Der Berliner Senat hat mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften eine neue Kooperationsvereinbarung ausgehandelt. Diese ermöglicht Mietsteigerungen in Höhe von jährlich 2,9 Prozent. Was moderat klingt, könnte für viele Mieter:innen zum Problem werden, denn einzelne Mieterhöhungen können größer ausfallen. Auch die Neuaufteilung der Belegungsquoten für Sozialwohnungen bringt Haushalte mit kleinen Einkommen in Bedrängnis.
Hinter verschlossenen Türen und über mehrere Wochen verhandelten der Senat für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen und der Senat für Finanzen mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (LWU) über eine neue Kooperationsvereinbarung (KoopV). Seit dem 25. September 2023 liegt die neue Kooperationsvereinbarung vor. Sie betrifft die Wohnungsbaugesellschaften Berlinovo, Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land sowie WBM und tritt ab Januar 2024 in Kraft. Dann löst sie alle bisher bestehenden Regelungen ab.
Manchen mag es verwundern, dass das Land Berlin für eine soziale Bewirtschaftung der eigenen Wohnungen eine Vereinbarung braucht. Doch tatsächlich ist das Regelwerk für „Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung“ unabdingbar, da die landeseigenen Wohnungsunternehmen privatwirtschaftlich organisiert sind und damit privatwirtschaftlichen Logiken folgen.
Exkurs: Die Entstehung der KoopV
Erstmalig handelte der rot-rot-grüne Senat im April 2017 eine Kooperationsvereinbarung mit den LWU aus. Als Reaktion auf das seit 2016 geltende Wohnraumversorgungsgesetz hielt die Vereinbarung wohnungs- und mietenpolitische Kriterien für eine soziale Bestandsbewirtschaftung sowie eine soziale Wohnungsbaupolitik mit den damals sechs (heute sieben) städtischen Wohnungsunternehmen fest.
Zur Erinnerung: Das Wohnraumversorgungsgesetz entstand, nachdem Mieteninitiativen und Mietervereine mit einem Mieten-Volksbegehren auf zahlreiche wohnungspolitische Fehler und Versäumnisse in der Vergangenheit hingewiesen hatten. Die Initiative Mietenvolksentscheid verzichtete 2015 schließlich auf die Durchführung des geplanten Volksentscheides, weil die damalige Koalition aus CDU und SPD mit einer Verfassungsklage drohte. Daraufhin verständigten sich die Akteure auf einen Kompromiss – das Wohnraumversorgungsgesetz. Zusätzlich handelte der Senat 2017 die erste KoopV aus. In den Jahren 2021 und 2022 folgten insgesamt drei Ergänzungsvereinbarungen zur bestehenden KoopV, die Sonderregelungen aufgrund der Corona-Pandemie sowie den „Mietendimmer“ beinhalteten. Letzterer begrenzte den Mieterhöhungsspielraum für die LWU, nachdem das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel gekippt hatte. Kapitalzuschüsse für die LWU ermöglichten zudem eine weitere Regelung zur Abfederung der drastisch gestiegenen Energiekosten auf Seiten der Mieter:innen. Obwohl die ursprüngliche KoopV von 2017 kein Ablaufdatum hatte, hat die neue schwarz-rote Koalition nun eine neue KoopV vereinbart.
Angesichts der sich immer weiterdrehenden Mietpreisspirale und drastischer Steigerungen bei den kalten und warmen Betriebskosten ist die Fortführung und Verbesserung der KoopV unerlässlich. Der BMV hatte bereits im Herbst 2022 gemeinsam mit Gewerkschaften und Sozialverbänden, Mietervereinen und Mieterbeiräten Vorschläge für eine Verbesserung der KoopV gemacht. Aus unserer Beratung wissen wir, dass viele Miethaushalte der landeseigenen Wohnungsunternehmen von hohen Nachforderungen betroffen sind. Wer jedoch auf „weiterentwickelte“, sozialere Vereinbarungen in puncto Mieterhöhungsmöglichkeiten, mehr preisgünstigen Wohnraum für kleine Einkommen sowie sozialverträgliche Modernisierungsbedingungen gehofft hat, wird enttäuscht sein. Was zunächst moderat klingt – Mietsteigerungen von jährlich 2,9 Prozent – ist aus unserer Sicht eine Finte, die den landeseigenen Wohnungsunternehmen erhebliche Spielräume in der Mietpreisgestaltung und bei der Wiedervermietung gewährt.
2,9 Prozent Mieterhöhungen: Was ist die Bezugsgröße?
„Die Formulierungen in der neuen Vereinbarung zu den Mieterhöhungen sind intransparent und nicht nachvollziehbar“, sagt Stefan Schetschorke, Abteilungsleiter der Rechtsabteilung im BMV. „Die Kooperationsvereinbarung ist ohnehin nicht justiziabel, doch jetzt lässt sie den Unternehmen Interpretationsspielräume, die selbst für uns Jurist:innen undurchsichtig sind.“ Die angekündigten 2,9 Prozent Mietsteigerung pro Jahr beziehen sich nach Auffassung unserer Rechtsberater:innen nicht auf das einzelne Mietverhältnis, sondern auf die Summe aller Bestandsmieten. Die Jurist:innen sind sich einig: Die Regelungen sind schon deshalb unklar, weil die durchschnittliche Bestandsmiete der Unternehmen nicht bekannt ist. Den jährlichen Bericht der Wohnraumversorgung Berlin (WVB), aus dem die Bestandsmieten sowie die Mietsteigerungen in den Unternehmen hervorgehen, hat die Senatsverwaltung bis heute nicht veröffentlicht. Weiterhin bleibt unklar, ob die genannten Kappungsgrenzen von 50, 75 und 100 Euro für 65, 100 beziehungsweise 125 Quadratmeter große Wohnungen für jährliche Mietanpassungen gelten.
