Am 12. September 2024 hat der Senat den Entwurf für das Schneller-Bauen-Gesetz (SBG) in erster Lesung im Abgeordnetenhaus beraten. Das „prioritäre Regierungsvorhaben“ soll Erleichterungen und Vereinfachungen für den Wohnungsbau in Berlin bringen, indem es Bürokratie abbaut und Prozesse beschleunigt, um das Ziel von jährlich 20.000 neuen Wohnungen in Berlin zu erreichen. Im Dezember schon soll das Gesetz in Kraft treten, es gibt jedoch reichlich Kritik – sogar aus den eigenen Reihen.
Ein Plan für übersichtlichere Planung
„Längere Planungszeiten kosten am Ende auch mehr Geld“, sagt Christian Gaebler (SPD), Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen bei einer Sondersitzung des Rats der Bürgermeister. Mit dem Schneller-Bauen-Gesetz soll sowohl der Wohnungsbau zügiger voranschreiten als auch die Kosten in der Bauplanung und -koordinierung sinken. Der mitgelieferte Digitalisierungsfahrplan für die Berliner Baubehörden geht bereits in die Umsetzung. Der Gesetzentwurf dient zuallererst der Priorisierung des Wohnungsbaus in unserer Stadt. Zentral geht es um die Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen. Dafür hat der Senat ein Artikel-Gesetz vorgelegt, in dem mehr als 50 Änderungen in zehn Landesgesetzen und einer Rechtsverordnung enthalten sind.
Am vergangenen Donnerstag hat das Abgeordnetenhaus über das Reformpaket abgestimmt. Zu begrüßen sind einige Änderungen bei den Planungsprozessen: Regelmäßige Bauantragskonferenzen oder Runde Tische mit Bauträgern und Behörden sollen künftig Hemmnisse für größere Bauvorhaben frühzeitig aus dem Weg räumen. Verwaltungsinterne „Projektlotsen“ fungieren dabei als zentrale Ansprechpartner:innen für ein Vorhaben und beugen unklaren Zuständigkeiten vor. Zu Beginn eines Genehmigungsprozesses erhalten Bauträger fortan darüber Auskunft, wann sie mit einem Ergebnis rechnen können. Die Bearbeitungszeiten sollen insgesamt gestrafft werden. Wenn die zulässige Bearbeitungsfrist überschritten ist, gilt eine Genehmigung als erteilt. Zudem sind Erleichterungen bei Umbau und Dachaufstockungen in Bestandsgebäuden vorgesehen.
Politische Machtverschiebung zu Ungunsten der Bezirke und Bewohner:innen
Der Kern des Gesetzes jedoch ist politischer Natur: Der Senat soll mehr Zugriffsmöglichkeiten auf die Stadtplanung in den Bezirken erhalten, während die Bezirke an Planungshoheit beziehungsweise an ihrem Bauplanungsrecht einbüßen könnten. Das widerspricht nicht nur dem im Grundgesetz geregelten Selbstverwaltungsrecht der Bezirke und Kommunen, sondern untergräbt auch die Zuständigkeitsverteilung zwischen Land und Bezirken. In der Vergangenheit standen die Vorstellungen des Senats oft den Interessen von Nachbarschaften und lokalen Umweltschutz- und Klimaresilienz-Vorhaben entgegen. Der Senat gewinnt also einerseits mehr Einfluss. Andererseits büßen die Bezirke rechtliche Hebel ein, die sie in der Vergangenheit nutzen konnten, um etwa von Investor:innen benötigte Genehmigungen zurückzuhalten und so Projekte strategisch verzögern oder stoppen konnten.
Vor allem geht es aber um die demokratische Beteiligung von Anwohner:innen und anderen Beteiligten im Stadtteil zur produktiven Erarbeitung guter Lösungen für (bestenfalls bezahlbaren) Wohnraum und für die Nachbarschaften. Fatal, denn eine Verbesserung der Beteiligungsverfahren in der Planungsphase hingegen, könnte zu weniger Widerstand bei Anwohner:innen führen und die Akzeptanz für Wohnungsbauvorhaben fördern.
