Unsere diesjährige Delegiertenversammlung war eine Plattform für intensive Diskussionen über die drängenden Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt. Sowohl von den Vortragenden als auch von den Delegierten war der Ruf nach politischem Handeln und sozialer Verantwortung deutlich zu hören.
Die Eingangsvorträge des Abends kamen von Lukas Siebenkotten, Präsident unseres Dachverbands Deutscher Mieterbund (DMB), sowie der Politikerin Cansel Kiziltepe (SPD, Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung). Sie äußerten sich zum aktuellen Wohnungsmarkt und den notwendigen politischen Maßnahmen.
Lukas Siebenkotten über die Lage auf den Wohnungsmärkten
Lukas Siebenkotten eröffnete die Versammlung mit einem ernsten Blick auf die aktuellen Entwicklungen und einer kritischen Analyse der wohnungspolitischen Lage. Als Präsident des DMB betonte er: „Das historische Wachstum von 4,5 Prozent der Mitgliederzahlen im Berliner Mieterverein im Jahr 2023 ist zwar Grund zur Freude, aber auch ein trauriges Zeichen für die dramatische Lage der Mieter:innen auf dem Berliner Wohnungsmarkt.“ Abermals kritisierte er die Untätigkeit der Bundesregierung und deren Unfähigkeit, zumindest die im Koalitionsvertrag festgelegten wohnungspolitischen Maßnahmen endlich umzusetzen. Dazu zählen insbesondere die Absenkung der Kappungsgrenzen von 15 auf 11 Prozent in angespannten Wohnungsmärkten. Aber auch die Novellierung der Mietpreisbremse, deren Verlängerung die Bundesregierung über 2025 hinaus in den vergangenen Wochen angekündigt hat, ist offenkundig nicht geplant. „Das ist ein politisches Armutszeugnis. Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund“, stellte Siebenkotten zynisch fest, „wobei der Schwanz weder SPD noch Grüne sind.“
Weiterhin konstatierte er: Die politischen Entscheidungsträger:innen sprächen sich zwar für Maßnahmen wie die Neue Wohngemeinnützigkeit aus, entschieden sich jedoch für die Variante mit vergünstigten Abgaben, anstatt ein Gesamtkonzept für gemeinwirtschaftliches Handeln und dauerhafte Mietpreisbindungen sicherzustellen. „Das ist genauso traurig wie die Verzögerung bei der Einführung einer Mietpreisüberprüfungsstelle in Berlin sowie die unzureichende Konzentration auf den Bau von Sozialwohnungen durch die Wohnungswirtschaft“, so Siebenkotten. Er betonte, dass eine soziale Wohnungspolitik und Klimapolitik keine Gegensätze sein dürften und die Bezahlbarkeit der Energiewende und Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudebereich für Mieter:innen gewährleistet sein müsse. Und das könne funktionieren, wie eine Neuauflage der Drittelmodellstudie aus dem ifeu Institut zeigt. Der DMB hatte gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) die Neuberechnung der Kostenverteilung für Maßnahmen zur Energieeinsparung und Reduzierung von CO2-Emissionen bei Wohngebäuden erst kürzlich vorgestellt.
Cansel Kiziltepe fordert sozialen Zusammenhalt
Cansel Kiziltepe brachte als Senatorin für Arbeit und Soziales in ihrem anschließenden Gastvortrag die Sicht der Politik in die Diskussion ein. Vorstand und Geschäftsführung hatten die Kreuzbergerin zum Thema Migrationsgesellschaft eingeladen. Die Delegierten und Gäste des BMV erwarteten dabei wohl auch Antworten auf eben jene Probleme, die Lukas Siebenkotten zuvor eindringlich dargelegt hatte.
„Wohnen ist ein Menschenrecht“, eröffnete die Berliner Sozialsenatorin ihren Impulsvortrag. Es sei dringend nötig, Kieze zu stärken und nachbarschaftliches Miteinander zu fördern, dafür müsse die soziale Infrastruktur in den Quartieren ausgebaut und verstetigt werden. Genau das sei eine ihrer zentralen Aufgaben, ebenso wie die Suche nach Wohnungen für am Wohnungsmarkt benachteiligte Menschen. Zu viele Menschen in Berlin seien wohnungslos. Armutsbetroffene Menschen, Frauen mit und ohne Kinder, Betroffene von häuslicher Gewalt sowie Geflüchtete seien in einer ausweglosen Situation, in der schon für Menschen mit normalen Einkommen die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung schwierig bis unmöglich geworden sei. Die Entwicklung am Wohnungsmarkt sei die wichtigste Frage an die Politik. „Berlin hat eine Wohnungsnot“, sagte die Senatorin. Die Angebotsmieten seien von den Einkommen abgekoppelt. Die Auswüchse des Kapitalismus und einer zu schnell wachsenden Bevölkerung habe diese Krise herbeigeführt. Es sei ein Skandal, dass die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung bislang nicht umgesetzt wurden.
