Die Mieter:innen der Hermannstraße 48 kämpfen um ihr selbstverwaltetes Hausprojekt. Die rechtliche Auseinandersetzung des Bezirks Neukölln mit dem Verkäufer könnte dies nun gefährden. Aufgeben kommt für die Mieter:innen der H48 nicht infrage! Sie kündigen ihren Widerstand an – trotz aller Sorgen um ihre Wohnungen.
Die niederschmetternde Botschaft fanden die rund 140 Mieter:innen der Hermannstraße 48 zum Jahresbeginn 2021 in ihren Briefkästen: Ihr Hausensemble soll verkauft werden. Neukölln ist einer der Bezirke, der Mieter:innen in Milieuschutzgebieten schnellstmöglich über Hausverkäufe informiert und sie im Prüfungsverlauf des Vorkaufsrechtverfahrens mitnimmt. Denn dass geprüft wird, steht in Neukölln außer Frage. Wegen der Entwicklungen in ihrem Kiez – und in Berlin generell – war der Hausgemeinschaft bewusst, was sie als Mieter:innen zu erwarten hatten: steigende Mieten, Modernisierung, mittelfristig Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen, vielleicht sogar Entmietungsschikanen. Vieles war ihnen aus den zahlreichen anderen Hausverkäufen in Berlin bereits bekannt. Rasch fassten die Mieter:innen den Entschluss, das Haus selbst zu erwerben – als Haus GmbH.
Turbulente Monate für die Hausgemeinschaft
Seit März 2021 streiten Bezirksamt, Verkäufer und Erwerber des Hausensembles im Milieuschutzgebiet Schillerkiez über den im Februar ausgeübten Vorkauf. Als einen echten Kraftakt beschreibt Simon die Zeit innerhalb der engen Prüfungsfrist von zwei Monaten: „Zum einen wollten wir in aller Kürze der Fristen eine Haus GmbH gründen und gemeinsam mit dem Mietshäusersyndikat ein Finanzierungsmodell realisieren, um als Begünstigte selbst in den Kaufvertrag eintreten zu können. Zum anderen galt es, den Bezirk davon zu überzeugen, dass wir als gut organisierte Hausgemeinschaft selbst die Erhaltungsziele des Milieuschutzes am besten und nachhaltigsten zu gewährleisten in der Lage sind.“
Simon ist einer der engagierten Mieter:innen der Hausgemeinschaft H48 bleibt!. Ein „bunter Haufen“ sind sie schon lange. Mit ihrem Haustresen und dem zum Verweilen einladenden Hinterhof haben sich die Mieter:innen schon lange vor dem Verkauf als Gemeinschaft gefunden. Sie wollen zusammenbleiben und in Zukunft selbstverwaltet in ihrem Haus leben. Im Hinterhaus des Gebäudes – einem ehemaligen Fabrikgebäude – bestehen bereits seit den 1980er und 1990er Jahren große Wohngemeinschaften mit Teilgewerbemietverträgen.
Weil die Räume im Teilgewerbe überwiegend – meist sogar ausschließlich – als große Wohngemeinschaften genutzt wurden und werden, sorgen sich die Bewohner:innen. Denn in vielen Fällen nutzen Vermieter:innen diese Art der Mietverträge nicht nur, um satte Mietaufschläge zu vereinbaren, sondern auch, um sich der Mietenden vermeintlich einfacher entledigen zu können. Die Bewohner:innen fühlen sich von Kündigungen bedroht, gleichwohl für sie ebenfalls ein Kündigungsschutz existiert. Ein Umstand, der aus Sicht der Hausgemeinschaft in der rechtlichen Auseinandersetzung eine Rolle spielen sollte. Alle Bewohner:innen des Hausensembles sollten gleichermaßen vor dem Verlust ihrer Wohnungen sowie vor Verdrängung geschützt sein, dafür müsse sich auch das Bezirksamt weiterhin einsetzen und im Zusammenhang mit den Zielen der Milieuschutzsatzung die rechtlichen Spielräume ausschöpfen.
Unterstützung vom Mietshäusersyndikat
Als widerständige Hausgemeinschaft und entschlossene Initiative haben sie sich mit anderen betroffenen Hausgemeinschaften zusammengetan, bauen Vernetzungsstrukturen auf und haben Kundgebungen, Öffentlichkeitsarbeit sowie die Haus GmbH und ein Finanzierungsmodell organisiert. In Zusammenarbeit mit dem Mietshäusersyndikat und zahlreichen, erfolgreich akquirierten Direktkreditgeber:innen gelang es ihnen nach zwei Monaten und viel investierter Energie, die Bank und den Bezirk Neukölln davon zu überzeugen, als begünstigte Erwerberin bei Ausübung des Vorkaufsrechts bereitzustehen.
