Der BMV ist Partner im Kiezprojekt, eines einzigartigen Community-Organizing-Projekts in Berlin. Um unsere Arbeit besser kennenzulernen, haben zwei Mitarbeiterinnen des Kiezprojekts in den vergangenen Wochen im BMV-Beratungszentrum Hobrechtstraße hospitiert. Ihr Einblick in unsere Arbeit.
Das im Januar gestartete Kiezprojekt will in den kommenden zwei Jahren mit Methoden des Community Organizing in ausgewählten Kiezen und Siedlungen Mieter:inneninitiativen aufbauen und unterstützen. Wir, Tanja Rakočević und Juli Westendorf, sind Teil des Projektteams und starten gerade mit den ersten Organizing-Aktionen in Tempelhof-Schöneberg und Pankow. Das Ziel: die Mieter:innen und ihre Nachbarschaften zu stärken, um ihnen zu gemeinsamer Handlungsfähigkeit und Mitsprache in der sozialen und ökologischen Wohnungskrise zu verhelfen. Als wichtiger Kooperationspartner bringt der BMV seine mietrechtliche Expertise ins Projekt ein. Um diese gut nutzen zu können, haben wir in den vergangenen Wochen für einige Stunden bei den Mietrechtsberatungen im Beratungszentrum Hobrechtstraße in Neukölln hospitiert. Unser Büro ist gleich um die Ecke der BMV-Beratungsstelle. Das ist gut, denn so ist mietrechtliches Wissen nicht fern!
Die Praxis kennenlernen
Der Einblick in den Beratungsalltag war für uns sehr spannend. Die Mieter:innen kamen mit ganz unterschiedlichen Anliegen. Einige suchten Unterstützung für den Umgang mit drohenden Mieterhöhungen, gestiegenen Nebenkosten und Kündigungen. Andere kamen als Teil einer Hausgemeinschaft in die Beratungsstelle, um die nächsten Schritte nach einem Hausbrand abzusprechen. Auch die Tiefe der Vorbereitung und die persönlichen Erfahrungen, die zum Aufsuchen einer Beratung führten, variierten sehr. Während einige Personen voller Tatendrang, mit vorformulierten Fragen und einer To-do-Liste vor der beratenden Anwältin saßen, befanden sich andere Mieter:innen in einer rechtlichen Sackgasse oder haben bereits einige Kämpfe gegen Vermieter:innen verloren. Das kann zu Sprachlosigkeit und einem Gefühl von Ohnmacht führen.
Anhand von Mimik, Körperhaltung und Wortwahl der Mieter:innen konnten wir beobachten, dass das Aufsuchen einer Beratung und das Einstehen für die eigenen Rechte eine bestärkende und selbstwirksame Erfahrung ist. Egal wie aussichtslos das Anliegen zunächst erscheint: Es ist ratsam, sich Unterstützung in der mietrechtlichen Beratung zu holen. Denn der vermeintliche Einzelfall ist oft gar kein Einzelfall und der:die Vermieter:in oder die Hausverwaltung sind dem Berliner Mieterverein bereits bekannt.
Zeit zum Verschnaufen bleibt den Vertragsanwält:innen übrigens kaum: Die Beratungstermine folgen unmittelbar aufeinander, der Andrang ist hoch und Mieter:innen kommen je nach Verfügbarkeit der Termine auch aus anderen Stadtteilen in die Beratungsstelle.
Neu Gelerntes mitnehmen
Für das Kiezprojekt ist die Hospitation in der Beratung eine große Bereicherung, da sie uns viele Anknüpfungspunkte für unsere eigene Arbeit bietet. Zwar kann unser Projektteam selbst keine rechtlichen Beratungen anbieten, doch aus den Erfahrungen der Mieter:innen lernen auch wir. Hinter vermeintlichen Einzelfällen entdecken wir den kollektiven Widerstand gegen Vermieter:innenwillkür. Und genau dieser nachbarschaftliche Zusammenhalt bei Modernisierungsankündigungen, bei Hausbränden, bei Mieterhöhungen und bei Verdrängungen kann schon zuhause, noch vor dem Aufsuchen einer Beratungsstelle, helfen. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Nachbar:innen in genau der gleichen Situation stecken.
Ein Einblick von Tanja Rakočević und Juli Westendorf (Kiezprojektteam)
22.03.2023