Sie weiß auch, wie wichtig gute Integrationspolitik sei. Als Kind türkischer Gastarbeiter blickt sie auf die eigene familiäre Migrationsgeschichte zurück. „Damals gab es den gesellschaftlichen Anspruch nicht, die Integration von Gastarbeiter:innen zu fördern.“ Es darf nicht sein, dass wir Zustände wie in Paris bekommen, in denen die Menschen mit wenig Geld oder Migrationsgeschichte an den Rand der Stadt in die Banlieues verdrängt werden“, sagte sie mit energischer Stimme. „Die Bezahlbarkeit ist die Grundlage, auf der die Stadt aufbaut.“ Es müsse in einer Großstadt möglich sein, dass auch einkommensschwächere Menschen arbeitsnah und in den Innenstadtbereichen wohnen können. Daher müssten in den Stadtquartieren integrierte Wohnungen geschaffen werden. Unsere Aufgabe ist es, Nachbarschaften zu stärken und zu fördern. Wir müssen uns der Verdrängung der Menschen und Zugewanderten in die Peripherie, an die Stadtränder entgegenstellen.
Sie griff die von Lukas Siebenkotten kritisierte Untätigkeit der Bundesregierung auf und bezeichnete die mangelnde Umsetzung von Wohnungsbauprojekten sowie die frühere Privatisierung großer kommunaler Wohnungsbestände als „inakzeptabel“. Daher begrüße sie den jüngsten Ankauf von 4.500 Vonovia Wohnungen durch das landeseigene Wohnungsunternehmen Howoge. Um jedoch den Bedarf zu decken, müsse auch neu gebaut werden. Sie erwähnte zudem die erhebliche Aufstockung des Wohngelds und die Intensivierung der Förderung für den sozialen Wohnungsbau durch die Bundesregierung in den kommenden Jahren. „Wir brauchen faire Mietbedingungen, die das soziale Miteinander möglich machen und die soziale Mischung erhalten“, schloss die Senatorin ihren Vortrag.
Heizkosten, Vergesellschaftung, Mangel an Infrastruktur in Marzahn
Trotz deutlicher Worte bleiben Zweifel an der ernsthaften Bereitschaft, für grundlegende Veränderungen zu kämpfen. Einige Delegierte richteten drängende Fragen an die Senatorin. Frau R. aus Marzahn berichtet, dass in ihrem Kiez drei große Wohntürme errichtet würden. Die ursprünglichen Bebauungspläne seien ohne Beteiligung der Bewohnerschaft verändert worden, die soziale Infrastruktur, welche insbesondere für die Integration der Menschen nötig sei, sei nicht mitgedacht worden. „Neubau, Neubau, Neubau und das vor dem Hintergrund der Privatisierung riesiger kommunaler Wohnungsbestände – wir fühlen uns von der Politik veräppelt und allein gelassen.“
Trotz der Kritik dankte Kiziltepe für den respektvollen Ton. Sie war in zahlreichen Kiezen unterwegs und habe dort mit den Menschen gesprochen und ähnliches gehört. Sie werde das auf jeden Fall mitnehmen und mit Herrn Gäbler, dem Senator für Stadtentwicklung, besprechen.
Eine weitere Frage thematisierte die enormen Heizkostenabrechnungen, die zahlreiche Mieter:innen Ende 2023 erhalten hatten. Die Anwesenden wollten wissen, ob die Politik den Mieter:innen in Hinblick auf die massiven Heiz- und Nebenkosten mehr unter die Arme greifen könne. Kiziltepe meinte, dass die Gas- und die Strompreisbremse an dieser Stelle die „gelungene Arbeit der Bundesregierung“ zeige. 20 Milliarden Euro wurden dafür im Jahr 2023 bereitgestellt, weshalb sie eine aktuelle Notlage der Mieter:innen nicht nachvollziehen könne. Überraschend wirkte ihre Unkenntnis darüber, dass viele Mieter:innen hohe Nachforderungen für die Heiz- und Nebenkosten des Jahres 2022 erhalten hatten. Dies ist besonders verwunderlich, da der Senatsverwaltung Soziales bekannt sein sollte, dass zahlreiche Sozial- und Schuldnerberatungen von einer hohen Nachfrage nach Unterstützung Anfang des Jahres überrannt wurden.
Eine weitere Frage aus den Reihen der Delegierten bezog sich auf das durch die Landesregierung verschleppte Vergesellschaftungsgesetz. Es sei der richtige Weg, zunächst ein Vergesellschaftungsrahmengesetz zu verabschieden und dieses einer Normenkontrollprüfung durch das Verfassungsgericht zu unterziehen: „Erst dann ist der Weg frei für die konkrete Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände der Konzerne“, so die Senatorin.
Im Anschluss an die Vorträge wurden die diesjährigen Anträge beschlossen. Ein besonders wichtiger: Die Delegierten stimmten mit großer Mehrheit dafür, dass der BMV sich aktiv gegen jegliche rassistische, antisemitische, islamfeindliche Form von Gewalt aussprechen werde. Damit setzen die Mitglieder das Signal, für eine sozial gerechte Gesellschaft und ein respektvolles Miteinander einzustehen.
Die Versammlung endete mit dem klaren Signal, dass der Druck für grundlegende Veränderungen in Richtung Politik weiter aufgebaut und aufrechterhalten werden muss. Es liegt an den politischen Entscheidungsträger:innen, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Wohnungsnot in Berlin und anderswo zu bekämpfen sowie ein respektvolles und solidarisches Miteinander zu fördern. Dafür braucht es offenkundig noch mehr politischen Willen. Die bevorstehende Mietendemo am 1. Juni 2024 und die Wahlen zum neuen EU Parlament am 9. Juni 2024 werden zeigen, wie die wohnungspolitische Lage von der Bevölkerung bewertet wird.
vc
22.05.2024