Selbstverwaltet und selbstbestimmt wohnen bietet Mieter:innen wohl den besten Schutz vor dem Verlust ihrer Wohnungen. Es ist zudem eine Möglichkeit, bezahlbare Wohnungen dauerhaft vom profitorientierten Wohnungsmarkt zu nehmen. Nicht vielen Hausgemeinschaften gelingt es, ihr Haus tatsächlich selbst zu erwerben, die hohen Kaufpreise für Immobilien und Grundstücke machen eine Finanzierung oft unmöglich. Der einige Jahre zurückliegende Fall der Zossener Straße 48 in Kreuzberg bediente sich ebenfalls der Unterstützung des Mietshäusersyndikats. Das Finanzierungsmodell über Direktkredite von Mieter:innen sowie die Unterstützung durch eine Stiftung ist manchen noch in Erinnerung. Die Hausgemeinschaft H48 jedenfalls hatte einen Grund zum Feiern, als der Vorkaufsbescheid des Bezirks zugunsten der Haus GmbH dem Erwerber und Verkäufer zugestellt wurde.
Rasche Gegenwehr von Eigentümer und neuem Erwerber
Auf die Freude folgte Ernüchterung, als bekannt wurde, dass Verkäufer und Erwerber Widerspruch gegen den bezirklichen Vorkauf einlegten sowie eine Klage gegen das Bezirksamt Neukölln einreichten. Ärgerlich über die Zeitverzögerung, dennoch hoffnungsvoll, ihr Hausprojekt realisieren zu können, machten die Mieter:innen erneut mobil.
Ein weiterer Rückschlag kündigte sich mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig am 9. November 2021 an. Das Gericht setzte mit seinem Urteil der bisherigen Vorkaufspraxis der Bezirke ein bitteres Ende. Das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten sei demnach nur noch bei Immobilien mit „städtebaulichen Missständen und/oder gravierenden Mängeln“ zu vertreten. Verbände und Mieterorganisationen werteten das Urteil nach seiner Veröffentlichung im Dezember aus. Sie erwarten, dass künftige Vorkäufe durch die Bezirke nur noch in seltenen Fällen ausgeübt werden können und anhängige Klagen im Zusammenhang bereits erfolgter Vorkäufe in der gerichtlichen Auseinandersetzung einen höchst ungewissen Ausgang haben werden. Für die Hausgemeinschaft H48 ist das besonders bitter, war sie doch zuvor ihrem Hausprojekt so nah gewesen.
Der Bezirk darf keinen Rückzieher machen
Derzeit prüft die Rechtsabteilung des Bezirksamtes Neukölln die Klage. Die Hoffnung wollen die Mieter:innen nicht aufgeben, auch wenn die Bezirke gerichtlichen Auseinandersetzungen wegen des Risikos einer Niederlage eher aus dem Weg gehen. Es existieren für risikobehaftete Verfahren schlicht keine Mittel, zudem drohen Schadenersatzforderungen. Dennoch wünschen sich die Mieter:innen, dass die Rechtsabteilung des Bezirks alle Spielräume ausschöpft und weitere juristische Expertise hinzuzieht. „Die Haus GmbH ist keine Partei im Klageverfahren“, sagt Simon. „Deshalb ist es einerseits verständlich, andererseits bedauerlich, dass die Hausgemeinschaft als potenzielle Erwerberin sowie als betroffene Mieter:innen im Moment keine Möglichkeit hat, etwas zu tun.“
Doch Simon kündigt an: „Klar ist, dass sich der Erwerber – so denn die Klage vor Gericht Erfolg hat – mit uns keinen Spaß einkauft, denn es sind noch nicht alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Widerständig werden wir bleiben, um unsere Rechte durchzusetzen und unser Haus dem Markt zu entziehen!“
Der Kampf um ein Neues Vorkaufsrecht jetzt! geht in der berlinweiten Vernetzungsinitiative betroffener Häuser weiter. Am Freitag, den 28. Januar wird auf Antrag von DIE LINKE im Bundestag über ein neues Vorkaufsrecht debattiert und abgestimmt. Proteste der Berliner Mietenbewegung zum High-Society-Immobilienkongress Quo Vadis im Hotel Adlon sind angekündigt. Ende März jährt sich zum dritten Mal der Housing Action Day: Die Initiativen mobilisieren, die Hausgemeinschaft H48 ist sicher dabei!
1 Zu diesem Zeitpunkt galt noch die zweimonatige Prüfungsfrist im Vorkaufsrechtverfahren. Inzwischen ist die Frist für das Prüfverfahren der Bezirke (Kommunen) durch das sogenannte Baulandmobilisierungsgesetz auf drei Monate verlängert worden.
2 Dazu: BGH Urteil v. 9.7.2014 Az_VIII ZR 376/13, kündigungsrechtlich „Wohnraumnutzung unstreitig stellen“
26.01.2022