Energie wird immer teurer, gleichzeitig kostet Klimaschutz viel Geld. Dabei dürfen Mieter:innen die Kosten für den Klimaschutz nicht allein tragen, sagt Dr. Thomas Engelke, Leiter des Teams Energie und Bauen beim Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv, im Interview mit dem BMV.
Die Energiepreise steigen massiv. 1.858 Grundversorger haben ihre Preise zum Jahreswechsel erhöht: Bei Strom um durchschnittlich 60 Prozent und bei Gas im Schnitt um 76 Prozent pro Jahr. Vor allem für Haushalte mit niedrigem Einkommen ist das existenzbedrohend. Etwa 26 Prozent der Haushalte in den 77 deutschen Großstädten zahlen bereits heute mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Warmmiete. Fast zwölf Prozent aller Mieter:innen müssen sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Wohnkosten entrichten. Der Koalitionsausschuss vom 23. Februar hat „10 Entlastungsschritte für unser Land“ vorgelegt. Doch reicht das aus?
Herr Dr. Engelke, was sind die wichtigsten Ursachen für die massive Preissteigerung bei den fossilen Brennstoffen Öl und Gas?
Die Hauptursache ist sicherlich, dass nach dem Corona-Jahr 2020 mit seinen harten Lockdowns die Konjunktur im vergangenen Jahr wieder angesprungen ist. In der Folge ist der Bedarf an Kohle, Gas und Erdöl auf der ganzen Welt stark gestiegen und damit auch die Preise. Da wir Strom auch aus der Verbrennung von Kohle und Gas gewinnen, ist Strom ebenfalls teurer geworden. Das hat sich zunächst im Großhandel niedergeschlagen, seit Oktober 2021 kommen die Preissteigerungen verstärkt auch in den privaten Haushalten an. Zum Jahreswechsel sind die Preise im Großhandel noch einmal stark gestiegen und ich gehe davon aus, dass die Strom- und Gasanbieter auch die Tarife für Endverbraucher:innen noch weiter anheben werden.
Die Bundesregierung hat 2021 eine CO2-Bepreisung mit dem Ziel eingeführt, Emissionen zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen. Am Ende müssen die Mieter:innen das bezahlen. Ist die CO2-Bepreisung also das falsche Instrument, weil sie Energie verteuert, aber keinen Anreiz für Eigentümer:innen bietet, auf klimafreundliche Heizsysteme umzurüsten?
Aktuell ist es tatsächlich so, dass die Mieter:innen die gesamten Kosten der CO2-Bepreisung tragen, obwohl sie gar nicht über die Heizsysteme in ihren Mietwohnungen entscheiden. Diese Entscheidung treffen die Eigentümer:innen. Insofern funktioniert das Anreizsystem bei diesem Instrument nicht. Unserer Meinung nach brauchen die Mieter:innen bei den CO2-Kosten auf jeden Fall eine deutliche Entlastung. Die Kosten müssen so aufgeteilt werden, dass Mieter:innen und Eigentümer:innen diese Kosten je zur Hälfte tragen. Alternativ könnte auch der Energieeffizienzstandard des Gebäudes berücksichtigt werden. Aber auch hier muss gelten, dass die Kosten je zur Hälfte auf die Mieter:innen und Eigentümer:innen verteilt werden. Unabhängig von der Art, wie die CO2-Bepreisung stattfindet: Der vzbv fordert, dass die Einnahmen daraus an die Gesamtgruppe der Verbraucher:innen zurückfließt. Und zwar am besten in Form eines Klimageldes, das noch im Koalitionsvertrag versprochen wurde, von dem jetzt aber keine Rede mehr ist. Wir brauchen kurzfristig ein Klimageld, da davon Haushalte mit geringem Einkommen stärker als die mit mittlerem Einkommen und die mittleren Einkommen stärker als hohe Einkommen profitieren. Hinzu kommt: Beim Klimageld kommt das Geld tatsächlich bei den Verbraucher:innen an. Von der zum Jahreswechsel erfolgten Absenkung beziehungsweise der jetzt geplanten Abschaffung der EEG-Umlage1 profitiert die Industrie mehr als die privaten Haushalte, die in diesem System also die Industrie querfinanzieren. Deswegen steht das Klimageld für den vzbv an erster Stelle.
Wie könnte die Bundesregierung über das Klimageld hinaus die Energiepreise sinnvoll regulieren – also die Klimaziele einhalten, ohne Energie unbezahlbar zu machen?
