Berlin will seine Bauordnung novellieren. Klimaschutz und Barrierefreiheit sollen für Immobilienbesitzer:innen teils verpflichtend werden. Und was bedeutet das für Mieter:innen? Wir haben Dr. Rainer Tietzsch, Vorstandsvorsitzender des BMV und Kreuzberger Mietrechtsanwalt zur Berliner Bauordnung und den Neuerungen befragt.
Herr Tietzsch, die Berliner Bauordnung soll erneuert werden, wozu dient die Bauordnung eigentlich?
Die Bauordnung ist ein Gesetz, für das die Länder zuständig sind. Die Länder haben hier einen großen Gestaltungsspielraum. Das ist wichtig, denn wir hören in der Debatte um das Bauordnungsrecht oft das Argument, die Bauordnung sei lediglich zur Gefahrenabwehr da – also etwa zum Schutz vor Feuer oder Einsturz. Das war früher so, als es sich lediglich um eine baupolizeiliche Verordnung handelte. Das ist aber überholt. Heute kann die Bauordnung einerseits Anforderungen an neue Bauwerke stellen. Andererseits aber auch Veränderungen an bestehenden Bauwerken oder Grundstücken verlangen. So sind in den früheren Jahrzehnten viele Aspekte hinzugekommen, die sich eher auf das Zusammenleben der Menschen fokussierten, also zum Beispiel die Vorgabe, Kinderspielplätze anzulegen.
Warum ist es so wichtig, dass die Bauordnung novelliert wird?
Es gibt eine ganze Reihe von Themen, die unserer Meinung nach dringend in der Bauordnung geregelt werden sollten. Das sind zum einen der Klimaschutz, die Ressourcenschonung und der Bodenschutz. Zum anderen Aspekte wie die Barrierefreiheit von Gebäuden. Der Gesetzgeber kann das sowohl für Neubauten regeln als auch Anforderungen bei späteren Veränderungen stellen.
Es gab in der vergangenen Legislatur bereits einen Versuch, die Bauordnung zu aktualisieren…
Ja, das stimmt, es gab Vorschläge zum Umwelt- und Klimaschutz, zur Begrünung von Dächern und Fassaden. In bestimmten Bereichen sollte der Wohnungsbau schneller gemacht und unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr geprüft werden müssen. Auch der Dachausbau sollte erleichtert werden. Das hat man mehr als zwei Jahre lang beraten. Am Ende hat dann wohl die SPD die Beratungen abgebrochen, mit dem Argument, man wolle nichts übers Knie brechen. Das ist nach so langen Beratungen etwas befremdlich, aber so hat das Abgeordnetenhaus in der letzten Legislatur nichts mehr verabschiedet. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf. Da das Gesetz in dieser Legislatur dann wohl nicht ein zweites Mal angefasst wird, sollte die jetzige Änderung der Bauordnung alles enthalten, was wir brauchen.
Was braucht Berlin denn?
Wir brauchen die Dinge, die 2021 im Referentenentwurf standen, etwa bessere Vorgaben für eine Begrünung der Stadt. Wir wissen alle, wie die Stadt sich aufheizt. Mit mehr Wasser und mehr Grün kann man das abmildern. Was bisher fehlt und was sicher noch hineinkommen sollte, das sind genauere Regelungen für den Abriss von Wohngebäuden. Bisher gibt es in der Bauordnung zwar einen Genehmigungsvorbehalt. Das heißt, es ist verboten Wohngebäude abzureißen, es sei denn, es würde genehmigt. Aber unter welchen Voraussetzungen nun abgerissen werden darf, steht in der bisherigen Bauordnung nicht genau. Sie ignoriert insbesondere den Aspekt der Ressourcenschonung, den wir für sehr wichtig halten. Denn jedes Gebäude, das abgerissen wird, enthält eine Menge grauer Energie – das ist die Energie, die im verbauten Material steckt. Wer abreißt und neu baut muss alles erst produzieren, heranschaffen, verarbeiten, aufbauen. So werden erneut viele Ressourcen verbraucht und deswegen sollte man genau prüfen, ob das notwendig ist oder nicht. Politisch ist das allerdings umstritten. Wir sind der Meinung, dass die Bauordnung hier den heutigen Anforderungen nicht gerecht wird. Eine zukunftsorientierte Bauordnung muss diesen Aspekt berücksichtigen- zusätzlich zum Begrünen und dem Ausbau von Dächern und dem schnelleren Wohnungsbau!
Wo sehen Sie Probleme?
