Die neue Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Keine Profite mit der Miete“ schaut sich die gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft genauer an: Wofür verlangen die landeseigenen Wohnungsunternehmen, Berliner Wohnungsbaugenossenschaften und das kommunale Unternehmen Wiener Wohnen am meisten Geld von ihren Mieter:innen? Wir fragen außerdem: Wie kann es mit diesem Sektor in Berlin sozialverträglich weitergehen?
Vergangenen Monat sorgten die landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) für Schlagzeilen, indem sie für beinahe die Hälfte ihrer rund 350.000 Wohnungen in der Hauptstadt die Mieten erhöhten. Gleichzeitig geraten sie immer wieder mit schlechtem Service und großen Instandhaltungsmängeln in die Öffentlichkeit. Wie passen Mieterhöhungen, schlechter Service und hohe Kapitalkosten zum Konzept der Gemeinwohlorientierung?
Eine jüngst veröffentlichte Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt, wie unterschiedlich verschiedene Akteure der gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft handeln. Sie beleuchtet ihre Zielsetzungen, Geschäftspraktiken und deren Auswirkungen auf die Mieter:innen an den Beispielen der Berliner LWU, den Wohnungsbaugenossenschaften (WBG) und dem kommunalen Wohnungsunternehmen Wiener Wohnen.
Durchschnittliche Miethöhen der WBG, LWU und Wiener Wohnen
Die Einnahmen der LWU, WBG und Wiener Wohnen sind die Ausgaben ihrer Mieter:innen und daher für uns aufschlussreich. Die Studie betrachtet nicht nur die Nettokaltmiete, sondern alle Einnahmen inklusive der Zahlungen für Betriebskosten. Die der LWU sind am höchsten: Sie nehmen monatlich 9,14 Euro pro Quadratmeter ein, gefolgt von den Berliner WBG mit 8,67 Euro pro Quadratmeter. Deutlich darunter liegt die Wiener Wohnen mit 7,01 Euro pro Quadratmeter.
Bestandssichernde, nachhaltige und soziale Bewirtschaftung – mit unterschiedlichen Schwerpunkten
Erklärungen für diese Unterschiede suchen die Autor:innen der Studie in den Organisationsstrukturen und auf der Ausgabenseite der drei Akteure. In den Punkten Instandhaltung und Instandsetzung, Bewirtschaftung, Personal sowie für Abschreibungen und Zinsen setzen die Akteure verschiedene Schwerpunkte. Das macht sich in den Kosten bemerkbar: Alle drei geben für einen jeweils anderen Posten am meisten aus.
Instandhaltung und Instandsetzung:
- Mit 2,43 Euro pro Quadratmeter geben die WBG rund 30 Prozent und mit Abstand am meisten für die Instandsetzung aus. Die LWU wenden nur 18 Prozent (1,62 Euro pro Quadratmeter) und die Wiener Wohnen 20 Prozent (1,27 Euro pro Quadratmeter) für diesen Posten auf. Die Autor:innen sehen dies begründet in dem Auftrag der WBG, primär für eine gute Bausubstanz der Bestandswohnungen ihrer Mitglieder zu sorgen und zukünftige Modernisierungskosten zu senken.
Personalkosten:
- Die Wiener Wohnen führt bei den Personalkosten: Das kommunale Unternehmen gibt 22 Prozent (1,52 Euro pro Quadratmeter) für seine Mitarbeitenden aus. Demgegenüber stehen die WBG mit 14 Prozent (1,10 Euro pro Quadratmeter) und die LWU mit nur 11 Prozent (0,99 Euro pro Quadratmeter). Die hohen Personalkosten der Wiener Wohnen führen die Autor:innen auf die Bewirtschaftungspraxis der Wohnungen zurück: Das Unternehmen vergibt selten Aufträge an Dritte und bietet eine bessere Betreuung der Wohnungen. So ist ein/e Mitarbeiter:in der Wiener Wohnen für durchschnittlich 54 Wohnungen zuständig, während es bei den LWU 78 und bei den WBG 71 sind.
Abschreibungen und Zinsen:
- Hier stehen die LWU an der Spitze einer Kategorie, die zunächst nicht vorteilhaft für Mieter:innen erscheinen mag: Abschreibungen und Zinsen. Sie verwenden 30 Prozent ihrer Ausgaben für diese Posten. Bei den WBG sind es nur 25 Prozent und bei der Wiener Wohnen 19 Prozent. Eine mögliche Erklärung: Die LWU beziehungsweise der Gesellschafter Land Berlin setzen einen starken Fokus auf die Bestandserweiterung. Diese finanzieren sie primär durch Kreditaufnahme, was zu einer niedrigen Eigenkapitalquote und hohen Zinskosten führt.
