Das Problem der auslaufenden Sozialbindungen bleibt akut: 1.728 Miethaushalte sind im Bezirk Pankow in diesem und den kommenden Jahren bis 2030 vom Auslaufen der Mietpreis- und Belegungsbindungen der Förderverträge „Soziale Stadterneuerung“ der 1990er Jahre betroffen. Die Mieter:innen müssen sich auf sprunghaft ansteigende Mieten und Eigenbedarfskündigungen einstellen. Die in 2023 auch mit Unterstützung unseres Kiezprojekts gegründete Mietinitiative Pankow gegen Verdrängung hatte in einem Hearing des Initiativen Forum mit dem Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Christian Gäbler, den Krisengipfel vereinbaren können – wir haben die Teilnehmenden gefragt, wie es war.
Der Krisengipfel sollte echte Lösungsansätze herbeiführen. So war es zunächst ein Erfolg für die Engagierten bei Pankow gegen Verdrängung, dass sie in einem Hearing im Abgeordnetenhaus im September 2023 den Senator Christian Gäbler dazu bringen konnte, einem gemeinsamen Krisengipfel zuzustimmen. Am 15. März 2024 kamen nun rund 100 Teilnehmende zum Krisengipfel zusammen – vor allem aktive Mieter:innen. Sie wollten mit Mitarbeitenden der Senatsverwaltung für Bauen, Stadtentwicklung und Wohnen ihre Lösungsvorschläge zum Schutz der betroffenen Miethaushalte diskutieren. Organisiert wurde das Treffen von der Mieterinitiative Pankow gegen Verdrängung gemeinsam mit dem Mieterverein und der Senatsverwaltung. In jeder der drei angesetzten Arbeitsgruppen saßen neben den Mieter:innen und Mitgliedern der Senatsverwaltung auch externe Expert:innen, eingeladen von Initiative und Mieterverein. Sie sollten Ideen einbringen, die bisher von Seiten des zuständigen Senats noch nicht angedacht waren. Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Christian Gäbler hatte seine Teilnahme kurzfristig abgesagt, vertreten wurde er von Stephan Machulik, Staatssekretär für Mieter:innenschutz im Senat. Highlight im Auftaktplenum des Krisengipfels war die Übergabe von rund 1.700 Unterschriften, die für einen Offenen Brief mit den folgenden Forderungen in der betroffenen Mieter:innenschaft gesammelt werden konnten:
- Einen Härtefallfonds für Mieter:innen, die sich die steigende Miete nicht mehr leisten können
- Ein Verbot von Eigenbedarfskündigungen, aufgrund der angespannten Wohnungslage
- Ein Pilotprojekt für die Kommunalisierung der betroffenen Wohnungen
- Die Erarbeitung gemeinsamer, verbindlicher Lösungen mit den Vermieter:innen, damit Mieter:innen in den Wohnungen bleiben können
- Die Kontrolle und Durchsetzung der bestehenden gesetzlichen Pflichten der Vermieter:innen
Die Lösungssuche fand in drei Arbeitsgruppen statt:
- Zum „Schutz vor Eigenbedarfskündigungen und Zweckentfremdung“ forderten Mietrechtsanwält:innen und die Initiative ganz konkret die Einrichtung einer Prüfstelle, um gesetzlichen Mieter:innenschutz in den betroffenen Häusern zu überwachen.
- In der Arbeitsgruppe „Gemeinwohlorientierter Ankauf“ gaben Impulsvorträge von Genossenschaftsvertreter:innen aus Berlin und Hamburg Denkanstöße, wie Wohnungen in einer Art gestrecktem Erwerb angekauft werden können.
- Die Arbeitsgruppe „Dauerhafte Bindungen“ diskutierte im Anschluss an ein Impulsreferat von Rainer Tietzsch, Vorstandsvorsitzender im BMV, die Frage: Welche Regulierungen können im Rahmen des Wohnungswesens auf Landesebene umgesetzt werden?
Nach dem Krisengipfel haben wir einige Teilnehmende zu einem Fazit befragt. Hier ihre Antworten:
BMV Geschäftsführerin Dr. Ulrike Hamann-Onnertz begleitete die Planungen für den Krisengipfel vor allem inhaltlich. Ihr Blick richtet sich besonders auf die folgenden Schritte.