Wenn eine Bauordnung bestimmte Anforderungen stellt, es also zum Beispiel ein striktes Genehmigungsverfahren gibt, dann muss die Baubehörde, wenn sie einen Antrag auf den Tisch bekommt, diese Kriterien prüfen. Reicht das aus, ist das ordentlich belegt, entspricht das den Vorschriften? Jetzt wird häufig argumentiert, die Bauvorhaben kämen nicht voran, weil die Behörden so lange brauchen. Deswegen sollte man diesen Genehmigungsvorbehalt vermindern. Wir halten das für riskant. Deshalb plädieren wir für eine bessere personelle Ausstattung der Bauämter. Wenn die Bezirke mit der Bauordnung bestimmte Aufgaben erhalten, dann brauchen sie in diesem Bereich auch genug gute Leute, um eine vernünftige Kontrolle der Bauordnung zu gewährleisten.
Es gibt auf Bundesebene eine Musterbauordnung. Wie viele Freiheitsgrade hat die Berliner Politik also hier und was ist schon vorbestimmt?
Das kann man klar sagen: Die Musterbauordnung ist keine Rechtsnorm, das heißt, sie bindet niemanden. Es ist eine Übereinkunft der Landesbauminister zur Vereinheitlichung des Baurechts in Deutschland. Das ist wichtig für Firmen oder Investoren, die in verschiedenen Bundesländern tätig sind. Die Länder sollen sich daran halten beziehungsweise orientieren, aber sie müssen es nicht. Es gibt in vielen Bauordnungen Abweichungen von dieser Musterbauordnung, um sie an die jeweiligen Bedingungen vor Ort anzupassen. Deswegen ist der Spielraum groß. Es wäre natürlich sinnvoll, wenn Berlin die anderen Akteure davon überzeugt, dass der Klimaschutz in der Bauordnung besser verankert wird. Berlin sollte also parallel zur Novellierung der Bauordnung eine Initiative in die Bauministerkonferenz der Länder einbringen, um gemeinsam auch die Musterbauordnung zu ändern.
Hat der neue Vorstoß, die Berliner Bauordnung zu ändern, jetzt eine Chance, verwirklicht zu werden?
Substanzielle Veränderungen gegenüber dem früheren Entwurf sehe ich bis jetzt nicht. Auch Vorschläge, die in der letzten Legislatur ergänzend eingebracht worden sind, sind nicht berücksichtigt. Es ist jetzt wohl im Senat bereits entschieden, dass dieser Entwurf so vorgelegt werden und dass der Rat der Bürgermeister dazu Stellung nehmen soll. Das heißt, es wird noch ein bisschen dauern, bis die Bauordnung verabschiedet wird.
Welche Änderungsvorschläge für die Bauordnung hat der Berliner Mieterverein noch?
Neben der stärkeren Berücksichtigung des Klimaschutzes und einem klareren Abrissverbot hatten wir auch vorgeschlagen, in der Bauordnung das Anbringen von großflächigen Werbeplakaten an Baugerüsten einzuschränken. Die Mieter, die von diesen großen Baumaßnahmen betroffen sind, sind ohnehin schon sehr stark eingeschränkt durch das Gerüst, den Schmutz und den Lärm. Dann wird ihnen noch ein Plakat vor die Nase gehängt, sodass sie weniger Licht haben, nur damit der Eigentümer an dieser Stelle Geld verdient. Das kann so nicht bleiben.
Wie betrifft eine Änderung der Bauordnung am Ende die Mieter:innen?
Die Mieter:innen hätten natürlich als Bewohner:innen der Stadt einen Vorteil davon, wenn Berlin grüner und die Stadt klimafreundlicher gestaltet würde. Auch von den energetischen Verbesserungen der Häuser würden die Mieter:innen profitieren, etwa durch einen geringeren Energieverbrauch und mehr Behaglichkeit in den Wohnungen. Veränderungen, die die Bauordnung anordnet, müssen die Mieter:innen allerdings auch in jedem Fall dulden. Wenn es in der Bauordnung so steht, haben die Mieter:innen keine Möglichkeit, dies mit der Begründung abzulehnen, dass es sie wirtschaftlich überfordert. Die Novellierung der Bauordnung hat also eine Auswirkung auf die Mieter:innen – im Positiven wie im Negativen. Deswegen ist uns daran gelegen, dass die Anforderungen in der Bauordnung einerseits sehr zielgenau sind, also das einfordern, was wirklich wichtig und auch durchsetzbar ist. Andererseits müssen wir Regelungen finden, damit die Mieter:innen durch die neuen Auflagen nicht überfordert werden.
13.04.2022