Wohnraum bedient ein elementares Grundbedürfnis: Er sollte Rückzugsort und Schutzraum sein. Doch der Zugang zu ihm ist nicht für alle gleich. Trotz einiger Schutzmechanismen ist Diskriminierung leider noch immer alltäglich. Was sind die größten Baustellen und was könnte eine Demokratisierung der Wohnungswirtschaft gegen Diskriminierung bewirken?
Diskriminierung drückt sich nicht ausschließlich in Ausgrenzung, verbaler oder körperlicher Gewalt aus. Sie findet sich ebenso in benachteiligenden Regelungen und Entscheidungsprozessen. Allen Formen ist gemein, dass sie schwer greifbar sind und auf den unterschiedlichsten Ebenen stattfinden: bei der Wohnungssuche und -vergabe, in Mietverträgen, im nachbarschaftlichen Umfeld oder durch rechtliche Aufenthaltsbestimmungen. Diskriminierung geschieht auch nicht immer bewusst – sie ist strukturell in unserer Gesellschaft verankert. Zu ihrer Bekämpfung bedarf es daher der Sensibilisierung aller. Die Komplexität, die sich daraus ergibt, ist eine der großen Herausforderungen zur Bekämpfung von Benachteiligung.
Schärfung der rechtlichen Situation im Blick
Institutionen und Initiativen der Antidiskriminierung arbeiten deshalb in allen Lebensbereichen multiperspektivisch. In ihrem Engagement gegen Diskriminierung beim Wohnen schauen sie auf Zwischenmenschliches, auf Auswahlkriterien und auf allgemeine Wohnungsmarktpraktiken. Ihr juristischer Werkzeugkoffer ist dabei zumindest nicht leer. Das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot gilt selbstverständlich auch auf dem Wohnungsmarkt. Seit 2006 ist zudem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, das Benachteiligungen aufgrund „(…) der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen soll“.
Eine Herausforderung ist dabei jedoch, dass Diskriminierung oft unter dem Radar abläuft und auch von den Betroffenen selbst nicht immer erkannt wird. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen kein Zugang zu juristischer Beratung besteht. Und wenn doch, folgt das Problem, dass nur wenige Anwält:innen auf das AGG spezialisiert sind – Handlungsspielräume bleiben unausgeschöpft. Auch die Gesetze selbst haben Mängel. Verschiedene Institutionen, darunter die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADB) und das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG), fordern zum Beispiel die Streichung von Paragraph 19 (3) AGG, der eine ungleiche Behandlung von Personen zum „Erhalt sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen“ zulässt und damit viel Spielraum zur impliziten Ausgrenzung und damit einhergehender Diskriminierung gibt. Die ADB setzt ebenfalls an rechtlichen Lücken an und unterstützt von Diskriminierung betroffene Personen darin, Rechts- und Handlungssicherhalt zu erhalten, indem sie verschiedene auf dem Wohnungsmarkt verbreitete Praktiken juristisch prüft.
Dialog und Teilhabe gegen Diskriminierung
Die Fachstelle gegen Diskriminierung Berlin hat den Instrumentenkoffer der Stadt erweitert und gemeinsam mit Vertreter:innen aus Zivilgesellschaft und Wohnungswirtschaft das Leitbild „Berlin vermietet fair!“ erarbeitet. Das Leitbild sieht keine Sanktionsmechanismen vor, sondern setzt auf umfassende Informationsverfügbarkeit mit Weiterbildungsangeboten und Dialogformaten. Die Unterzeichner:innen verpflichten sich zudem dazu, jährlich einen Erfahrungsaustausch zur praktischen Umsetzung des Leitbildes zu organisieren. Voraussetzung ist dafür allerdings, dass sich die Wohnungsunternehmen zur Unterzeichnung bereit erklären. Vor dieser Verbindlichkeit scheinen sich viele noch zu scheuen. Einige Wohnungsunternehmen beteuern, auch ohne öffentliche Zusicherung mittels einer Unterschrift, das Leitbild in der Praxis zu nutzen und umzusetzen. Sie halten sich damit aber Gestaltungsräume offen.
Der mit dem Leitbild umgesetzte Dialogansatz ist jedoch auch auf anderen Ebenen wichtig und lenkt den Blick auf die Bedeutung demokratischer Strukturen als Mittel gegen Diskriminierung. Demokratische Teilhabe schafft Sichtbarkeit. Sie ermöglicht es, spezifische Problemlagen unterschiedlicher Akteure öffentlich zu erkennen, anzuerkennen und Forderungen zu stellen. Im Bereich Wohnen ist die Mitbestimmung und Mitgestaltung von Mieter:innen grundsätzlich ein wichtiger und notwendiger Schritt für die Entwicklung unserer Kieze und Nachbarschaften sowie des gesamten Wohnungsmarktes. Daher begrüßen wir es sehr, dass die Bundesregierung eine seit vielen Jahren bestehende Forderung zur Demokratisierung landeseigener Wohnungsunternehmen nun unterstützt und die Mitbestimmung von Mieter:innen durch die rechtliche Verankerung von Mieterbeiräten stärkt. Freiheit, Selbstbestimmung und Teilhabe sind darüber hinaus demokratische Grundrechte und in allen Lebensphasen und Lebenssituationen sicherzustellen – unabhängig von Alter, Herkunft, familiärer oder finanzieller Situation.
Bislang treffen die Probleme auf dem Wohnungsmarkt (ökonomisch) benachteiligte Gruppen jedoch besonders schwer. Gleichzeitig sind sie als Entscheidungsträger meist unterrepräsentiert. Als Gesellschaft müssen wir deshalb Strukturen schaffen, die nicht nur alle Menschen vor Ausgrenzung schützen, sondern aktiv in Entscheidungsprozesse einbinden und Mitgestaltungsmöglichkeiten fördern. Im Kern werden damit beim Wohnen neben der Zivilgesellschaft, der Politik und dem Recht sowohl das Gemeinwesen als auch die private Wohnungswirtschaft adressiert. So sind sie ganz konkret in der Lage, zu dieser großen Aufgabe etwas beizutragen – indem sie ihre Praktiken offenlegen, zugängliche Räume als Anlaufstellen sowie zur Mitbestimmung schaffen und Teilhabe für eine diverse Mieterschaft verbindlich in ihren Strukturen verankern.
VC
14.12.2022