Die Autor:innen erkennen grundsätzlich eine Orientierung aller drei Akteure an einer „bestandssichernden, nachhaltigen und sozialen Bewirtschaftung“, welche sie mit unterschiedlichen Akzenten umsetzen: die LWU mit Fokus auf Bestandserweiterung, die WBG mit Fokus auf Erhalt und die Wiener Wohnen mit Fokus auf den sozialen Versorgungsauftrag.
Das Mittelwert-Szenario für Bestandsbewirtschaftung
Die Landeseigenen Wohnungsunternehmen besitzen mehr als ein Viertel der Wohnungen in Berlin. Entsprechend ihrem Anteil, tauchen sie auch in den Mieterberatungen auf: „Die Bandbreite reicht von überhöhten Nebenkosten bis hin zu extrem schlechter Erreichbarkeit bei Mängeln, wie zum Beispiel Fahrstuhlausfällen“ berichtet Ulrike Hamann-Onnertz, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. Gleichzeitig sehen sich die Mieter:innen der LWU mit Mieterhöhungen konfrontiert.
Um dieses Missverhältnis auszugleichen, schlagen die Autor:innen der Studie ein Mittelwert-Szenario für die Bestandsbewirtschaftung vor: Sie soll angemessene Instandsetzungsmaßnahmen, eine zuverlässige und erreichbare Verwaltung, regelmäßige Modernisierung und eine schrittweise Erweiterung der Bestände ermöglichen – bei möglichst niedrigen Mieten. Setzt man dafür die Durchschnittswerte der einzelnen Kostenbereiche der drei Akteure an, ergibt sich ein monatlicher Quadratmeterpreis von 8 Euro und abzüglich der Betriebskosten eine Nettokaltmiete von 5,42 Euro pro Quadratmeter. Knackpunkt dabei ist: „Für Bestandserweiterungen aus eigener Kraft oder wichtige energetische Modernisierungen ohne massive Förderung reichen solche Mieten jedoch nicht”, so die Autor:innen.
Neubau als staatlicher Auftrag
Um das Mittelwert-Szenario finanziell tragbar zu gestalten, ist ein Umdenken in den Zuständigkeiten für Neubau und Bestandserweiterung erforderlich. Die Autor:innen betonen, dass das Mittelwert-Szenario nur für die Bestandsbewirtschaftung tauge – eine Aufgabe, die primär von gemeinwohlorientierten Unternehmen übernommen werden sollte. Weiterhin argumentieren sie, dass die Wohnungskrise eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt. Die Schaffung von neuem Wohnraum als essenzieller Teil der Daseinsvorsorge sei eine staatliche Aufgabe. Die vergleichsweise hohen Kostenmieten bei den LWU Berlins verdeutlichen, „dass die Übertragung der staatlichen Aufgabe des Neubaus von Sozialwohnungen den sozialen Auftrag der LWU konterkariert und letztlich zulasten der Mieter:innen geht“, heißt es in den Schlussfolgerungen der Studie.
Hamann-Onnertz kritisiert ebenfalls, dass die LWU zum Neubau und Ankauf verpflichtet sind, ohne dabei finanzielle Zuschüsse vom Land Berlin zu erhalten. Die Studie legt dar, dass ein Großteil der relativ hohen Mieteinnahmen für Finanzierungskosten an die Banken fließt. „Damit wälzt Berlin seine ehrgeizigen Neubaupläne auf die Mieter:innen der Landeseigenen ab“, so Hamann-Onnertz.
Dies hat auch indirekte Auswirkungen auf andere Mieter:innen in der Stadt: Wenn die LWU die Mieten erhöhen, fließen die in den Mietspiegel ein. Die Neubaumieten der LWU im frei-finanzierten Bereich sind zudem so teuer wie auch die von privaten Wohnungsunternehmen. Die Stadt hat also wenig davon, die Finanzierungskosten für den Neubau einzig auf die Bestandsmieter:innen umzuwälzen und durch Mieterhöhungen bezahlen zu lassen.
