Eine Reinickendorfer Wohngemeinschaft kämpfte jahrelang für den Erhalt ihres Zuhauses und einigte sich am Ende vor Gericht doch auf den Auszug zum Ende des Jahres 2022. Wir haben mit Lisa über ihre Geschichte und das Gefühl, verdrängt zu werden gesprochen. Ein Hausbesuch.
An einem Sonntagabend im Januar bin ich mit Lisa verabredet. Wir wollen über den vierjährigen Rechtsstreit mit ihrem Vermieter zum Erhalt ihrer WG sprechen. Bei der Begrüßung erfahre ich, dass Lisa gerade von der Unterzeichnung eines Untermietvertrages für eine Wohnung kommt, in der sie von Februar bis Ende März bleiben kann. Bis dahin kommt sie bei Freunden unter. „Frisch nach dem Studium und mitten im Übergang zum Berufsleben ist es gar nicht so leicht, sich auf Wohnungen zu bewerben“, sagt Lisa. Aber immerhin hat sie ab Februar einen Job, der Vertrag ist unterschrieben und ihr neuer Arbeitgeber hat ihr eine zusätzliche Bestätigung für potenzielle Vermieter:innen ausgestellt. Die Hoffnung, zeitnah eine unbefristete Wohnung zu finden, stirbt zuletzt.
Der Streit um Untervermietung
Lisas Kampf um ihre WG steht exemplarisch für zahlreiche Wohngemeinschaften, die bereits verdrängt wurden, oftmals nach Eigentümer:innenwechsel. Angefangen hat alles vor fünf Jahren mit einer Ausgangslage, die nicht ungewöhnlich für große Studierenden-WGs ist: Einzelne Mitbewohner:innen ziehen aus, neue ein. So war es auch bei Lisa, die Ende 2016 in die bereits seit 2014 bestehende WG in Reinickendorf zog. „Das war kein Problem, es bestand ein guter Draht zur Hausverwaltung. Die Zusage zur Untervermietung erhielten wir immer telefonisch“, berichtet Lisa. Als sie 2017 neue Hauptmieterin wurde, forderte Lisa auf Empfehlung aus ihrem privaten Umfeld auch eine schriftliche Bestätigung zur Untervermietung an eine neue WG-Bewohnerin an. „Die Untervermietung wurde zunächst ohne Weiteres weiter akzeptiert, doch ein Jahr später teilte uns die Hausverwaltung plötzlich mit, dass der Eigentümer den anstehenden Untermieter:innenwechsel für gleich zwei Zimmer ablehnte.“ Das Unverständnis war groß, denn die Untervermietung der WG-Zimmer war lang gelebte Praxis. Statt eine Begründung für die Ablehnung zu liefern, stellte der Eigentümer die WG vor eine rechtlich eigentlich nicht zulässige Entscheidung, die sich wie ein Rausschmiss auf Zeit anfühlte: Entweder sie wohnen nur noch zu dritt in der WG oder sie zahlen pro Untermieter:in freiwillig einen Zuschlag von 150 Euro monatlich, führen Schönheitsreparaturen durch und stimmen einer Befristung des Mietverhältnisses bis 2021 zu.
Wenn das Spielen auf Zeit zu einer Zwangslage führt
Lisa und der zweite Hauptmieter waren zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied bei uns und legten nach Beratungen Widerspruch beim Eigentümer ein. Eine Reaktion darauf blieb aus. „Sein Spielen auf Zeit war für uns ein richtiges Problem“, sagt Lisa. „Wir hatten enormen Zeitdruck. Schließlich bestand die Gefahr, dass wir ohne neue Untermieter:innen auf den Mietzahlungen sitzen bleiben. Wir studierten zu dieser Zeit alle noch und konnten uns das schlicht nicht leisten.“ Da der Eigentümer bis zum Ende der gesetzten Frist nicht reagierte, entschieden sich Lisa und ihre Mitbewohner, die beiden neuen Untermieter:innen wie geplant einziehen zu lassen. Bestärkt worden seien sie durch eine erneute rechtliche Beratung, in der sie erfuhren, dass eine fehlende Reaktion als stillschweigende Zustimmung erachtet werden kann. Ein Richter fügte im späteren Gerichtsverfahren hinzu, dass der Eigentümer die WG durch die fehlende Aussage wissentlich in eine unzumutbare Zwangslage gebracht hat.
Erst Stillschweigen, dann die fristlose Kündigung inklusive Räumungsklage
Kurze Zeit später folgte der Schock: Der Vermieter sprach eine fristlose Kündigung wegen unerlaubter Untervermietung aus und drohte mit einer Räumungsklage. „Ich empfehle allen, sich hier nicht zu schnell einschüchtern zu lassen und sich stattdessen eine Beratung zu suchen“, sagt Lisa. Auf rechtliches Anraten ignorierte die WG die Kündigung – eine fristlose Kündigung ist schließlich nicht so einfach möglich. Doch es folgte die angedrohte Räumungsklage, auf die die WG mithilfe ihres Anwalts mit einer Klageerwiderung und einer zusätzlichen Gegenklage reagierte. „Das Ziel war, wieder eine dauerhafte Erlaubnis für die Untervermietung zu erreichen. Die Klageerwiderung kann nur die Abwendung der Kündigung bringen. Das allein hätte noch nicht dazu geführt, im Anschluss wieder sorgenfrei untervermieten zu dürfen.“ In dieser Zeit gab es zudem Versuche der Wohngemeinschaft, sich außergerichtlich mit dem Vermieter zu einigen – diese scheiterten.
