Für die Filiale von Galeria Karstadt am Leopoldplatz gibt es große Pläne. Anfang Dezember präsentierte die Eigentümerin Signa Holding in einer öffentlichen Planwerkstatt das ambitionierte Umbauvorhaben, das sich auch auf den umliegenden Kiez auswirken soll. Das Unternehmen betonte, sich nach den Vorstellungen der Bürger:innen richten zu wollen. Doch die Erfahrungen mit anderen Filialen in der Stadt lassen an ernst gemeinter Beteiligung zweifeln. Ein Werkstattbesuch.
Es ist Donnerstag, der 1. Dezember 2022. Rund 100 Menschen haben sich am späten Nachmittag auf Einladung des Karstadt-Eigentümerunternehmens Signa im Restaurant der Filiale am Leopoldplatz eingefunden. Überall im Raum stehen Stellwände mit vorformulierten Fragen: „Was zeichnet den Wedding aus?“ ist eine von ihnen. Davor Tische, bestückt mit Post-its und Stiften. Mitten im Raum – eine große Leinwand. Für Essen und Trinken ist gesorgt.
Nachdem ein bisschen Ruhe einkehrt, leitet die Moderatorin des Abends die Planwerkstatt ein und präsentiert den Ablauf: „Wir möchten Ihnen heute die Pläne rund um das Umbauvorhaben für diese Filiale präsentieren. Danach wird Bezirksstadtrat Ephraim Gothe ein paar Worte an Sie richten. Da die Gewerkschaft ver.di heute auch vor Ort ist, werden auch sie eine kurze Redezeit bekommen. Im dann folgenden zweiten – und wichtigen – Teil der Veranstaltung werden wir Sie aktiv einbinden und in kleinen Workshops Ihre Meinungen zum Kiez und Wünsche zu unserem Umbau sammeln.“ Anfang 2024 soll das Umbauprojekt starten – der Mietvertrag mit der Grundstückseigentümerin, der Versicherungskammer Bayern, läuft aus. Signa ist für die Zeit danach zu 50 Prozent als Eigentümerin des Grundstücks eingestiegen.
Karstadt „neu denken“
Im Publikum sitzen Vertreter:innen von Signa, Karstadt-Mitarbeiter:innen, Gewerkschafter:innen von ver.di, Anwohner:innen und Bezirksvertretungen. Sie alle wollen wissen, wie es nach dem Auslaufen des Mietvertrages für sie und den Kiez weitergeht. Das macht der Projektleiter für den Umbau in seinem Vortrag deutlich: Es gibt große Pläne, ähnlich denen für den Hermannplatz. Wir haben bereits über den Hergang in Neukölln berichtet. Wie in Neukölln soll auch für die Filiale im Wedding ein zweistufiger Wettbewerb mit bereits ausgewählten prominenten Architekturbüros stattfinden. Die Aufgabe: den Standort inklusive des Baurechts auf dem Grundstück neu, „zukunftsorientiert und zukunftssichernd“ denken. Geplant ist eine klimaschonende Totalsanierung des Bauwerkes. Der Komplex soll anschließend Platz bieten für eine „moderne Mischnutzung“, die ein Kaufhaus mit weiteren Angeboten aus den Bereichen (Gastro-)Gewerbe, Wohnen, Coworking, aber auch Platz für Initiativen vereint.
„Die Bedürfnisse des Kiezes und seiner Anwohner:innen stehen für Signa bei all diesen Planungen im Mittelpunkt“, sagt der Projektleiter. Gemeinsam mit der Versicherungskammer Bayern will das Unternehmen die Entwicklung des Standortes strategisch angehen. Doch wie viel Gewicht wird Signa den Wünschen und Anforderungen des Kiezes dabei wirklich beimessen? Das fragen sich viele der anwesenden Gäste. In der Vergangenheit ist der Konzern von René Benko vor allem damit aufgefallen, geschickt großen, aber rechtlich unanfechtbaren Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen – im Berliner Senat ist Benko Dauergast. Eine ernst gemeinte Einbeziehung der Anwohner:innen war bislang hingegen nicht zu spüren.
Wohl auch deshalb äußern sich bei der Veranstaltung schnell auch zweifelnde Stimmen. Als die Vertreterin von ver.di zu Wort kommt, versammeln sich ein paar der Anwesenden direkt vor der Leinwand und halten Plakate in die Höhe. „Kollegial + regional = nicht egal“ steht auf einem, „Spekulatius statt Spekulanten“ auf einem anderen. Ein gutes Motiv für die anwesenden Fotografen. Es kommt Leben in die Runde. „Nun funktioniert mein Mikrofon gerade nicht, aber ich würde Sie bitten, zum Ende zu kommen“, versucht die Moderatorin zu beschwichtigen.
Rund 200 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel
Doch ver.di kam nicht nur für Fotos. Es ist unklar, wie es für die rund 200 Mitarbeiter:innen im Haus weitergeht. Viele Kaufhäuser haben durch den steigenden Online-Konsum finanzielle Einbußen zu verzeichnen. Die Corona-Pandemie, die Energiekrise und die Inflation haben sich zusätzlich negativ ausgewirkt. Die Gewerkschaft fordert die dauerhafte Sicherung der Arbeitsplätze – auch nach dem Umbau. Neben den knapp 100 Karstadt-Mitarbeiter:innen spricht sie auch für die weiteren im Gebäudekomplex ansässigen Gewerbetreibenden.
