Insbesondere in Großstädten und Ballungsräumen gibt es zahlreiche über- und unterbelegte Wohnungen: Während Familien oft in überbelegten Wohnungen leben, haben Ein- oder Zwei-Personen-Haushalte häufig einen überdurchschnittlichen Wohnflächenkonsum. Ist ein gesetzlich verankertes Recht auf Wohnungstausch unter Beibehaltung der jeweiligen Vertragskonditionen die Lösung? BMV-Geschäftsführerin Ulrike Hamann-Onnertz nahm als Sachverständige Stellung zu einem Vorschlag der Linksfraktion.
Im September fand eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum Antrag „Recht auf Wohnungstausch einführen“, den die Fraktion Die Linke eingebracht hatte, statt. BMV-Geschäftsführerin Ulrike Hamann-Onnertz war auf Einladung der Grünen-Politikerin Hanna Steinmüller, MdB, als Sachverständige dabei und nahm Stellung zum eingereichten Antrag sowie zu einem alternativen Vorschlag, den das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vor einigen Monaten zum Thema „Mismatch auf dem Wohnungsmarkt“ in die öffentliche Debatte gebracht hatte.
Wohnungsmangel und Wohnraumpotenziale: Darum geht es
Der Wohnungsmangel in Deutschland spitzt sich weiter zu, insbesondere in den Großstädten ist die Lage für Mieter:innen dramatisch. Laut einer aktuellen Studie im Auftrag des Deutschen Mieterbundes (DMB) fehlen 2023 bundesweit mehr als 700.000 Wohnungen, vor allem Sozialwohnungen und bezahlbare Mietwohnungen. Zugleich steigen die Wohnkosten immens an: In Berlin liegt der Preissprung der Angebotsmieten bei Neu- und Wiedervermietung mit 27 Prozent deutlich im zweistelligen Bereich, und auch die Bestandsmieten ziehen laut Statistischem Bundesamt mit bundesweit rund 5,5 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2020 stark an. Wer umziehen muss oder will, steht schnell vor einer ausweglosen Situation. Hier rückt der Wohnungstausch als eine Option in den Fokus. Insbesondere in Ballungsräumen ist das Potenzial groß, denn hier herrscht eine besonders große Fehlallokation von Wohnraum.
Laut Statistischem Bundesamt lebten 2021 rund 10,5 Prozent der Bevölkerung Deutschlands in überbelegten Wohnungen. Bei Haushalten mit Kindern lag die Quote sogar bei knapp 16 Prozent. Als überbelegt gilt eine Wohnung dann, wenn nicht für jede Person im Haushalt ein Zimmer zur Verfügung steht. Unterbelegung herrscht vor, wenn die Zimmerzahl die Zahl der Haushaltsmitglieder um drei oder mehr übersteigt, beispielsweise wenn ein Single eine Vier-Zimmer-Wohnung bewohnt.
Über- und unterbelegte Wohnungen: Deregulierung der Mieten als Lösung?
Das Institut der deutschen Wirtschaft beziffert die bundesweite Unter- und Überbelegung in einem aktuellen Kurzbericht auf jeweils sechs Prozent und stieß auf Basis dieser Zahlen vor einigen Monaten eine Debatte zum Wohnungstausch an. Die Argumentation: Eine Aufhebung der Mietenregulierung beziehungsweise eine Anhebung der Mieten würde dafür sorgen, dass Menschen ihre unterbelegten größeren Wohnungen zugunsten von kleineren (günstigeren) Wohnungen aufgeben würden. Die großen Wohnungen würden so für Familien nutzbar werden, die bisher in überbelegten Wohnungen wohnen.
Die Argumentation hakt gleich an mehreren Stellen. In Großstädten geht sie schon rein rechnerisch nicht auf: Das Statistische Bundesamt beziffert die Überbelegung für Großstädte auf 15,5 Prozent statt auf sechs Prozent – ein einfacher Ausgleich zwischen Unter- und Überbelegung ist damit nicht möglich. Zudem geht der Lösungsvorschlag am Thema vorbei, da die Einkommenslage der Haushalte überhaupt keine Berücksichtigung findet. Laut aktuellen Zahlen des Mikrozensus für Berlin verfügt ein wesentlicher Teil der Haushalte in unterbelegten Wohnungen über ein überdurchschnittliches Einkommen: In den vergangenen Jahren erfolgte ein Drittel der Zuzüge in große Wohnungen (3,5 Zimmer oder mehr) durch Ein- und Zweipersonenhaushalte, deren Einkommen doppelt so hoch ist wie das Durchschnittseinkommen in Berlin. Das heißt: Diese Haushalte können sich große Wohnungen trotz der hohen Marktmieten leisten, da ihre individuelle Mietbelastung gering ist.