Die erste Verhandlung vor Gericht
Am 5. Februar 2020 kam es zum ersten Gerichtstermin. „Unser Vermieter hatte uns bis dahin mehrfach fristlose Kündigungen ausgesprochen“, berichtet Lisa. Der Termin sei ein grober Versuch gewesen, einen Vergleich auszuhandeln. Ohne Erfolg. „Der Eigentümer beharrte darauf, dass höchstens vier Personen in der Wohnung wohnen, weshalb wir uns gezwungen sahen, den Deal abzulehnen.“
Ein halbes Jahr verging, bis das Amtsgericht unerwartet ein Teilurteil zustellte. Es gab dem Eigentümer in einem Punkt Recht: Die Wohngemeinschaft hätte nach der ausbleibenden Reaktion des Eigentümers weitere Untervermietungen offiziell ankündigen müssen – das tat sie nicht. Der Anwalt der WG sah in einem solchen Teilurteil jedoch einen Formfehler und legte Widerspruch bei der nächsthöchsten Instanz, dem Landgericht ein – er bekam Recht und das Verfahren ging wieder ans Amtsgericht zurück.
Nach langem Hin und Her folgt der Deal mit „freiwilligem Auszug“ – trotz größerer Teilschuld des Vermieters
Die gerichtliche Auseinandersetzung zog sich über mehrere Jahre. „Wir steckten lange in einer Grauzone, in der wir nicht so richtig handlungsfähig waren. Es war aber auch klar, dass wir die Zimmer nicht leer stehen lassen und für die Kosten aufkommen können“, fasst Lisa zusammen. Das Ausharren war kräftezehrend. Über die Jahre hat sich auch Lisas Lebenssituation verändert, es wuchs der Wunsch, auszuziehen. „Mir war klar, dass der Eigentümer nach meinem Auszug als Hauptmieterin erst recht keinen Wechsel mehr erlauben würde.“ So einigte man sich vor Gericht darauf, dass alle bis zum 15. Dezember 2022 ausziehen und bis dahin die Untervermietung erlaubt sei. Die Richterin entschied darüber hinaus, dass der Vermieter insgesamt eine größere Teilschuld trage und deshalb einen größeren Anteil der Prozesskosten übernehmen muss. Immerhin.
Entmietung mit System
Der Streit ist offiziell beigelegt, der Ärger bleibt: „Letztlich ging es wohl um systematische Entmietung“, sagt Lisa. Auch in der Wohngemeinschaft eine Etage über ihnen mussten alle Bewohner:innen nach einem gewünschten, aber plötzlich nicht mehr genehmigten Hauptmieter:innenwechsel gehen. Die Wohngemeinschaft unter ihnen ist mittlerweile ebenfalls raus. „Irgendwann haben wir mitbekommen, dass der Eigentümer auch noch das Haus nebenan besitzt. Seitdem vermuten wir, dass er die Wohnungen in diesem Haus Stück für Stück verkauft. Leer sind die mehr wert.“ Der Verdacht bekräftigte sich, als in die Wohnung über der WG eine Familie aus dem anderen Haus einzog. Mittlerweile leben im Vorderhaus nur noch ein älteres Ehepaar und die umgesetzte Familie – drei Wohnungen stehen leer. „Dann gibt es da noch die Wohnung neben uns – die steht seit sieben Jahren leer“, sagt Lisa. Sie hatte die Wohnung in der Zeit des Streits mehrmals beim Senat wegen Zweckentfremdung gemeldet. Doch passiert ist nichts.
Kein leichtfertiger Rückzug
Die WG ist nicht leichtfertig gegangen. Sie hat gekämpft und immer wieder Wege für weitere Schritte gefunden. Neben all dem Ärger sind Lisa und ihre ehemaligen Mitbewohner:innen zumindest froh darüber, dass sie dank ihres langen Atems und der gewonnenen Expertise noch mehrere Jahre in ihrer WG wohnen konnten. Dass der Eigentümer seit dem Rechtsstreit um jede Reparatur einen großen Wind gemacht hat und persönlich geworden ist, lässt außerdem vermuten, dass er sich das Ganze einfacher vorgestellt hatte. Dem etwas entgegenzusetzen ist wichtig, denn vielleicht sind nicht alle Eigentümer so vehement in ihrem Vorhaben, Mieter:innen auf Biegen und Brechen loszuwerden. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Vera Colditz hat mit Lisa gesprochen.
Tipp: Finanzielle Unterstützung vom Senat
Im Fall von Lisa hat geholfen, dass die Wohngemeinschaft den rechtlichen Beistand zum Teil über die Rechtsschutzversicherung der Hauptmieter:innen finanzieren konnte. Die Untermieter:innen stellten darüber hinaus einen Antrag auf Prozesskostenhilfe. „Es ist wichtig zu wissen, dass der Senat Haushalten mit geringem Einkommen, darunter auch Studierenden, finanziell hilft“, sagt Lisa. Ohne Versicherung oder Unterstützung übersteigen die meist schwer überschaubaren Gerichts- und Anwaltskosten schnell die Belastbarkeitsgrenze der betroffenen Mieter:innen. Weitere hilfreiche Informationen finden Sie außerdem hier.
19.01.2023