Unterstützung erfährt die Gewerkschaft tendenziell vom Bezirksstadtrat Ephraim Gothe. Er fordert in seinem Vortrag eine Verlängerung des Kaufhausbetriebs nach Auslauf des Mietvertrages Ende 2023 – bis zu dem Zeitpunkt, an dem das neue Baurecht in Kraft tritt. Gleichzeitig betonte er jedoch den „bereichernden Wert“, den Unternehmen wie die Signa für den Standort hätten.
Es gibt viele Ideen für den Leo
Jetzt rücken die Stellwände in den Mittelpunkt des Geschehens, die Ideen der Teilnehmenden sind gefragt: Was zeichnet den Wedding aus? Was ist gut am Standort, was schlecht? Wie soll er in Zukunft aussehen, wie nicht? Über eine Online-Plattform können sich auch Interessierte beteiligen, die nicht vor Ort sind.
Die Anwesenden stürzen sich auf die Post-its und platzieren ihre Gedanken. Mit kleinen Klebepunkten können sie den Ideen anderer zustimmen. Am Ende sind alle Wände voll. Beim Überfliegen der Inhalte wird deutlich, dass der Karstadt-Komplex für die diverse Bewohner:innenschaft rund um den Leopoldplatz ein zentraler Begegnungsort ist. Außerdem bietet das Warenhaus eine breite Palette von Produkten des alltäglichen Lebens, die in der Umgebung sonst nicht verfügbar sind. Mit Blick auf die Zukunft gibt es daher viel Zustimmung für all jene Ideen, die darauf abzielen, die vorhandenen Strukturen zu stärken und die Arbeitsplätze zu sichern. Dazu zählt auch, von Büroflächen abzusehen und den Ort als Begegnungsraum für alle gesellschaftlichen Gruppen weiter zu fördern. Wohnraum sollte nur dann integriert werden, wenn er preisgünstig ist. Konkrete Ideen sind zum Beispiel die Etablierung eines Gartenprojekts, Raum für Kulturveranstaltungen und die Einbindung von lokalen Gewerbetreibenden.
Nach rund einer Stunde schieben die Moderator:innen der einzelnen Tische ihre Stellwände vor der Leinwand zusammen, berichten von den Diskussionen und stellen die wichtigsten Ergebnisse vor. Wie verbindlich die Ideen und Forderungen der Beteiligten in den weiteren Planungsprozess einfließen werden, bleibt bis zum Ende der Veranstaltung etwas unklar. Auf Rückfrage heißt es, die Ergebnisse würden auf der Online-Plattform veröffentlicht und allesamt in die Ausschreibung für den Architekturwettbewerb eingearbeitet. „In ein paar Monaten wird es eine zweite öffentliche Veranstaltung geben, in der die Resultate der Architektur-Wettbewerber:innen vorgestellt werden”, sagt ein Vertreter von Signa. Die Jury wird jedoch hinter verschlossenen Türen entscheiden, und wer zur Jury gehört, kann nicht eindeutig beantwortet werden.
Symbolpolitik eines Großunternehmens oder echte Beteiligung?
Die Veranstaltung endet mit offenen Fragen. Das weckt Erinnerungen an andere Projekte der Signa: Am Hermannplatz regt sich schon länger Protest hinsichtlich der Bürger:innen-Beteiligung rund um die Zukunft der dortigen Karstadt-Filiale. Anwohner:innen und stadtpolitisch Aktive fühlen sich hier zu spät einbezogen und werfen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen vor, dass zum Startzeitpunkt des Beteiligungsverfahrens wichtige Entscheidungen bereits gefällt worden waren. Aktive fordern ihre Beteiligung seitdem an mehreren Berliner Standorten von Galeria Karstadt Kaufhof ein: Seit 2019 kämpft die „Initiative Hermannplatz“ für das Kaufhaus in Neukölln. Seit 2021 engagiert sich die Initiative „BerlinerInnen gegen Signa“ für die Filiale am Ku’damm.
Auch am Leopoldplatz tut sich was: Anwohner:innen haben sich zur Initiative „KarStatt“ zusammengeschlossen. Sie setzen sich für den Standort als gemeinwohlorientierten Begegnungsort ein und starteten eine Ideensammlung für die Zukunft des Warenhauses, die sie Signa mitgeben möchten. Das alles zeigt: Die Bürger:innen wollen die betroffenen Karstadt-Filialen und die umliegenden Kieze mitgestalten, auch Ideen gibt es offensichtlich genug.
Ob die Zusammenarbeit am Ende tatsächlich gelingt, liegt auch in den Händen der Verantwortlichen von Signa. Um Vertrauen zu schaffen, reicht eine solche Werkstatt nach den Erfahrungen der letzten Jahre für viele nicht aus. Doch Signa könnte noch beweisen, dass sie es ernst meinen mit der Beteiligung der Bürger:innen. Wir werden die weiteren Entwicklungen im Blick behalten und Sie auf dem Laufenden halten.
Vera Colditz hat die Planwerkstatt besucht
14.12.2022