„Die Initiative hat innerhalb kürzester Zeit etwas Besonderes vollbracht. Sie hat da, wo viele verzweifeln, nämlich angesichts des drohenden Verkaufs ihrer Wohnungen, eine kollektive Forderung formuliert und den Senat eingeladen, sich an der Lösungssuche zu beteiligen. Also statt zu vereinsamen haben sie die politische Dimension des Problems benannt und sich konstruktiv in den Dialog mit der Politik begeben, die für ihr Problem verantwortlich ist. Jetzt liegt der Ball bei der Politik, die Ideen und Vorschläge zeitnah zu prüfen und die nächsten Schritte zu planen. Der Stadtrat Cornelius Bechtler hat seine Bereitschaft deutlich signalisiert. Darüber freuen wir uns sehr.“
Mieterin Martha Schön engagiert sich in der Initiative Pankow gegen Verdrängung und hat in der Arbeitsgruppe zu Eigenbedarfskündigungen mitdiskutiert.
„Meine Erwartungen an den Krisengipfel waren eher niedrig. Ich war im Rahmen der Initiative in die Kommunikation mit dem Senat über die Vorbereitung des Krisengipfels eingebunden und habe die Arbeitsgruppe „Eigenbedarf und Zweckentfremdung“ mit vorbereitet. Die Organisation und die Vorbereitung mit dem Senat liefen schleppend bis gar nicht. Die zuständigen Senatsmitarbeiter:innen wussten selbst eine Woche vor dem Krisengipfel nicht einmal, über welche Art der „auslaufenden Sozialbindungen“ es beim Krisengipfel gehen sollte. Eigene Lösungsansätze oder Inputs haben die Senatsmitarbeiter:innen nicht eingebracht, auf die Lösungsansätze unserer Expert:innen wurde nur verhalten reagiert. Wir Mieter:innen sind enttäuscht vom Senat, auch weil es sich bei unserer Situation um ein hausgemachtes politisches Problem handelt.
Das Format „Krisengipfel“ könnte als tauglich eingestuft werden, wenn der politische Wille vorhanden wäre. Der Aufwand und die Vorbereitung für den Krisengipfel waren enorm und das Ergebnis eher mager. Wir planen jetzt, den Druck auch anderweitig zu erhöhen. Uns bleibt keine andere Wahl. Immerhin will sich Stadtrat Cornelius Bechtler dringend mit uns über die Problematiken wie Zweckentfremdung, die Recherche bei niedrigschwelligen Anlaufstellen wie Grundbuch-/Katasteramt und Einwohnermeldeamt sowie den Zugang zum geschützten Marktsegment und Mieter:innenberatung austauschen. Wir nehmen ihn beim Wort!“
Zwei der Expert:innen beim Krisengipfel waren Dr. Matthias Bernt und Mietrechtsanwältin Carola Handwerg.
Dr. Matthias Bernt ist kommissarischer Leiter des Forschungsschwerpunkts „Politik und Planung“ und zugleich Privatdozent am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Er zeigt sich kritisch in Bezug auf die Rückbindung an die Politik, gleichwohl begrüßt er das Format eines Krisengipfels für die betroffenen Mieter:innen:
„Die Arbeit in der „AG Gemeinnütziger Ankauf“ war konstruktiv und es wurden wertvolle Lösungsvorschläge erarbeitet. Leider war niemand von den Entscheidungsträger:innen aus der Senatsverwaltung anwesend, die diese Ideen am Ende umsetzen müssten. Die Ergebnisse hängen damit vorerst in der Luft. Ein Krisengipfel ist prinzipiell geeignet, weil dieser unglaublich viel Sachverstand zusammenbringen kann. Problematisch ist die Rückbindung an politische Entscheidungsprozesse. Hier braucht es mehr Engagement von der Landesregierung.“
Carola Handwerg ist Anwältin für Mietrecht und Mitglied im Republikanischen Anwält:innenverein RAV. Sie berät Berliner Initiativen und Hausgemeinschaften und kennt viele der Mieter:innen in der Initiative:
„Ich habe an der „AG Eigenbedarf“ als Expertin teilgenommen, war aber auch bereits in die Vorbereitung des Krisengipfels involviert. Aufgrund früherer Erfahrungen stand ich diesem Format bereits sehr skeptisch gegenüber. Dennoch wurden meine sowieso schon geringen Erwartungen in dieser AG noch unterboten. In der Arbeitsgemeinschaft wurde von den Mitarbeitenden der Senatsverwaltung – wie leider oft – auf die Zuständigkeiten des Bezirks und des Bundes verwiesen. Ein eigener Beitrag war nicht vorbereitet worden. Auf die Kritik der Teilnehmenden reagierten die Mitarbeiter:innen mit Rechtfertigungen und unempathischer Gegenwehr. Die Frage nach einer Bundesratsinitiative wurde lediglich pauschal pessimistisch beantwortet. Der Vorschlag, angesprochene Lösungsvorschläge, zum Beispiel ein Eigenbedarfsregister, zu prüfen, wurde ohne Diskussion mit Verweis auf Datenschutzfragen sofort angelehnt, begleitet von Äußerungen wie: „Wir sind hier nicht in China.““
Hervorzuheben ist das große ehrenamtliche Engagement der Initiative. Die Weigerung des Senats, an Lösungsansätzen mitzuarbeiten, ließ viele Teilnehmer:innnen jedoch fassungslos zurück. Wenn die Politik konstruktive, gemeinsame Gesprächs- und Lösungsbestrebungen seitens der Wähler:innen nicht ernst nimmt, wird sie damit Engagement ersticken und stattdessen Politikverdrossenheit hervorrufen.“
Die engagierte Mieterin Annerose Schröder aus einem der Mehrfamilienhäuser, dessen Wohnungen aus den Bindungen fallen, gibt sich kämpferisch und optimistisch:
„Es ist als Erfolg zu werten, dass dieses Krisentreffen stattgefunden hat. Es herrschte weitgehende Übereinstimmung, dass etwas gegen die weitere Verdrängung der angestammten Bevölkerung im Bezirk Pankow getan werden muss. Ich selbst lebe seit fast 67 Jahren im Prenzlauer Berg.
