Die Umgestaltung des Hermannplatzes sorgt seit Jahren für Schlagzeilen. Jetzt hat der Senat ein Beteiligungsverfahren eingeleitet. Doch die Bürger:innen fühlen sich weder gut informiert noch ernst genommen.
„Stoppt den Prozess, stoppt den Prozess!“ Die Botschaft an die Veranstalter:innen war eindeutig. Anfang November startete der Senat das Bürger:innenbeteiligungsverfahren zur Umgestaltung des Hermannplatzes an der Grenze der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Die Auftaktveranstaltung in Huxleys Neue Welt sollte nach Auffassung des Senats der Grundlagenermittlung dienen, um frühzeitig den Beteiligungsprozess in die Wege zu leiten. Doch die anwesenden Bewohner:innen sahen das anders: Sie kritisierten nicht nur, dass der geplante Prozess intransparent, sondern vor allem auch, dass er nicht ergebnisoffen sei, da wichtige Vereinbarungen längst getroffen wurden. Die Initiative Hermannplatz spricht von einer Scheinbeteiligung.
Senat unterschrieb bereits 2020 eine Absichtserklärung
Pläne, den Hermannplatz neu zu gestalten, gibt es schon länger. Anfang 2019 legte das österreichische Immobilienunternehmen Signa seine Pläne vor. Dem Unternehmen gehören das Karstadt-Haus am Hermannplatz sowie weitere ehemalige Karstadt- und Kaufhof-Warenhäuser. Zunächst wollte Signa das bestehende Gebäude am Hermannplatz abreißen und im alten Stil der 1920er Jahre mit zwei 56 Meter hohen Türmen und einer Dachterrasse in 32 Metern Höhe wieder aufbauen. Aus dem Kaufhaus soll eine gemischt genutzte Immobilie mit Wohnungen, Büros und Handel werden. Bereits im August 2020 unterzeichnete der Senat eine – von der Initiative Hermannplatz kritisierte – Absichtserklärung mit der Signa Holding. Die Unternehmensgruppe erhielt für die Zusage, den Betrieb von drei Karstadt-Standorten in Berlin um drei bis fünf Jahre weiterzuführen, umfangreiche Zusagen für neue Bauvorhaben am Alexanderplatz, am Kurfürstendamm – und am Hermannplatz.
Doch gegen die bombastischen Pläne für den Neubau am Hermannplatz regte sich Widerstand. Die vehemente Gegenwehr der Stadtgesellschaft hatte zur Folge, dass Signa den Abrissplan im Frühjahr verwarf. Stattdessen will Signa nun die Stahlbetonstruktur des Gebäudes erhalten, sanieren und das Gebäude um zwei Etagen aufstocken. Die Wiedererrichtung der Türme im Erscheinungsbild des Ursprungsbaus aus den 1920er Jahren soll nun in „innovativer Holzbauweise“ erfolgen. Entstehen soll die Mischnutzung aus Kaufhaus und Kulturort, darunter Räume zur öffentlichen Nutzung, 50 bis 100 Kita-Plätze und ein begehbares Dach als öffentlicher Erholungsraum. Für ein an den Komplex angrenzendes Wohngebäude ist die Sanierung und Vermietung zu bezahlbaren Preisen vorgesehen. Das öffentlich formulierte Ziel der Signa: Arbeitsplätze der Warenhaus-Mitarbeiter:innen erhalten und den Standort „aufwerten“.
Die Mieten ziehen seit Jahren an, die Angst vor Verdrängung steigt
Viele Anwohner:innen und Kleingewerbetreibende überzeugt dieser Plan ganz und gar nicht. Darum gründeten sie die Initiative Hermannplatz. Im Kiez um den Hermannplatz steigen die Mieten bereits seit einigen Jahren und einige Bewohner:innen mussten bereits wegziehen. Der unweit gelegene Kiez Kreuzkölln und seine (ehemaligen) Bewohner:innen wissen, was „Aufwertung“ und Stadterneuerung für die Menschen bedeutet.