Der Strompreis für private Haushalte in Deutschland ist der höchste in Europa. Er muss gesenkt werden. Dazu gehört die Reduzierung der Stromsteuer auf das von der EU vorgeschriebene Minimum. Dazu gehört aber auch, die Ausnahmen für Industriebetriebe zu streichen, die keine Netzentgelte zahlen. Diese müssen zurzeit noch von den privaten Verbraucher:innen, aber auch von Handel und Gewerbe zusätzlich geschultert werden. All dies treibt die Stromkosten für private Haushalte in die Höhe. Hier muss die Bundesregierung für Entlastung sorgen. Auf die hohen Gaspreise auf dem Weltmarkt hat die Bundesregierung dagegen nur wenig Einfluss. Aktuell sehen wir ja, wie abhängig Deutschland immer noch vom Import fossiler Energien ist. Die Bundesregierung muss jetzt die Weichen dafür stellen, Deutschland von diesen Energieimporten unabhängiger zu machen. Dafür braucht es einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und eine effizientere Energienutzung zum Beispiel im Gebäudesektor. Die Effizienzstandards für bestehende Gebäude und Neubauten müssen angehoben und gleichzeitig die finanzielle Unterstützung für die Eigentümer:innen verbessert werden. Ich nenne das „Fordern und Fördern“. Die dabei entstehenden Mehrkosten dürfen auch nicht einseitig auf die Mieter:innen abgewälzt werden. Daher fordert der vzbv eine weitere Begrenzung der Modernisierungsumlage.
Haushalte, die Wohngeld beziehen, sollen einen einmaligen Heizkostenzuschuss erhalten. Kritiker sagen, dieser Zuschuss hilft nur den Energiekonzernen, ihre Gewinne zu sichern. Was schlagen Sie stattdessen vor?
Der Heizkostenzuschuss ist zwar ein gutes Instrument, die Höhe ist aber völlig unzureichend. Er sollte im Schnitt mindestens 500 Euro pro Haushalt betragen – zwei- bis dreimal so viel wie die Bundesregierung jetzt beschlossen hat. Jetzt müssen sich Bundestag und Bundesrat für einen deutlich höheren Heizkostenzuschuss einsetzen. Außerdem muss der Gesetzgeber den Personenkreis für den Bezug des Heizkostenzuschusses erweitern. Denn längst nicht alle bedürftigen Haushalte befinden sich in den sozialen Sicherungssystemen. Dazu kommt, dass der Heizkostenzuschuss erst im Sommer ausgezahlt werden soll. Haushalte, die schon jetzt die hohen Rechnungen erhalten und nicht bezahlen können, müssen besonders geschützt werden. Bis dahin fordert der vzbv ein Moratorium, also ein Aussetzen der Energiesperren, damit niemand ohne Strom oder Gas dasteht.
Einmaliger Heizkostenzuschuss:
Die Koalitionsfraktionen haben sich am 24. Februar auch über einen Heizkostenzuschuss verständigt. Demnach sollen Alleinlebende, die Wohngeld beziehen, einmalig 135 Euro bekommen, ein Zwei-Personen-Haushalt 175 Euro. Für jede zusätzliche Person im Haushalt gibt es weitere 35 Euro. Für Studentinnen, Studenten und Azubis sind pauschal 115 Euro pro Person vorgesehen. Das entsprechende Gesetz soll am 1. Juni in Kraft treten. Die meisten Haushalte erhalten die Förderung automatisch mit dem Wohngeld oder der Berufsausbildungshilfe. Der Zuschuss wird nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet.
Jeder Mensch ist auf Wärme und Strom angewiesen, Energie gehört somit zur Daseinsvorsorge. Die Energieversorgung ist aber im Wesentlichen privatwirtschaftlich organisiert. Die EU unterstützt diese marktorientierte Organisation über das Wettbewerbsrecht. Was muss sich für eine faire Energieversorgung ändern?
Der vzbv unterstützt grundsätzlich die Liberalisierung des Energiemarktes, weil sowohl seriöse Unternehmen als auch private Haushalte vom Wettbewerb in einem europäischen Binnenmarkt profitieren. Er führt in der Regel zu niedrigen Preisen. Aber es muss natürlich fair zugehen. Es darf nicht sein, dass Anbieter von jetzt auf gleich keinen Strom oder kein Gas mehr liefern und Grundversorger extrem hohe Rechnungen ausstellen, so wie wir es gerade beobachten. Die Regierung muss dafür sorgen, dass Anbieter nicht von einem Tag auf den anderen die Lieferung einstellen können, sondern dies Monate vorher ankündigen müssen. Es muss auch Minimalkriterien für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser Anbieter geben. Verbraucher:innen, die nicht mehr beliefert werden, rutschen automatisch in die Ersatzversorgung der Grundversorger – auch in Berlin. Einige Grundversorger rufen für diese – unfreiwilligen – Neukunden sehr hohe Tarife auf. Das muss dringend abgestellt werden, zum einen durch eine stärkere Aufsicht und zum anderen durch entsprechende Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes.
1 Die EEG-Umlage dient zur Finanzierung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und ist im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegt. https://www.next-kraftwerke.de/wissen/eeg-umlage
Der BMV veröffentlicht an dieser Stelle in regelmäßigen Abständen Interviews mit Expert:innen zu aktuellen Themen, die für Mieter:innen relevant sind. Die im Interview getroffenen Aussagen geben die Meinungen und Einschätzungen der Expert:innen wieder und decken sich nicht immer durchgängig mit den Auffassungen des BMV.
24.02.2022