Die Forderungen nach einer Reform der Schuldenbremse werden lauter. Besonders nachdem ein geplantes Sondervermögen für Energiewende, Klimaschutz und wirtschaftliche Transformation auf Bundesebene am Bundesverfassungsgericht gescheitert ist, zeigt ein Rechtsgutachten für Berlin ähnliche Grenzen auf: Der geplante fünf Milliarden Euro schwere Klimafonds, mit dem Kai Wegner als Regierender Bürgermeister angetreten war, hat wenig Chancen auf Umsetzung. Dies ist ein Desaster, nicht zuletzt für die Mieterinnen und Mieter Berlins.
Im November 2023 hat das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro an nicht benötigten Krediten aus dem Corona-Nachtragshaushalt 2021 in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) für verfassungswidrig erklärt. Dadurch fehlt Geld für Investitionen in die dringend notwendige ökologische Transformation. Und Deutschland braucht viel Geld – nicht nur für den Umbau der Wirtschaft. Die Bundesregierungen der vergangenen 20 Jahre haben auch den Strukturwandel, die Digitalisierung sowie den Wohnungsbau zu wenig bedacht. „Deutschland hat sich in den letzten 20 Jahren kaputt gespart“, bringt es Marcel Fratzscher, Wirtschaftsforscher und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), auf den Punkt.
Angesichts dieser Ausgangslage werden Forderungen nach einer Reform oder auch nach einer kompletten Abschaffung der Schuldenbremse lauter. Nicht zum ersten Mal stellt sich die Frage, wie sinnvoll dieses Instrument ist. Anders gefragt: Wer zahlt mit welchen Mitteln für die Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit?
Die Schuldenbremse kurz erklärt
2009 hat der Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Seit 2016 muss der Bund die „Schwarze Null“ – einen ausgeglichenen Haushalt – einhalten, seit 2020 gilt dasselbe für die Bundesländer. Ausnahmeregelungen für „außergewöhnliche Notsituationen”, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, sind möglich. Eine solche Not- oder Krisenlage erklärte die Bundesregierung während der Corona-Pandemie sowie zu Beginn des Ukraine-Kriegs. Gemeinsam mit der CDU erreichten die Regierungsparteien 2022 eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, um ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr im Grundgesetz einzurichten.
Austeritätspolitik und Privatisierung
Die Schuldenbremse ist Gesetz gewordener Ausdruck einer grundsätzlichen Austeritätspolitik, die allgemein vor allem mit den Bundesregierungen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel in Zusammenhang gebracht wird. Infolge der Finanzkrise 2008/09 wurde Sparen zum Mantra. Ziel sollte sein, zukünftige Generationen vor einer hohen Staatsverschuldung zu schützen, die Wirtschaft sowie die Inflation zu stabilisieren und innerhalb der Europäischen Union sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten als auch eine stabile Währung zu sichern. So lauten zumindest die gängigen Argumente.
Über den strengen Austeritätskurs hinaus fanden zudem Privatisierungen von Wohnimmobilien, Energieversorgern und Krankenhäusern parteiübergreifend Zustimmung als Strategie zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte. Auch die Hartz-Gesetze sollten Einsparungen bringen, wir erinnern uns. All diese zurückliegenden politischen Entscheidungen sind Bausteine eines wirtschaftlich neoliberalen Staates. Mit der Einführung der Schuldenbremse ein Jahr nach dem Börsen- und Bankencrash, der in den USA seinen Anfang nahm, fesselte sich die deutsche Politik schließlich selbst: Sie schränkte die staatlichen Spielräume für Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz, Strukturwandel, Digitalisierung sowie Verwaltung ein und überließ die Bereiche der Daseinsvorsorge vielfach dem freien Markt.
Investitionen in die Zukunft versus Verkonsumierung des Staates? Drei Positionen.