Kein Personal für schnellere Planung
An verschiedenen Stellen will der Senat Bearbeitungsfristen für die Bezirksverwaltungen einführen oder verkürzen. Liegt etwa einen Monat nach Eingang der Unterlagen noch keine Stellungnahme der zuständigen Behörden vor, gilt das Vorhaben automatisch als positiv beschieden. Der Senat erweckt dabei den Anschein, als würde nicht schnell genug gearbeitet. Dass Genehmigungen aktuell tatsächlich mehrere Monate dauern können, liegt jedoch am Personalmangel. Auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Politikerin Katalin Gennburg antwortet der Senat selbst: „Fehlende Kapazitäten und Personalmangel in den Senats- sowie Bezirksverwaltungen führen zur Zurückstellung und einer Priorisierung in der Bearbeitung von Bebauungsplanverfahren für Wohnungsbau. Teils können Bebauungsplanverfahren aufgrund der fehlenden Kapazitäten nicht eingeleitet werden.“ Mit Inkrafttreten des Gesetzes rechnet der Senat nur mit geringen Mehrbedarfen an Personal – doch ohne ausreichend Mitarbeitende bedeutet eine Straffung der Fristen und automatische Genehmigungen nach einem Monat nur einen Kontrollverlust über die Prüfungsverfahren.
Der Senat übernimmt die Planungshoheit
Die Übernahme der Planung eines Bauvorhabens durch den Senat ist schon jetzt möglich, wenn es „gesamtstädtische Bedeutung“ hat. Dieser Status soll nun bereits für Projekte ab 50 Wohneinheiten gelten. Der Senat kann dabei die Beteiligung der Nachbarschaften übergehen. Bausenator Christian Gaebler (SPD) führt als Beispiel den „Grünen Kiez Pankow“ an: Hier hatten Bezirk und Anwohner:innen etwas dagegen, dass fast 100 Bäume für den Bau von 99 Wohnungen gefällt werden sollten. Trotz Alternativvorschlag für den Bau von 70 Wohnungen mit nur 14 Fällungen bezeichnete Gaebler dies als „Sabotage“. Wenn die gesetzliche Hürde für eine „gesamtstädtische Bedeutung“ schon sinkt, dann wenigstens mit einem verpflichtenden Kriterium von „Gemeinwohlorientierung oder sozialer Wohnraumversorgung“.
Der Senat soll zudem mehr Verantwortungsbereiche erhalten: „In all den Bereichen, in denen die Hauptverwaltung schon jetzt über die Zuständigkeit beziehungsweise Federführung für die Planung oder Genehmigung verfügt, soll dies beispielsweise auf Stellungnahmen, Widersprüche, Vorkaufsrechte oder städtebauliche Verträge ausgeweitet werden”, heißt es auf die schriftliche Anfrage. Selbst Bezirkspolitiker:innen der Regierungspartei CDU sehen im Gesetzentwurf eine Gefahr – so zu lesen in der Berliner Tagespresse. Sie befürchten, dass der Senat nun noch schneller die Entscheidungshoheit an sich zieht.
Schwächung von Barrierefreiheit, Umwelt- und Denkmalschutz
In den Bereichen Umwelt- und Denkmalschutz, energetische Anforderungen und Barrierefreiheit setzt das Gesetz durch Streichung ganzer Passagen sowie kleine Anpassungen im Text andere Prioritäten. So soll etwa die Umweltverträglichkeitsprüfung deutlich reduziert bei kleineren Flächen abgeschafft werden. Eine mögliche Umwandlung von Waldfläche in Bauland relativiert die Abwägung des öffentlichen Interesses an Stadtnatur, mit der Begründung, das öffentliche Interesse an ausreichend Wohnraum müsse „besondere Berücksichtigung“ finden. Auch hier fehlt eine Präzisierung hinsichtlich der Bezahlbarkeit des Wohnraums. Die Frist zur Prüfung von erforderlichen Artenschutzmaßnahmen durch Umweltverbände wird auf zwei Wochen verkürzt – laut dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland ist das viel zu kurz und könnte spätere Klagen nach sich ziehen.
Mehr Personal für schnelle Bearbeitung
Einfachere Prozesse sind ein Fortschritt, sie dürfen aber nicht zulasten des Stadtklimas und zugunsten privater Bauherren ohne klaren Bezug zum Bau bezahlbarer Wohnungen gehen. Um lokale Anforderungen zu erfüllen, müssen Bezirke und Nachbarschaften frühzeitig eher ein noch stärkeres Mitspracherecht erhalten, um Konflikten und Verzögerungen vorzubeugen. Der Personalmangel auf Bezirksebene ist einer der Hauptfaktoren für langwierige Verfahren.