Unterschied zur finanzialisierten Immobilienwirtschaft
Die Initiative Finanzwende hatte bei der Betrachtung von börsennotierten Immobilienkonzernen im Jahr 2021 festgestellt, dass diese eine durchschnittliche „Abschöpfungsquote“ von 41 Prozent erzielen: Dieser Anteil geht als Gewinn an die Eigentümer:innen und Aktionär:innen. In Berlin sind diese Konzerne mit 19 Prozent der Wohnungen deutschlandweit am häufigsten vertreten. Obwohl bei den drei in der RLS Studie betrachteten Akteuren diese Kostenposition nicht vorhanden ist, stehen auch gemeinwohlorientierte Unternehmungen nicht immer losgelöst von der finanzialisierten Immobilienwirtschaft.
Bestandserweiterung durch Ankauf
Die Kooperationsvereinbarung mit dem Land Berlin bestimmt die Ausrichtung der LWU. Ihr Inhalt hängt maßgeblich von den politischen Kräfteverhältnissen ab. Politische Parteien in Berlin – besonders der aktuell amtierende Schwarz-Rote Senat – haben eine lange Geschichte bei der Vertretung der Interessen der Immobilienwirtschaft. Bei der Bestandserweiterung durch Ankauf ist deshalb Vorsicht geboten: Zuletzt erwarben die zu den LWU gehörende Howoge und Berlinovo 4.500 Wohnungen vom kriselnden Börsenunternehmen Vonovia für 700 Millionen Euro. Mit dieser Summe kann Vonovia Schulden begleichen, der kostspielige Verkauf ist für den Konzern die Rettung: Um weiter an möglichst günstige Kredite zu gelangen, brauchte er eine Bestätigung der Buchwerte seines Immobilienportfolios. Dafür hat der Senat mit dem Ankauf gesorgt: „Wir sind auf Kurs und realisieren unsere Buchwerte“, prahlte Vonovia-Vorstandsvorsitzender Rolf Buch nach dem Verkauf. Die LWU erwarben allerdings überwiegend Bestände, die stark sanierungsbedürftig sind und oft durch Heizungs- und Fahrstuhlausfälle auffallen. Die Sanierungskosten spart sich Vonovia und die LWU müssen sie wiederum aus den Mieten aufbringen – zahlen also drauf.
Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sieht in dem Ankauf einen besseren Weg als „willkürliche, ideologische und teure Enteignungen“. Finanzsenator Evers (CDU) sagt, die LWU nehmen eigene Kredite auf, um den Kauf zu finanzieren, der Berliner Haushalt werde nicht belastet. Die Kreditaufnahme sei allerdings nur möglich, da die Kooperationsvereinbarung zwischen LWU und Senat festlegt, dass die LWU die Miete pro Jahr um nicht mehr als 2,9 Prozent unternehmensweit steigern dürfen. Anders als in der vorherigen Kooperationsvereinbarung sind die Kappungen der Mieterhöhung seit 1. Januar 2024 nicht mehr auf das individuelle Mietverhältnis bezogen. So kann das Unternehmen von einer Mietpartei bis zu 11 Prozent in drei Jahren an Mieterhöhung nehmen. Bis Ende 2023 galt noch ein sogenannter Mietendimmer von maximal zwei Prozent pro Jahr.
Die LWU nutzen den neuen Rahmen voll aus: Sie haben seit Jahresbeginn für fast die Hälfte der rund 350.000 landeseigenen Wohnungen die Mieten erhöht. Allein Gewobag und Gesobau planen bis Jahresende und darüber hinaus über 35.000 weitere Mieterhöhungen. Howoge, WBM, Stadt und Land und die Degewo können laut Senat noch keine abschließend verbindlichen Zahlen melden, werden aber höchstwahrscheinlich auch noch tausenden Berliner:innen die Wohnung verteuern.
Vergesellschaftung als kostengünstige Lösung
Wenn die Übernahme des Bestands privater großer Immobilienunternehmen eine Option ist, dann muss auch die Vergesellschaftung eine sein. Würden die Bestände großer Immobilienkonzerne unter Marktwert vergesellschaftet, könnten die bisher für Dividendenzahlungen verwendeten Gelder eingespart werden. Dies würde auch die Finanzierungskosten für die landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) und den Landeshaushalt reduzieren. Folglich könnten die Mieten sinken. Um tatsächlich mehr Wohnraum zu schaffen, könnte auch ein Teil der sonst für Dividenden aufgewendeten Mieteinnahmen in neue Wohnungen investiert werden.
Moritz Lang
15.08.2024