Senat und Investor präsentieren sich als Chef-Verhandler, sprechen von „Partizipation“ und „Nachhaltigkeit“. Doch wie ist es genau um diese beiden Punkte bestellt und wer hat echte Folgenabschätzung für Menschen und Kiez betrieben? Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel meint, der Hermannplatz sei ein sozialer Brennpunkt. Für die Anwohner:innen und Beschäftigten ist er ein Platz zum Arbeiten und Leben, zum Einkaufen und Umsteigen, er ist ihr Zuhause, ihr Kiez und das Tor nach Neukölln.
Wut über fehlende Transparenz und eine Scheinbeteiligung
Die Kritik bezieht sich nicht allein auf das ambitionierte Bauvorhaben der Signa. Vielmehr sind sie erschüttert über das Handeln des Berliner Senats. Florian Schmidt, Grüner-Bezirksstadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg, hatte sich gegen Gespräche mit dem Investor gesträubt und seine Zusammenarbeit verwehrt. Doch Neuköllns ehemalige Bezirks- und designierte Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), ist vehemente Befürworterin des Projekts. So kommentierte sie es auf einer Presseveranstaltung mit dem Investor schlicht mit „Wow“. Und auch ihr Parteikollege und Nachfolger in Neukölln, Martin Hikel, sieht in dem Projekt große Potenziale für eine „positive Entwicklung“ des Standortes, die dringend nötig sei. Sebastian Scheel (Die Linke), scheidender Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, unterstützt das Vorhaben ebenfalls, fordert aber die Bürger:innenbeteiligung nach den seit 1. Oktober geltenden Leitlinien.
Viele Bürgerin:innen fragen sich, was ein solches Beteiligungsverfahren bringen soll, da der Senat die Absichtserklärung mit Signa bereits unterzeichnet hat. So kann das Unternehmen auf eine zügige Umsetzung nach seinen Wünschen pochen, was einer gerechten Abwägung zwischen den Interessen der Stadtgesellschaft und denen von Signa im Wege steht. Da in diesen Bebauungsplänen auch Instrumente zur Verfahrensbeschleunigung aufgeführt sind, könnte dies eine echte Partizipation der gesellschaftlichen Interessengruppen blockieren.
Die Anwohner:inneninitiative bemängelt am Beteiligungsverfahren vor allem die fehlende Transparenz, die eigentlich eines der Kernziele der neuen Leitlinien ist. Die Leitlinien hat der Berliner Senat für Stadtentwicklung und Wohnen von 2017 bis 2019 erarbeitet, um die Interessen der Bewohner:innen besser aufnehmen und einbringen zu können und ihre Beteiligung im Prozess zu sichern. Doch nach der öffentlichen Informationsveranstaltung in Huxleys Neue Welt Anfang November sind fünf Workshops vorgesehen, die nicht öffentlich sind.
Mehr noch: In der Veranstaltung beklagten Sprecher:innen, dass auch vollkommen unklar ist, wer aus welchen Gründen zu den Workshops eingeladen wurde. Genauso wenig sei bislang kommuniziert, mit welcher Zielausrichtung die Diskussionen laufen sollen, wie Ergebnisse dokumentiert und für die Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Die Anforderungen an eine echte Beteiligung sehen die Bewohner:innen nicht erfüllt. Daher fordern sie: „Stoppt den Prozess!“
Im Schatten des Millionen-Plans
Die Bewohner:innen sehen nicht, wie mit den jetzigen Plänen das Warenhaus und damit die Jobs erhalten und gleichzeitig die Interessen der Bewohner:innen am Standort gewahrt bleiben. Sie fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Das Vertrauen hat die Stadtentwicklungsverwaltung wohl schon vor dem Start des Verfahrens gänzlich verspielt. Nicht nur, weil sie ihren Handlungsspielraum bereits vorab mit der Absichtserklärung eingeschränkt hat, sondern auch, weil sich Politiker:innen im Vorfeld öffentlich mit dem Vorhaben solidarisiert haben und der Beteiligungsprozess damit von Beginn an im Schatten des Millionen-Plans eines Investors steht.
17.12.2021