Unser Fazit
Das Schneller-Bauen-Gesetz und der Maßnahmenkatalog für die Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren zeigen, dass der Berliner Senat dem Wohnungsbau höchsten Stellenwert einräumt. Runde Tische, Vereinfachungen bei der Antragsstellung, mehr Personal und geklärte Zuständigkeiten können sicher dabei helfen, Prozesse zu beschleunigen. Zu fordern ist aber eine Priorisierung des sozialen und bezahlbaren Wohnungsbaus. Als politische Interessenvertretung der Berliner Mieter:innen können wir nicht darüber hinwegsehen, dass die im Grundgesetz garantierte Selbstverwaltung der Bezirke derart geschwächt wird. Die Zuständigkeitsregelungen untergraben den Wählerwillen auf lokaler Ebene. Eine Fachkräfteoffensive lässt das Gesetz für die Bezirksebene als Lösung ebenfalls vermissen, immerhin versprach Senator Gaebler die Angleichung der Vergütung für Verwaltungspersonal im Bezirk an die Landesebene. Das Gesetzgebungsverfahren insgesamt scheint fragwürdig, Anregungen im Rat der Bürgermeister blieben laut Tagespresse unberücksichtigt, ebenso wie Kritikpunkte aus den Umweltschutzverbänden. Für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist außerdem eine gestärkte Nachbarschaftsbeteiligung unerlässlich, die hat der Senat aber geschwächt statt gestärkt.
ml, fs
Im Februar 2024 berichteten wir über die Initiative „Emmauswald bleibt“, die sich für den Verbleib eines Waldstückes in Neukölln einsetzt. Der Plan: Der Wald soll gerodet und die knapp vier Hektar große Fläche mit 400 Eigentumswohnungen bebaut werden. Der Entwurf für das Schneller-Bauen-Gesetz sieht unter anderem Änderungen im Berliner Waldgesetz vor. Auch hier erhält der Wohnungsbau Priorität. Zukünftig wird es einfacher sein, Waldflächen zu roden – und das ohne die Verpflichtung, Ausgleichsflächen für neue Pflanzungen zu schaffen. Wir haben die Aktivist:innen erneut befragt, wie sie das Schneller-Bauen-Gesetz und die Änderungen im Berliner Waldgesetz bewerten:
„Das Schneller-Bauen-Gesetz ist eine Gefahr für die letzten grünen Oasen in unserer Stadt! Wälder wie der Emmauswald sind akut davon betroffen, denn bei kleineren Flächen soll die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen abgeschafft werden. Doch auch vermeintlich kleine Naturflächen besitzen große Relevanz: Der Emmauswald ist Naherholungsort für viele Menschen hier im Kiez, welcher nach dem Umweltgerechtigkeitsatlas besonders stark belastet ist. Der Wald bietet im Hitzesommer Schatten und Frischluft. Er mindert Luftverschmutzung sowie Lärmbelästigung von der Hermannstraße und der A100. Der Wald ist außerdem Habitat für viele Tiere: Raubvögel, Eulen, Fledermäuse, Eichhörnchen, Igel, Füchse und Insekten sind hier beheimatet. Laut den Berliner Forsten würde sich der Verlust dieser Waldfläche besonders negativ auf das Stadtklima auswirken. Wir brauchen eine Wohnungspolitik für die Menschen und nicht für Konzerne. Im direkten Umkreis des Emmauswalds gibt es massiven Leerstand: Beispielsweise steht ein Neubau seit mehr als zwei Jahren fast zur Hälfte leer. Die Mietpreise liegen dort bei durchschnittlich 25 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete. In einer Siedlung direkt am Wald stehen mindestens fünf Eigentumswohnung zum Kauf frei – einige davon bereits seit über einem Jahr. Wir haben hier im Kiez somit keinen Mangel an Wohnraum, sondern an bezahlbaren Wohnungen! Den Emmauswald mit teuren Eigentumswohnungen zu bebauen – und dadurch den größten Wald Neuköllns für eine nicht bedarfsgerechte Bebauung zu opfern – ist in den Augen der Initiative „Emmauswald bleibt!“ nicht akzeptabel. Wir setzen uns daher für eine hochgeschossige Bebauung auf der Brache neben dem Wald ein und fordern, dass der Wald für alle Menschen erhalten bleibt!“ |
18.09.2024