Mit der Lokalbau-Strategie unterstützt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine gemeinwohlorientierte und kooperative Stadtentwicklung. Wir haben mit Magnus Hengge, langjähriger wohnungspolitischer Aktivist und Team-Mitglied von Lokalbau, über die innovative Strategie und die praktische Umsetzung gesprochen.
Lieber Magnus, was steckt hinter der Lokalbau-Strategie?
Es gibt im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg eine unterstützende Haltung dafür, bei Projektentwicklungen auf die Stärken von kooperativen Verfahren zu setzen. Beispiele dafür sind das Modellprojekt am Rathausblock/Dragonerareal mit der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), die Neubauentwicklung an der Franz-Künstler-Straße mit der Gewobag, die Quartiersentwicklung am Block 616 neben dem Mehringplatz an der südlichen Friedrichstraße oder die Entwicklung am RAW-Areal in Friedrichshain, wo es darum geht, mitten in einem privaten Entwicklungsprojekt das soziokulturelle Leben zu erhalten. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg setzt dabei darauf, weitere Akteure wie Mietinteressenten oder Träger einzubeziehen. Letztlich geht es bei der Lokalbau-Strategie immer darum, möglichst dauerhaft bezahlbaren Raum herzustellen oder zu erhalten, der gemeinwohlorientiert genutzt werden kann – wenn möglich mit doppeltem Fokus: sowohl im Bereich Wohnen als auch bei gewerblichen Räumen für soziale, nachbarschaftliche oder kulturelle Nutzungen. Manche Verfahren zielen auch auf angrenzende Themen ab, wie zum Beispiel eine bessere Ökobilanz der Projekte oder den Erhalt von Baumbeständen oder Grünräumen.
Was ist eure Aufgabe dabei?
Das Lokalbau-Team besteht aus zwei Personen: Konrad Braun von openBerlin e. V. und mir. Wir kümmern uns im Auftrag des Bezirksamtes um die praktische Umsetzung dieser Strategie. Wir helfen bei der Moderation und Koordinierung der vielen kleinen Prozessschritte, die solche Projekte mit vielen Akteuren mit sich bringen. Dabei haben wir immer auch die Menschen im jeweiligen Quartier im Blick. Wir binden sie über informelle Beteiligungsverfahren in die Prozesse ein und unterstützen sie dabei, selbst ins Handeln zu kommen, damit sie die gewünschten Bedarfe im jeweiligen Projekt umsetzen können. Adressaten unserer Bemühungen sind alle, die entweder versuchen, Raum für gemeinwohlorientierte Nutzungen herzustellen und natürlich die Nutzer:innen selbst, für die solcher Raum hergestellt wird.
Wie organisiert ihr eure Arbeit?
Selbstverständlich können wir diese komplexen Aufgaben nicht allein stemmen. Das geht nur durch Kooperation mit vielen anderen Akteuren. So entstehen um die einzelnen Projekte zum Teil weitverzweigte Netzwerke, die wir auf der Plattform Baustelle-Gemeinwohl.de als unserem zentralen Kommunikationskanal abbilden. Dort dokumentieren wir die einzelnen Prozessschritte und bündeln alle wichtigen Informationen rund um die jeweilige Baustelle. Interessierte haben so die Möglichkeit, auch in laufende Projekte noch einzusteigen.
Welche konkreten Schritte unternehmt ihr, um sicherzustellen, dass Neubauentwicklungen den Bedürfnissen und der Leistbarkeit der Gemeinschaft in Friedrichshain-Kreuzberg entsprechen?
Jedes Projekt bringt neue Herausforderungen mit sich. Ein Fragenkatalog hilft uns dabei, diese gleich zu Beginn zu erkennen: Wer sind die Eigentümer:innen? Wer sind die Stakeholder? Welches Baurecht liegt vor? Um welche Art von Gebiet geht es? Gibt es Förderkulissen? Welche Bedarfe zeigen sich im Sozialraum und im Umfeld? Wie können wir die Anwohner:innen erreichen? Aus den Antworten arbeiten wir für jedes Projekt die spezifischen Potenziale heraus. Während der eine Ort ein großes Potenzial für den Bau vieler Wohnungen bietet, geht es an einem anderen darum, dass ein von Verdrängung bedrohter Sportverein eine neue Sportstätte bekommt. An einem dritten könnte ein Mix aus Museen und Geflüchtetenunterkunft entstehen. Abschließend versuchen wir, für die Stakeholder des Projekts ein Verfahren zu finden, um diese Potenziale zu erschließen.
