Seit 2023 ist Carla Dietrich kommissarisch im Vorstand des Mietervereins, jetzt will sie sich auf der Delegiertenversammlung am 19. Mai 2024 für die nächsten drei Jahre wählen lassen. Die Gewerkschafterin und studierte Politikwissenschaftlerin engagierte sich in den vergangenen Jahren für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft. Wir haben sie gefragt, was ihre Visionen für einen starken Mieterverein sind.
Welche Erfahrungen machst du bei ver.di mit den Arbeitnehmer:innen der Wohnungswirtschaft?
In der Wohnungswirtschaft gibt es Beschäftigte erster, zweiter und dritter Klasse. Prinzipiell regelt der Flächentarifvertrag die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft, darunter fallen Beschäftigte sowohl in Verwaltungsbereichen als auch in allen Facility-Bereichen, wie zum Beispiel Hausmeister:innen und Handwerker:innen; aber unter diesen Flächentarifvertrag fallen de facto nicht mehr alle Beschäftigten. Die landeseigenen Wohnungsunternehmen und einige Genossenschaften wenden ihn zwar an, aber nur für ihre Beschäftigten in den Verwaltungsbereichen. Das sind die Beschäftigten erster Klasse.
Gesobau, Degewo sowie Stadt und Land haben Tochterunternehmen gegründet, die die Hausmeister:innen und Handwerker:innen beschäftigen. Für die Beschäftigten dort hat ver.di Haustarifverträge erkämpft, die aber bei weitem nicht an das Niveau des Flächentarifvertrags herankommen. Insbesondere beim Entgelt, bei der Arbeitszeit und bei den Sonderzahlungen sind die Kolleg:innen deutlich schlechter gestellt. Das sind die Beschäftigten zweiter Klasse.
Dann aber gibt es noch die Beschäftigten dritter Klasse, nämlich diejenigen, für die kein Tarifvertrag gilt. Diese finden sich insbesondere in den privaten Wohnungsunternehmen.
Wir haben einst versucht bei Vonovia – damals hießen sie noch Deutsche Annington – mit Beschäftigten einen Tarifvertrag zu erkämpfen. Was soll ich sagen: Wer seine Mieter:innen schlecht behandelt, behandelt in der Regel auch seine Beschäftigten nicht besser. Herr Buch (Vorstandsvorsitzender Vonovia) hat vor zehn Jahren die Devise ausgegeben, dass es mit ihm keine Tarifverträge geben wird – und auf dem Stand sind wir leider heute noch.
Wie hängen Arbeits- und Mieter:innenkämpfe zusammen?
Arbeits- und Mieter:innenkämpfe sind untrennbar miteinander verbunden und gehen aus ähnlichen Ungerechtigkeiten hervor. Niedrige Löhne und prekäre Arbeitsbedingungen erschweren es Arbeitnehmer:innen, ihre Mietkosten zu decken, während steigende Mieten die finanzielle Belastung erhöhen. Gewerkschaften setzen sich daher für faire Löhne und bezahlbaren Wohnraum ein, da beides grundlegende Bedürfnisse der Arbeitnehmer:innen sind.
In einer Stadt wie Berlin, in der die Mieten exorbitant steigen, in denen zu wenig bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht, ist es wichtig, dass wir Arbeits- und Mieter:innenkämpfe zusammendenken. Übrigens nicht nur aus dem Grund, weil sich immer weniger Beschäftigte in dieser Stadt eine Wohnung leisten können. Sondern auch, weil Mieter:innen von guten Arbeitsbedingungen bei ihren Wohnungsunternehmen profitieren.