Wir fordern Transparenz und Präzision
Die irreführenden Formulierungen könnten in zahlreichen Mietverhältnissen zu satten Mieterhöhungen führen. „Mit der Ankündigung der Mietsteigerungen von 2,9 Prozent vermitteln die LWU den Eindruck, es seien lediglich moderate Mieterhöhungen um diesen Prozentsatz möglich. Dies ist jedoch falsch“, sagt Schetschorke.
Vor der Einführung von Mietendeckel und Mietendimmer erlaubte die KoopV Mieterhöhungen von zwei Prozent pro Jahr im Einzelmietverhältnis, die Kappungsgrenze lag bei vier Prozent in zwei Jahren. Das war auch klar benannt. Die neue Regelung hingegen nimmt unmittelbar Bezug auf Paragraf 558 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der Mieterhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete ermöglicht und die in Berlin geltende Kappungsgrenze von 15 Prozent in drei Jahren.
Der Fokus der LWU könnte besonders auf den unsanierten Beständen mit noch günstigen Mieten liegen. Hier können die Unternehmen – im Jargon der Wohnungswirtschaft gesprochen – sicher noch einiges Potenzial ausschöpfen. Der Senat hatte beim Mietspiegel 2023 eine Steigerung von 5,4 Prozent auf die Durchschnittsmiete der vergangenen zwei Jahre festgelegt. Auf ein Jahr gerechnet liegt die Steigerungsmöglichkeit bei den landeseigenen Wohnungen mit 2,9 Prozent laut neuer KoopV sogar darüber.
Die staatliche Wohnraumversorgung ist in der Verantwortung – besonders für Haushalte mit kleinen Einkommen
Das allgemeine Leistbarkeitsversprechen der städtischen Wohnungsunternehmen an ihre Mieter:innen sieht vor, dass Miethaushalte nur einen bestimmten Anteil ihres Einkommens für die Nettokaltmiete ausgeben müssen. Diese individuelle Obergrenze lag bisher bei 30 Prozent des Nettohaushaltseinkommens. Die neue Vereinbarung senkt sie auf 27 Prozent, allerdings abhängig von der Personenanzahl im Haushalt und der Wohnfläche. Ob die Absenkung um drei Prozentpunkte ausreicht, die Haushalte um die gestiegenen Betriebs- und Energiekosten zu entlasten, ist fraglich. Wir hatten eine Härtefallregelung zur Bruttokaltmiete gefordert, in der die kalten Betriebskosten enthalten sind. Zahlreiche Mieter:innen der LWU hatten schon bei der letzten Betriebs- und Heizkostenabrechnung hohe Nachforderungen zu schultern. Künftig wird das nicht anders aussehen.
Seit dem vergangenen Jahr rückte die Verschuldung der städtischen Wohnungsunternehmen zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Die LWU müssten wieder wirtschaftlich eigenständige Marktakteure werden und nicht mehr am Tropf staatlicher Kapitaleinlagen hängen, forderte der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) jüngst auf einer Fachtagung – Rollback in die Zeiten der Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung?
Die derzeitigen Rahmenbedingungen erfordern jedoch eine breite öffentliche Wohnraumversorgung, besonders für die Haushalte mit den kleinsten Einkommen – fast ein Drittel der Berliner Haushalte verfügt über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 2.000 Euro im Monat. Doch ausgerechnet für diese Haushalte verschlechtert die neue KoopV den Zugang zu Wohnraum erheblich. Die bisherige Regelung legte für diese Gruppe eine Quote von 63 Prozent für die Wiedervermietung von Wohnungen fest. Die neue Vereinbarung halbiert diese Quote. Grund ist die jüngste Ausweitung der Wohnberechtigungsscheine auf mittlere Einkommen (bis zu 220 Prozent der Bundeseinkommensgrenze). Zur Erinnerung: Die schwarz-rote Koalition in Berlin hat im Juni 2023 zusammen mit den neuen Förderrichtlinien für den sozialen Wohnungsbau den WBS 220 eingeführt. Dieser ermöglicht Haushalten mit mittleren Einkommen den Zugang zu einer neuen Kategorie von Sozialwohnungen mit Ausgangsmieten von 11,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt. Statt mehr Wohnraum für kleine Einkommen zu schaffen, verkleinert die neue KoopV das Angebot. Unsere Geschäftsführerin Ulrike Hamann-Onnertz hatte darauf bereits in unserer Pressemitteilung eindrücklich hingewiesen.
Angesichts der neuen Regelungen, die am Bedarf der Berliner Mieter:innen vorbeigehen, werden die LWU ihrem sozialen Auftrag nicht mehr gerecht. Dabei muss die staatliche Wohnraumversorgung in Zeiten von großer Wohnungsnot und multiplen Krisen – also genau jetzt – in ein soziales Gegengewicht im Wohnungsmarkt investieren und eine Vorreiterrolle bei der energetischen Gebäudeertüchtigung übernehmen. Mit der neuen KoopV wird das nicht gelingen.
Ein Beitrag von Franziska Schulte
19.10.2023