Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) hat kürzlich neue Förderbestimmungen für den sozialen Wohnungsbau in Berlin angekündigt: Auch Haushalte mit mittleren Einkommen sollen Zugang zu geförderten Wohnungen erhalten. Profitieren werden allerdings vor allem private Investor:innen.
Bereits zu Beginn ihrer Amtszeit hatte die schwarz-rote Koalition angekündigt, die Wohnungsbauförderung auf Haushalte mit mittleren Einkommen auszuweiten. Hintergrund waren eine Untersuchung des Instituts Empirica und eine Datenauswertung von rbb24: Demnach sei das Angebot im mittleren Mietpreissegment eingebrochen, da es zu wenig Wohnungsneubau in diesem Segment gebe. Eine Argumentation, die zu kurz greift. Unerwähnt bleiben die allgemein hohen Steigerungen bei den Angebotsmieten – also der Verlust bezahlbarer Wohnungen – und die enorm zunehmende Anzahl temporärer und möblierter Vermietungsangebote, die das Angebot im mittleren Mietpreissegment verknappen. Folgende Zahlen verdeutlichen die angespannte Situation:
- Laut dem Berliner Wohnungsmarktbericht lagen 2022 rund 62 Prozent der Angebotsmieten über zehn Euro pro Quadratmeter nettokalt. Angebotsmieten ab 14 Euro pro Quadratmeter aufwärts stellten einen Anteil von 35 Prozent.
- Der Wohnungsmarktreport 2023 beziffert den Anstieg der Berliner Angebotsmieten von 9,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf durchschnittlich 11,50 Euro pro Quadratmeter.
- Eine Studie von ImmoScout zeigt darüber hinaus, dass der Anteil möblierter Wohnungen auf dem Portal von 13 Prozent im vierten Quartal 2018 auf 51 Prozent im Vergleichsquartal 2022 gesprungen ist. Damit gibt es auf der Plattform mittlerweile mehr möblierte als unmöblierte Wohnungen. Viele Eigentümer:innen versuchen auf diese Weise, die Mietpreisbremse zu umgehen und verlangen zum Teil überhöhte Mieten – teils zu Wucherpreisen.
Neue Einkommensgrenzen und höhere Fördervolumen
Bisher fördert Berlin Sozialwohnungen in zwei Segmenten: für Menschen mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein bis 140 Prozent (Fördermodell I mit einer Fördermiete von 6,60 Euro pro Quadratmeter) und bis 180 Prozent der Bundeseinkommensgrenze (Fördermodell II mit einer Fördermiete von neun Euro pro Quadratmeter). Jetzt soll mit dem WBS 220 eine weitere Stufe dazukommen. Die Bemessungsgrundlage für die geplante neue Förderung liegt bei 220 Prozent der Bundeseinkommensgrenze. Damit wären Haushalte mit einem Einkommen von bis zu 2.200 Euro (Single-Haushalte) und bis zu 3.465 Euro (Zwei-Personen-Haushalte mit zwei Kindern) berechtigt, den WBS zu beantragen und eine Wohnung in diesem Fördersegment anzumieten. Die Fördermiete soll für dieses Segment stattliche 11,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt betragen. Das entspricht exakt der vom Wohnungsmarktreport ermittelten durchschnittlichen Angebotsmiete für 2022.
Durch die Ausweitung wären in Zukunft rund 305.000 zusätzliche Haushalte berechtigt, eine Sozialwohnung anzumieten. Insgesamt hätten dann knapp 60 Prozent aller Berliner Haushalte die Berechtigung, eine geförderte Wohnung anzumieten. Die jährlichen Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau will Senator Gaebler dafür von derzeit etwa 750 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro verdoppeln. Doch Geld allein wird das Problem nicht lösen: Im vergangenen Jahr riefen Bauunternehmen nur 350 Millionen Euro an Fördergeldern für den Bau von 1.935 Sozialwohnungen ab.
Anreize für Investor:innen in einer verschärften Situation
Im Klartext bedeutet das: Deutlich mehr Haushalte hätten künftig Anspruch auf das bereits jetzt zu knappe Angebot an gefördertem Wohnraum. Wir befürchten, dass die Neuerung zulasten derjenigen geht, denen der soziale Wohnungsbau eigentlich besonderen Schutz geben sollte: den Haushalten mit niedrigen Einkommen. Hinzu kommt, dass der Vorschlag von Senator Gaebler eine Erhöhung der Einstiegsmieten im Fördermodell I und II vorsieht: im Fördermodell I von bisher 6,60 Euro auf sieben Euro, im Fördermodell II von neun Euro auf 9,50 Euro.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, alle Fördersegmente miteinander zu verknüpfen, um sicherzustellen, dass Bauunternehmen, die die Förderung in Anspruch nehmen, nicht ausschließlich das höchste Mietpreissegment realisieren und damit die Wohnberechtigten der WBS-Stufe 100 bis 140 benachteiligen. In diesem Segment besteht die deutlichste Verknappung. Daran wird auch die vorgesehene Quote von 30 Prozent in Verbindung mit dem neuen Fördermodell III nichts ändern, denn diese ist viel zu niedrig. Offenkundig ist die Einführung eines zusätzlichen Segments vor allem eins: Anreiz für private Investor:innen, hochpreisige Sozialwohnungen zu bauen.
Viel Geld, keine Nachhaltigkeit
In diesem Zusammenhang kritisieren wir auch, dass nach den neuen Förderbestimmungen die Fördermodelle II und III deutlich höhere Förderungen erhalten sollen als das Fördermodell I. Das Fördermodell I mit den niedrigsten Einstiegsmieten sieht die niedrigsten Förderbeträge vor! Auch die angekündigten Baukostenzuschüsse für dieses Fördermodell können diese Kürzungen bei weitem nicht aufwiegen. Schwer wiegt ohnehin, dass die Bundesgesetzgebung die vorzeitige Rückzahlung vergünstigter Förderdarlehen möglich macht und damit auch das vorzeitige Auslaufen der Mietpreis- und Belegungsbindungen in Kauf genommen wird. Den Baukostenzuschuss in den neuen Wohnraumförderbestimmungen (WFB 2023) dürfen Investor:innen zumindest anteilig behalten. Ein fatales Signal für Mieter:innen, die bereits seit Jahren mit den auslaufenden Sozialbindungen zu kämpfen haben. Die „soziale“ Zwischennutzung soll damit attraktiver für Investor:innen gestaltet werden.
Nach Ablauf von 30 Jahren enden die Förderverträge regulär und damit auch die Mietpreisbindungen. Angesichts der zur Verfügung stehenden 1,5 Milliarden Euro für Förderdarlehen und Baukostenzuschüsse muss jedoch gewährleistet sein, leistbare Mieten dauerhaft zu sichern. Denn die soziale Wohnraumversorgung ist für viele Menschen schon heute ein Nadelöhr.
Leistbare Wohnungen gibt es vor allem im Wohnungsbestand. Für uns ein Grund mehr, den Fokus auf massenhaften Neubau in Frage zu stellen und stattdessen die vielfältigen baulichen Lösungen in der bestehenden Gebäudestruktur, ein verschärftes Zweckentfremdungsverbotsgesetz gegen Abriss, Leerstand und Ferienwohnungen sowie das Recht auf Wohnungstausch in den Blick zu nehmen. Es braucht vor allem mehr Mieter:innenschutz wie Mietpreisbegrenzungen, damit die „leistbaren Wohnungen“ von heute es auch morgen noch sind.
Ein Beitrag von Franziska Schulte und Vera Colditz
14.06.2023