Wenn ein Wohnungsunternehmen beispielsweise an Hausmeister:innen spart und diese keine guten Arbeitsbedingungen haben – weil sie zu viele Einheiten betreuen, zu wenig Erholungsphasen oder keine Vertretungsregelungen haben – merken das natürlich auch die Mieter:innen. Die Gewobag etwa beschäftigt seit Jahren keine eigenen Hausmeister:innen mehr, sondern hat den Bereich ausgelagert. Solche Verträge lassen kaum gute Arbeitsbedingungen zu, die Beschäftigten sind deutlich schlechter bezahlt als bei der WBM (Wohnungsbaugesellschaft Mitte) oder bei der Gesobau. Da muss man sich nicht wundern, dass die Mieter:innen sich mittlerweile lauthals auch über die Presse beschweren. Für uns gibt es einen Zusammenhang zwischen guten Arbeitsbedingungen und zufriedenen Beschäftigten auf der einen Seite sowie guten Mietbedingungen auf der anderen Seite.
Was können wir und die Berliner Mieter:innenbewegung von gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen lernen?
Die Arbeitskämpfe sind in den letzten Jahren insbesondere im Dienstleistungssektor
konfliktorientierter und erfolgreicher geworden. Das konnten wir nur schaffen, weil sich Beschäftigte ihrer Macht und Wirkung bewusster geworden sind und sich nicht mehr mit Krümeln abspeisen lassen. Uns ist es wichtig, dass wir als Gewerkschaft die Menschen dabei unterstützen, sich zusammenzuschließen. Wir haben gelernt, dass die Stellvertretung durch uns allein nicht ausreicht, das bedeutet, dass nicht wir als Hauptamtliche für die Beschäftigten sprechen, sondern wir die Beschäftigten in die Lage versetzen, für ihre Belange zu sprechen und zu kämpfen. Sie müssen an allen Entscheidungen, zum Beispiel was wir fordern und wie wir als Gewerkschaft wirkmächtiger werden, beteiligt werden. Nur dann kann eine unglaubliche Kraft von unten entstehen. Wir geben inzwischen viele Ressourcen in diese organisierende Arbeit. Das war keine einfache und leichte Entscheidung, die wir über Nacht getroffen haben, sondern die lang dauerte und viele Diskussionen mit unseren Haupt- und Ehrenamtlichen erforderte. Es gab auch immer wieder Erfolgserlebnisse, die gezeigt haben, dass es geht, dass es ver.di insgesamt nach vorn bringt, nicht nur im Betrieb, sondern auch über Branchengrenzen hinweg. Von diesem Veränderungsprozess können wir für den BMV vielleicht etwas lernen.
Welche Erfolgserlebnisse fallen dir spontan ein?
Wir haben eine Reihe von Arbeitskämpfen geführt, insbesondere in den Tochterunternehmen der landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU). Es gab Zeiten, da haben die Hausmeister:innen lediglich den Landesmindestlohn bekommen. Das konnten wir deutlich steigern. Allerdings ist da noch viel Luft nach oben, weil sie weiterhin 10 bis 20 Prozent weniger verdienen, als im Flächentarifvertrag geregelt ist. Insbesondere für landeseigene Unternehmen, die eine soziale Verpflichtung auch gegenüber ihren Beschäftigten haben, ist das beschämend, wie ich finde.
Auch die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) haben wir nach einer langen Zeit der Sanierung zurück in den Flächentarifvertrag geholt. Die Beschäftigten haben gemeinsam dafür gekämpft. Das hat mich damals 2018/2019 sehr beeindruckt. Heute ist die WBM die einzige der LWU, die auch Hausmeister:innen fair behandelt und komplett im Flächentarifvertrag eingestellt hat.
Mit welchen strukturellen Forderungen könnte eine themenübergreifende Bewegung antreten?
Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass Forderungen dann anschlussfähig sind, wenn sie an der Lebensrealität der Menschen ansetzen, also wenn sie konkret sind und wenn die Menschen das Gefühl haben, ehrlich beteiligt zu werden. In Anbetracht dessen, wie wichtig das Thema bezahlbares Wohnen mittlerweile ist, sind Gewerkschaften natürliche Bündnispartner der Mieter:innenbewegung geworden. Das hat sich beispielsweise auch darin gezeigt, dass viele Gewerkschaften – auch wenn die politische Führung das vielleicht nicht immer gut fand – den Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE) letztlich breit unterstützt hat. Von ver.di habe ich nichts anderes erwartet, dass aber andere Gewerkschaften mitgemacht haben, hat mich damals überrascht. Das zeigt auch, dass Gewerkschaftsmitglieder, die in ihren Organisationen aktiv sind und deren Arbeit mitgestalten, bereits Teil der Mieter:innenbewegung sind. Und das war für mich, die immer versucht hat, Tarifkämpfe auch politisch und in Netzwerken zu denken, besonders schön zu sehen.
