variante nicht, weil die Bestandsmieter:innen einem großen Risiko ausgesetzt sind.
Stellungnahme des Bezirks
Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, betont weiterhin, dass alle Mieter:innen im Quartier die Möglichkeit zum Bleiben haben müssen. Bei einem Komplettabriss soll ein gesichertes Sozialplanverfahren die Mieter:innen innerhalb der alten und neuen Bauten umsiedeln.
Der Bezirk plant noch in diesem Sommer eine zusätzliche Erhebung über die Sozialstruktur vor Ort sowie eine erneute Mieter:innenversammlung mit uns und der Asum. Bereits 2019 gab es eine Versammlung zu den inzwischen veralteten Plänen. Vor Ort wollen wir die Mieter:innen umfassend zu ihren Rechten und Möglichkeiten beraten.
Kritische Betrachtung und nächste Schritte
Die Bürgerinitiative fordert, dass ein Bebauungsplan erst erstellt wird, wenn der Verbleib aller Mieter:innen vertraglich gesichert ist. Doch die Herausforderungen für den Bezirk sind groß. Es bedarf einer intensiven Vermittlungs- und Kommunikationsarbeit, um sowohl eine bedürfnisgerechte Lösung für die Mieter:innen zu finden, als auch eine zukunftsfähige Entwicklung des Quartiers zu ermöglichen – ohne Menschen aus ihrem Zuhause und Umfeld zu verdrängen. Zum Abrissvorhaben steht noch ein öffentliches Fachgespräch mit dem BVV-(Bezirksverordnetenversammlungs)-Ausschuss für Stadtentwicklung aus. Es existiert bereits ein Bausubstanzgutachten, das allerdings nicht vom Bezirksamt stammt und offenbar den Abriss nahelegt.
Unser Geschäftsführer Sebastian Bartels sagt dazu: „Wir fordern, dass auch die Möglichkeit eines kompletten Erhalts des Gebäudekomplexes umfassend geprüft wird, damit die Mieter:innen möglichst in ihrem Wohnumfeld ohne lange Umsetzungen verbleiben können. Selbstverständlich fordern wir von der Eigentümerin zudem, dass bis zu einer Entscheidung das Haus ordnungsgemäß instand gehalten und bewirtschaftet wird. Wir ermutigen die Mieter:innen dazu, ihre Rechte zu nutzen, gegebenenfalls auf Instandsetzung sowie Mängelbeseitigung zu klagen und Mietminderungen geltend zu machen.“
Vera Colditz
24.06.2024