Auf der anderen Seite haben zwei Drittel der Haushalte mit mehreren Kindern, die in Großstädten in überbelegten Wohnungen leben, ein unterdurchschnittliches Einkommen. Sie können sich eine größere Wohnung schlicht nicht leisten. Eine Deregulierung und Anhebung der Mieten, wie vom IW vorgeschlagen, würde die Situation für diese Haushalte daher nur weiter verschlechtern – und zudem zu einer generellen Anhebung des Mietspiegels führen. Zu einer fairen Verteilung der Wohnfläche hingegen würde sie nicht beitragen.
Vorschlag der Linken-Fraktion: Recht auf Wohnungstausch gesetzlich verankern
Die Linksfraktion im Bundestag macht einen anderen Vorschlag, um das Missverhältnis von Unter- und Überbelegung zu regulieren: Sie fordert, das Recht auf Wohnungstausch bundesgesetzlich zu verankern. Mieter:innen sollen dabei unter Beibehaltung der jeweiligen Vertragskonditionen gegenseitig in bestehende Mietverträge eintreten können – ohne Erhöhung der Mieten. Zudem sieht der Vorschlag vor, die Zustimmungspflicht der Vermieter:innen abzuschaffen. Vermietende sollen die Zustimmung zum Wohnungstausch nur wegen besonders triftiger Gründe verweigern dürfen. Die Rechtsposition von Mieter:innen würde sich dadurch erheblich verbessern, denn bisher gilt: Wollen zwei Haushalte ihre Mietwohnungen tauschen, müssen sie die Zustimmung der Vermieter:innen einholen. Zudem haben sie keinen Anspruch auf gleichbleibende Mieten oder unveränderte Vertragsbedingungen.
Wohnungstausch in der Praxis
In Berlin existiert bereits eine Tauschregelung in kleinerem Maßstab – die Tauschbörse der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen. Mieter:innen der knapp 360.000 Wohnungen können diese untereinander tauschen und zwar unter Beibehaltung der Vertragsbedingungen. Ein großer Erfolg im Kampf gegen den Wohnungsmangel ist die Börse dennoch nicht. Der Grund: Mehr als 45 Prozent der Tauschwilligen suchen eine größere Wohnung, nur knapp zehn Prozent eine kleinere. Von den 60.000 Tauschangeboten, die im Jahr 2021 auf der Plattform inseriert waren, mündeten nur 240 in realisierte Tauschvorgänge.
Klare gesetzliche Regelung ist erforderlich
Die Möglichkeit eines unkomplizierten und finanziell leistbaren Wohnungstauschs führt also nicht automatisch zu einer ausgeglicheneren Verteilung von Wohnraum, wie das Berliner Beispiel zeigt. Dennoch begrüßt der BMV den Vorstoß der Linken. Ein gesetzlich verankertes Recht auf Wohnungstausch unter Beibehaltung der Vertragskonditionen kann dazu beitragen, die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern und das Mietrecht zu stärken.
Dazu bedarf es allerdings noch einer Schärfung der Bedingungen, unter denen Vermieter:innen ihre Zustimmung verweigern dürfen. Wann ist ein Tausch für Vermietende „unzumutbar“? Was zählt zu den „besonders triftigen Gründen“, die eine Verweigerung möglich machen? Der DMB führt in seiner Stellungnahme weitere Punkte an, die der Gesetzgeber klären muss: Sind Mieter:innen gefordert, eine besondere Interessenlage anzuführen oder ist jeglicher Tauschwunsch legitim? Sollen Vermieter:innen, die bisher deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete geblieben sind, ein gewisses Mieterhöhungsrecht haben? Diese Fragen sollte der Gesetzgeber in einer eigenständigen Norm im BGB klären, ähnlich wie es in Österreich der Fall ist: Dort regelt ein eigener Paragraf des Mietrechtsgesetzes die Voraussetzungen für einen Wohnungstausch.
sk
19.10.2023