Befürworter:innen der Schwarzen Null führen an, dass die Schuldenbremse verhindern soll, laufende Ausgaben, beispielsweise im Bildungssektor oder Sozialhilfe, durch Schulden zu finanzieren. Sie sprechen sich gegen eine reine „Verkonsumierung der Schulden” statt gezielter Investitionen in den Umbau der Wirtschaft aus. Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des ifo Instituts beklagt, die Politik habe es sich leicht gemacht und wichtige Verteilungskonflikte in eine unbestimmte Zukunft verschoben, daher müsse man über die Möglichkeiten der Staatsverschuldung nachdenken. Dennoch kommt er zu dem Schluss, dass die Schuldenbremse beibehalten werden sollte – mit der Möglichkeit staatlicher Sonderverschuldungen nach dem Vorbild des Sondervermögens für die Bundeswehr. Dabei sei die notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament für die Errichtung eines solchen eine angemessene Hürde. Finanzierungsprobleme des Haushalts führen andere Vertreter:innen dieser Position dabei nicht auf die kontinuierliche Senkung der Besteuerung von Wohlhabenden und Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten zurück, sondern auf vermeintliche „Sozialgeschenke” wie die Kindergrundsicherung oder die Anpassung des Bürgergelds an die Inflation, so zuletzt die Präsidentin des Wirtschaftsrats der CDU, Astrid Hamker. Uns stellt sich die Frage, ob die Einrichtung zahlreicher Sondervermögen das praktische Eingeständnis ist, dass das Instrument der Schuldenbremse finanzpolitisch nicht funktional ist.
Neben Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) haben sich zuletzt auch Politiker:innen aus SPD und Grünen für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen. Sie fordern: Zukunftsinvestitionen müssen möglich sein. Auch andere wirtschaftsliberale Stimmen werden laut und fordern Nachbesserungen im Grundgesetz über Investitionsklauseln, wodurch Investitionen, aber keine reine „Verkonsumierung der Schulden“ sowie keine Schattenhaushalte ermöglicht werden.
Eine dritte Richtung führen vor allem gesellschaftlich linke Kräfte an. Sie fordern eine Abschaffung der Schuldenbremse. Unbegrenzte Staatsverschuldung ist keine Option, da sie Volkswirtschaften instabil macht und in Abwertungsspiralen mündet. Keine Schulden machen, also staatliche Investitionen nicht mehr über Kredite finanzieren, ist als Leitsatz der Finanzpolitik ebenso falsch. Denn ohne Kredite sind die immensen Kosten für den ökologischen Umbau der Wirtschaft und den Strukturwandel nicht realisierbar. Es geht um vertrauenswürdige Zukunftsinvestitionen in die richtigen Bereiche. Künftige Generationen erben nicht nur die Schulden, sondern auch nachhaltige Infrastruktur und eine intakte Umwelt. Eine breite Vergesellschaftung zentraler Schlüsselindustrien der Daseinsvorsorge und gezielte Besteuerung von Vermögen würden neue Spielräume für nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen.
Objektförderung versus Subjektförderung im Wohnungsbau
Im Bereich der Wohnungs- und Energiewirtschaft zeigen sich die Auswirkungen der Schuldenbremse aktuell besonders deutlich. Hier entfacht die Debatte um Investitionen versus Verkonsumierung erneut: Welche Ausgaben generieren langfristig volkswirtschaftlichen Nutzen und welche stellen lediglich kurzfristige Entlastungen für bestimmte Gruppen dar?
2023 gab der Staat lediglich 2,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus, während er parallel mit mehr als 20 Milliarden Euro bedürftige Mieter:innen beim Zahlen ihrer Miete unterstützt hat. Insbesondere das Wohngeld und die Übernahme von Mietzahlungen im Rahmen der Grundsicherung sind reine Konsumtionsausgaben für den Staat: Statt über Objektförderungen in bezahlbaren Wohnraum und preisgünstige Mieten in der Zukunft zu investieren, subventioniert der Staat so die überteuerten Mietpreise von privaten Vermieter:innen und nicht selten börsennotierte Immobilienunternehmen und deren Anleger:innen. Mit größeren finanzpolitischen Spielräumen könnten höhere Investitionen heute zu deutlich niedrigeren Ausgaben morgen führen. Positiver volkswirtschaftlicher Nebeneffekt: Wer weniger Geld für die Miete bezahlt, kann es an anderer Stelle ausgegeben – was wiederum die Wirtschaft ankurbelt.