Das Auslaufen der Sozialbindung, die damit einhergehenden Mieterhöhungen sowie ein Verkauf der Wohnungen und Eigenbedarfsankündigungen dürfen nicht auf den Schultern der Mieter ausgetragen werden. Das Thema ist sehr komplex und die Betroffenen haben unterschiedliche Sorgen und Befürchtungen. Eins eint sie: die Verdrängungssorge und die Angst, keine angemessene, bezahlbare Wohnung zu finden.
Es stellt sich die Frage: Wer hat eigentlich unsere jetzige Situation verursacht? Wir sind keine Bittsteller. Die Politik steht in der Verantwortung. Die zuständigen Politiker haben sich keine Gedanken darüber gemacht, wie es nach dem Auslaufen der Sozialbindungen weitergeht. Auch das Umwandlungsverbot 2021 kam für tausende Mieter viel zu spät.
Es muss jetzt gehandelt werden. Wir brauchen kurzfristige, mittel- und langfristige Lösungen, die wir gern gemeinsam mit der Politik in Angriff nehmen. Der Anfang ist gemacht. Jetzt muss die politische Entscheidungsebene im Senat und auch im Bezirk zeigen, wie ernst es ihr mit den Sorgen der Bürger, die sie nicht verschuldet haben, ist.“
Die Organizerin Juli Westendorf, hauptamtlich tätig für das Kiezprojekt, hat die Gründung der Initiative Pankow gegen Verdrängung unterstützt. Sie gibt einen Ausblick auf die kommenden Wochen:
„Nach dem Krisengipfel gilt es nun, die Organisierung in Pankow weiter voranzutreiben, starke Hausgemeinschaften zu bilden, sich solidarisch im Kampf gegen Hausverkäufe und Eigenbedarfskündigungen zu unterstützen und noch mehr Druck auf Vermieter und die Politik aufzubauen. Auch wenn die Reaktionen des Berliner Senats beim Gipfel für die Initiative eine Enttäuschung waren, war der Gipfel in vielerlei Hinsicht ein Erfolg: Die Problematik der auslaufenden Sozialbindungen wurde durch die mediale Berichterstattung in die Öffentlichkeit gerückt. Die Mieter:innen haben ihre Stärke gespürt und gemeinsam gemerkt: Wir müssen nicht widerstandslos hinnehmen, dass wir verdrängt werden sollen. Die Mieter:innen haben den Krisengipfel auf sehr beeindruckende Weise federführend auf die Beine gestellt. Der volle BVV-Saal hat gezeigt: Hinter jeder der 1.700 Unterschriften stehen Mieter:innen mit eigenen Geschichten in wehrhaften Hausgemeinschaften. Daran gilt es in den nächsten Wochen anzuknüpfen – denn Eigenbedarfskündigungen und Räumungsklagen warten nicht und die Zeit rennt.“
Die Senatsverwaltung Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen und der Pankower Stadtrat Cornelius Bechtler haben auf unsere Anfragen nach einer kurzen Auswertung des Krisengipfels aus ihrer Perspektive bedauerlicherweise nicht reagiert.
Zusammengetragen von Franziska Schulte
Weiterführende Links:
Krisengipfel wegen auslaufender Sozialbindungen:
Die Angst vor dem Gang zum Briefkasten
https://pankow-gegen-verdraengung.wirbleibenalle.org/
19.04.2024