Inflation und explodierende Energiekosten machen die Frage nach der Verantwortung des Staates für die Daseinsvorsorge seiner Bürger:innen drängender. Es gibt Bereiche, die gemeinwohlorientiert bewirtschaftet werden müssen. Wohnen und Energie zählen dazu.
Die Energiepreise schnellen in die Höhe und auch alle anderen Lebensbereiche werden so teuer, dass viele mit Sorge in die Zukunft blicken. Dabei geht es nicht um verzichtbaren Luxus – die existentiellen Bedürfnisse wie Wohnen, Gesundheit, Mobilität, Energie- und Wasserversorgung, Bildung und Ernährung rücken mit Nachdruck in unser Bewusstsein. Sind diese Bereiche gefährdet, können wir unser Leben nicht mehr angemessen führen.
Was passiert, wenn diese Bereiche so stark vom Markt abhängig sind, dass die Anbieter:innen dieser Güter und Dienstleistungen Preise verlangen können oder müssen, die für viele unbezahlbar sind? Spätestens dann – also jetzt – stellt sich die Frage, welche Eingriffsmöglichkeiten die Gesellschaft hat. Ein Instrument ist die Daseinsvorsorge.
Daseinsvorsorge – was fällt darunter?
Daseinsvorsorge ist ein verwaltungsrechtlicher Begriff, der aber auch in der politischen Debatte und der sozialwissenschaftlichen Forschung verbreitet ist. Er bezeichnet die Aufgabe des Staates, dafür Sorge zu tragen, dass bestimmte Güter und Dienstleistungen, die für das Dasein notwendig sind, allen Menschen zu leistbaren Preisen zur Verfügung stehen. Was alles dazu gehört, ist nicht eng definiert. Neben den oben genannten Bereichen können noch Straßenreinigung, Müll- und Abwasserentsorgung sowie Telekommunikation und Rundfunk dazugezählt werden.
Privatisierung und Rekommunalisierung
Viele dieser Bereiche waren in der Bundesrepublik lange in kommunaler Hand, bis in den 1990er und 2000er Jahren eine Privatisierungswelle den öffentlichen Sektor überrollte: Bahn, Post, Energieversorgung, Müllabfuhr, Bäderbetriebe, Krankenhäuser – die Kommunen verkauften vieles an private Unternehmen und Konzerne. Die Begründung war neben der Haushaltskonsolidierung der erhoffte Effekt, dass der Wettbewerb der Anbietenden zu einem besseren Angebot für die Bürger:innen und zu einer Preisregulierung führen würde.
Seit einigen Jahren findet jedoch eine Trendumkehr zur Rekommunalisierung dieser Bereiche statt. Denn viele Kommunen mussten feststellen, dass die erhofften Effekte ausgeblieben sind. Weder ist der mit der Privatisierung erwartete bessere Service bei finanzmarktorientierten Konzernen eingetreten, noch sind die Preise für diese Dienstleistungen gesunken – im Gegenteil.
Insbesondere beim Wohnen mussten wir erleben, wie die Privatisierung großer Wohnungsbestände dafür gesorgt hat, dass zu wenig in den Bestand oder preiswerten Neubau investiert wurde, während die Mieten trotzdem stiegen.
Rekommunalisierung, also Rückkauf der Unternehmen durch die öffentliche Hand, erfolgt oft zum aktuellen Marktpreis und ist für Kommunen sehr teuer.
Inwieweit das Wohnen oder bestimmte Aspekte davon zur Daseinsvorsorge gehören, ist nirgendwo klar definiert. Doch vieles spricht dafür, Wohnen als Teil der sozialen Infrastruktur zu begreifen, denn wohnen müssen alle. Dabei erwarten die meisten Menschen keine Luxuswohnungen oder Einfamilienhäuser. Es ist die mangelhafte Versorgung mit leistbaren Wohnungen, die auch bei Sozialverbänden die Sorge um den sozialen Frieden weckt. Durch die Privatisierung sind Kommunen und Bundesländer wie Berlin jedoch viel unfähiger geworden, das Wohnungswesen zu steuern und Mieten leistbar zu halten. Die Vergesellschaftungsinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ verlangt deshalb auf dem Wohnungsmarkt die Vergesellschaftung.
Der Berliner Mieterverein unterstützt die Forderung der Initiative. Wir gehen damit einen Schritt über die Forderung der bloßen Rekommunalisierung hinaus: Die Bereiche der Daseinsvorsorge sollten nicht renditeorientiert, sondern gemeinwohlorientiert bewirtschaftet werden, damit sie für alle leistbar sind. Der Preis für die Ent-Privatisierung sollte jedoch nicht durch den Markt bestimmt sein und nicht den ungebremsten Renditevorstellungen der Konzerne entgegenkommen, um diese meist mit öffentlichen Geldern geschaffenen Güter zurückzubekommen. Vergesellschaftung von solchen Segmenten der Daseinsvorsorge bezieht also das Interesse der Gesellschaft mit ein, diese auch für alle leistbar zu halten.
Dies betrifft nicht nur das Wohnen, sondern auch die Energieversorgung. Hier explodieren derzeit die Kosten für die Mieter:innen, für Gewerbetreibende und alle Unternehmen. Wir befürchten Zahlungsschwierigkeiten für sehr viele Mieter:innen, wenn der Staat nicht eingreift. Zwar ist im dritten Entlastungspaket eine Strompreisbremse angedacht, ihre Ausgestaltung aber im Moment noch unklar. Als Mieterverein wissen wir aus langjähriger Erfahrung, dass der Markt dieses Problem nicht lösen wird. Deshalb haben wir auf der diesjährigen Delegiertenversammlung im August einen Leitantrag beschlossen, der auch in dieser Branche die Prüfung einer Vergesellschaftung fordert.
Konzepte für eine zukünftige Wirtschaft
Die Frage der Vergesellschaftung von Teilen unserer Daseinsvorsorge wirft den Blick nicht nur auf die sozial gerechte Verteilung der Güter der Daseinsvorsorge, sondern auch auf die demokratische Verwaltung dieser Wirtschaftsbereiche. Es gab in der Vergangenheit verschiedene Modelle, beides zu organisieren. Sie bieten Ansätze für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Zukunft. Zugleich gibt es Analysen zu den Fallstricken und Fehlerquellen solcher Modelle. Wer in diese Debatten und Zukunftskonzepte tiefer einsteigen will, kann dies vom 7. bis zum 9. Oktober 2022 auf der Vergesellschaftungskonferenz an der TU Berlin tun. Die Konferenz ist für alle Interessierten offen.
22.09.2022