(Sozialer) Wohnungsbau: Zu lange vernachlässigt
Jahrelang sind zu wenig Investitionen in den Neubau bezahlbarer Wohnungen geflossen. Einige Bundesländer – wie auch Berlin – haben in den 2000er Jahren den sozialen Wohnungsbau gänzlich eingestellt. Die große Lücke im Bestand bekommt die Gesellschaft jetzt immer stärker zu spüren. Hinzu kommt: Angesichts steigender Baukosten und sinkender Rentabilität ist privates Kapital für diesen Zweck nur mit starker Förderung zu mobilisieren. Die Wohnungen werden aber dringend gebraucht. Das immer weiter abschmelzende Angebot im bezahlbaren Segment treibt die Preise auf ein Niveau, das nicht nur für die Einzelnen, sondern auch für die Wirtschaft belastend ist, da es die verfügbare Kaufkraft reduziert. Dazu entpuppt sich der verengte Wohnungsmarkt vielerorts als Flaschenhals für die Zuwanderung von Arbeitskräften.
Eine vom Bündnis Soziales Wohnen, in dem auch der Deutsche Mieterbund Mitglied ist, in Auftrag gegebene Studie des Pestel-Instituts rechnet vor, dass in Deutschland 910.000 Sozialwohnungen fehlen, 131.000 sind es allein in Berlin. 100.000 Sozialwohnungen wollte der Bund jährlich bauen. Dieses Ziel hat er weit verfehlt: 2023 wurden lediglich 30.000 Wohnungen fertiggestellt, also nicht einmal ein Drittel der Zielmarke.
Das Bündnis Soziales Wohnen fordert daher ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, insbesondere in städtischen Gebieten und Ballungsräumen, wo der Bedarf am größten ist. Die Priorität beim Wohnungsbau muss auf dem preisgünstigen Segment liegen, denn zu viele Jahre lang haben sich Wohnungsbauunternehmen allein auf teure Eigentums- und Mietwohnungen konzentriert. Starke Förderungen für Umbau, Aufstockung und Bestandsentwicklung können Anreize schaffen und Eigentümer:innen zu Quoten für dauerhaft günstige Wohnungen verpflichten oder besser noch gemeinwirtschaftliches Handeln von Wohnungsunternehmen im Rahmen einer Neuen Wohngemeinnützigkeit ermöglichen.
Energetische Ertüchtigung im Wohnungsbestand
Die energetische Sanierung von Gebäuden ist ein zentraler Bestandteil der ökologischen Transformation, da der Gebäudesektor laut Bundesumweltamt für rund 30 Prozent der CO2-Emissionen im Gebäudesektor verantwortlich ist. Energetische Sanierungsmaßnahmen und die damit verbundene Gebäudeertüchtigung stellen daher nicht nur eine wichtige Investition dar, sondern führen auch zu einem reduzierten Energieverbrauch und somit zu niedrigeren Energiekosten für die Mieter:innen. Diese Einsparungen machen wiederum finanzielle Mittel für andere Verwendungszwecke frei. Fördergelder für Sanierungen ohne starken energiesparenden Effekt hingegen sind keine Zukunftsinvestition. Sie ermöglichen es lediglich Vermietenden, hohe Kosten durch die Modernisierungsumlage auf die Mietenden umzulegen.
Sozialverträgliche Wärmewende
Eine sozial gerechte Wärmewende weg von fossiler Energie beim Heizen braucht auch umfassende Investitionen in erneuerbare Energien und die dazugehörige Infrastruktur. Dazu gehören beispielsweise die Rekommunalisierung und der Ausbau von Wärmenetzen oder die Förderung von Photovoltaikanlagen, Wärmepumpensystemen und Quartierskonzepten. Weniger abhängig von Gas und Öl aus dem Ausland zu sein, macht die Wirtschaft gleichzeitig auch weniger anfällig für Preis-Schocks etwa durch geopolitische Konflikte.