Kannst du uns ein oder zwei konkrete Beispiele nennen?
Beim Vorhaben an der Franz-Künstler-Straße haben wir intensiv am städtebaulichen Konzept mitgearbeitet. Das Ziel: Das Projekt soll einerseits das Maximum an bezahlbarem Wohnraum ermöglichen, andererseits sollen unter Erhalt vieler Bäume auch größere Grünflächen entstehen. Beim Projekt auf Block 616 an der südlichen Friedrichstraße haben wir mit Vorstudien das Potenzial aufgedeckt, das die Teilüberbauung einer Straße eröffnen würde. Dadurch haben wir das Ziel gestärkt, mehr auf bereits versiegelten Flächen zu bauen, statt unversiegelte Flächen zu beanspruchen. In beiden Fällen koordiniert Lokalbau weitere Dienstleistende, die Beteiligungsmaßnahmen durchführen.
Ihr seid auch am Abrissvorhaben des Wohnkomplexes am Hafenplatz beteiligt.
Das Vorhaben am Hafenplatz ist für unsere Arbeit ein eher untypisches Beispiel. Hier haben wir keinen Auftrag für den Entwicklungsprozess selbst, sondern haben versucht, für Transparenz zu sorgen. Als Lokalbau-Team haben wir geholfen, auf der Plattform Baustelle-Gemeinwohl.de ein Stellungnahmeverfahren darzustellen. Also haben wir alle Ergebnisse und Hintergrundinformationen zur Einschätzung der Energiebilanz eines von den Vorhabenträgern geforderten Abriss-Neubau-Projektes zugänglich gemacht. Wir versuchen in diesem Prozess für die nötige Transparenz zu sorgen, haben aber keinen Auftrag beim Entwicklungsprozess selbst.
Wie können wir uns die Umsetzung der Lokalbau-Strategie praktisch vorstellen? Welche Akteure ladet ihr ein und wie laufen dann die Beteiligungsverfahren ab?
Die genannten Beispiele zeigen schon, dass die praktische Umsetzung von Projekt zu Projekt ganz unterschiedlich ist. In der Regel sind wir aber für das Projektmanagement zuständig: Gesteuert durch das Bezirksamt gehen wir von einem Meilenstein zum nächsten, um die Prozesse vorzubereiten, zu starten und schließlich so weit zu durchlaufen, dass geplant und gebaut werden kann. Ein wiederkehrendes Format der Beteiligung sind die Stadtwerkstätten. Dazu laden wir die Stakeholder im Umfeld eines Vorhabens, die möglichen Kooperationspartner:innen und die zuständigen Mitarbeitenden aus der Verwaltung ein, um den Prozess gemeinsam einen Schritt weiterzubringen. Je nachdem, wo wir bei einem Projekt gerade stehen, kann so eine Stadtwerkstatt inhaltlich und methodisch recht unterschiedlich sein. Die Einladung läuft immer über die Plattform Baustelle-Gemeinwohl.de, auf der wir auch die Ergebnisse jeder Stadtwerkstatt veröffentlichen.
Wie gelingt es, die gemeinwohlorientierte Nutzung sicherzustellen?
Nutzungen dauerhaft festzuschreiben, ist eine Herausforderung. Wir kennen das aus dem sozialen Wohnungsbau, der eine Bindungsdauer von nur 30 Jahren erreicht. Andere Nutzungen wie zum Beispiel das Geflüchtetenwohnen ist auf maximal elf Jahre befristet. Danach können die Wohnungen dann in den freien Mietmarkt übergehen. Eine gemeinwohlorientierte Nutzung im gewerblichen Bereich ist nur schwer festzuschreiben. Ein Modellprojekt dafür ist aber die Sicherung des soziokulturellen Zentrums RAW Kultur L auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain. Hier soll der kooperative Bebauungsplan die gewachsene soziokulturelle Nutzungsstruktur für 30 Jahre sichern. Planungsrechtlich sind die Hürden bei Gewerberäumen hoch, hier stehen wir erst am Anfang. Natürlich haben landeseigene Flächen auf Grundlage von Kooperationsvereinbarungen oder auch mittels Erbbaurechtsverträgen ganz andere Möglichkeiten – die werden aus unserer Sicht noch zu wenig genutzt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Franziska Schulte
14.03.2024