Was hältst du von Mietstreiks verbunden mit kollektiver Mietzahlungsverweigerung, um die Ziele der Mietenden zu erreichen?
Die grundsätzliche Funktion von Streiks ist ja, dass irgendwann mit dem Reden genug ist, weil es nicht weitergeht. Im Arbeitsleben ist das zum Glück ziemlich gut geregelt, auch wenn es da immer wieder Angriffe auf das Streikrecht gibt. Im politischen Raum oder in Bezug auf Vermieter:innen fehlt so etwas gänzlich. Ich kann das Ansinnen eines Mietstreiks gut verstehen und stehe diesem grundsätzlich positiv gegenüber. Schließlich bedeutet es für mich Gerechtigkeit, auch Waffengleichheit (formales Kräftegleichgewicht). So nennen wir das im Betriebsverfassungsrecht. Und wenn ein Aufzug monatelang nicht funktioniert, ein Haus kaputtgespart wird und überall Schimmel ist, wächst der Druck bei den Mieter:innen enorm. Das Problem ist, dass es in Deutschland keine Waffengleichheit im Mietrecht gibt und kollektive Mietstreiks zwar als legitimes Mittel erscheinen, sie im Zweifel aber nur dazu führen, dass der Verlust der Wohnung riskiert wird und manch einem Vermietenden damit auch noch ein Gefallen getan wird.
Wichtiger als Mietstreiks finde ich deswegen, gemeinsam für Waffengleichheit bzw. ein Kräftegleichgewicht zwischen Mietenden und Vermietenden zu kämpfen, also für deutliche Verbesserungen im Mietrecht. Das schaffen wir aber nur, wenn wir genügend Druck ausüben, sodass ein Bundesminister nicht mehr sagen kann, er sehe keinen Bedarf für Verbesserungen. Dafür brauchen wir eine Massen-Mieter:innenbewegung.
Was sind deine konkreten Ziele als Vorständin des BMV?
Das Stichwort Massen-Mieter:innenbewegung gefällt mir. Der BMV ist der größte Verein Berlins. Und doch ist es nicht so, als würden Mieter:inneninteressen in dieser Stadt eine Priorität sein. Immer noch zählen die Interessen der Bau- und Immobilienlobby mehr als die der Mieter:innen. Wir sind inhaltlich wahnsinnig kompetent, vertreten die Interessen der Mieter:innen hervorragend und sind in Bündnissen aktiv. Die Medien fragen uns, aber die Politik hört nicht oder nur selten auf uns. Bei Tarifverhandlungen habe ich gelernt, dass man nichts erreicht, wenn man nicht mindestens den Anschein erweckt, richtig Druck ausüben zu können, sprich die Beschäftigten hinter sich zu haben und im Zweifel zu streiken. So verhält es sich auch mit den politischen Entscheidungsträgern. Wir müssen Druck ausüben können, damit keiner mehr an uns vorbeikommt und sich beispielsweise deutliche Mieterhöhungen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen erlauben kann.
Ich denke auch, dass wir noch mehr Zeit in Bündnisarbeit und Netzwerke investieren müssen. Im Bündnis „wir fahren zusammen” haben wir beispielsweise die Tarifbewegung im öffentlichen Nahverkehr mit Fridays for Future zusammengebracht. Solche Schulterschlüsse müssen wir auch in der Mieter:innenbewegung finden und schaffen. Ich kann mir vorstellen, dass viele unserer Mitglieder Ideen haben, wie wir wirkmächtiger werden. Wir sollten sie fragen.
19.04.2024