In allen drei Feldern – sozialer Wohnungsneubau, energetische Gebäudeertüchtigung und soziale Wärmewende – ist die Förderung privat finanzierter Projekte immer eine Absicherung privater Profite. Wohnen ist jedoch ein Teil der Daseinsvorsorge. Ohne Vergesellschaftung beziehungsweise Rekommunalisierung muss immer auch privates Geld mobilisiert werden, um die Investitionslücken zu schließen und der Wohnungs- und Klimakrise zu begegnen. Das belastet jedoch unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen stetig weiter und weiter die privaten Haushalte mit den kleinen und normalen Einkommen und schwächt Demokratie und Wirtschaft.
Sind Schulden die einzige Möglichkeit?
Keineswegs. Es ist auch im Interesse der Mietenden, dass die Regierung den öffentlichen Haushalt nachhaltig führt. Doch auch in Zeiten von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg ist gesellschaftlicher Reichtum nicht einfach verpufft – man muss nur wissen, wo er zu finden ist. Daher sollte zum Stopfen von Haushaltslöchern auch die Möglichkeit einer stärkeren Besteuerung derjenigen in Betracht kommen, die in den vergangenen Krisenjahren ihr Vermögen stark vermehren konnten.
Um Wohnraum bezahlbar zu machen, sind Preisregulierungen etwa in Form eines verfassungsrechtlich besser abgesicherten Mietendeckels denkbar. Wenn zudem mit Investitionen der öffentlichen Hand die Bereiche der Daseinsvorsorge rekommunalisiert würden, müsste die Mitbestimmung der Zivilgesellschaft sichergestellt sein. Die Lasten von heute müssen für zukünftige Generationen auch zu Guthaben führen.
Wie nun umgehen mit der Schuldenbremse?
Zusammengefasst gibt es drei grundsätzliche Wege: 1. Abschaffen der Schuldenbremse, 2. die Einführung von Klauseln, die zielgerichtete Investitionen ermöglichen und 3. der Weg über Sonderverschuldungen für einzelne Sektoren nach Vorbild der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.
Für alle Änderungen im Grundgesetz ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Auch wenn progressive Kräfte gerade sehr schwach sind, begrüßen wir, dass eine Debatte um Grundgesetzänderungen in diesem Rahmen überhaupt stattfindet. Als politische Interessenvertretung können auch wir uns der Debatte nicht verschließen – zu viel hängt in der Wohnungs- und Mietenpolitik von nachhaltigen staatlichen Investitionen ab. Allein der politische Wille muss vorhanden sein, die Debatte weiter zu führen.
Eine Diskussion von Moritz Lang und Franziska Schulte
Exkurs
Unser Kollege Armin Hentschel, Sozialwissenschaftler und Autor, findet in seiner Studie „Gemeinwohlorientierter Wohnungsbau – Bausteine für eine Neukonzeption“ folgende Position zur Schuldenbremse:
“Die fiskalischen Regeln, die sich Deutschland und die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) gegeben haben, sind dysfunktional, da sie den fiskalischen Spielraum des Staates unnötig einschränken. Hinzu kommt, dass so ein prozyklisches Investitionsverhalten (gemäß dem Konjunkturverlauf) des Staates gefördert wird*. Daher sollte die Schuldenbremse abgelöst werden durch die sogenannte goldene Regel der Finanzpolitik. Gemäß dieser Regel dürfen die Budgetdefizite mittelfristig nicht höher als der Anteil der öffentlichen Bruttoinvestitionen am BIP (Bruttoinlandsprodukt) sein. Die Regel würde Spielräume eröffnen, die unter anderem für den sozialen Wohnungsbau nutzbar wären.”
Die Goldene Regel der Finanzpolitik basiert auf der Annahme, dass öffentliche Kredite Lasten für spätere Generationen erzeugen, zugleich aber durch die (kreditfinanzierte) öffentliche Investition auch ein Nutzen beziehungsweise reelle Erträge für diese Generationen generiert wird.
*Antizyklische Investitionen werden bei schlechter Konjunktur nötig, um die Wirtschaft anzukurbeln.
14.03.2024