Hartnäckig hält sich der Mythos, der Staat müsse der Wohnungswirtschaft nur mehr „Anreize“ bieten, damit sie bezahlbare Wohnungen baut. Mit Anreizen sind Fördermittel gemeint. Mit Fördermitteln sind Bankdarlehen zu sehr guten Konditionen oder geschenktes Geld in Form von Zuschüssen oder Steuerverzichten gemeint. Dieser Mythos scheint auch die aktuelle Wohnungspolitik im Land wie im Bund zu leiten. Ein Diskussionsbeitrag.
Anfang August trat Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, der Wohnungswirtschaft besondere Abschreibungsmöglichkeiten, eine sogenannte Sonder-AfA, anzubieten. AfA bedeutet „Abschreibung für Abnutzung“, und das bedeutet, dass Eigentümer:innen den Wert der Baukosten, die ihre Immobilie bei Fertigstellung gekostet hat, jährlich auf dem Papier verringern können, weil sie sich „abnutzt“. Aktuell können Immobilienbesitzer:innen jährlich drei Prozent des Wertes abschreiben, das heißt, sie müssen für ihren Besitz weniger Steuern zahlen.
Wohnungsbau zum Nulltarif über Sonderabschreibungen
Die Sonder-AfA der Ministerin soll Immobilienbesitzer:innen nun ermöglichen, in den ersten vier Jahren jeweils sieben Prozent abzuschreiben. Das heißt, dass nach nur vier Jahren bereits 28 Prozent der Baukosten abgeschrieben sind – für diesen Anteil müssen die Besitzer:innen dann keine Steuern mehr zahlen. Bares Geld also. In den folgenden vier Jahren dürfen sie jeweils fünf Prozent abschreiben. Damit sind die Baukosten nach nur acht Jahren fast zur Hälfte abgeschrieben. Anschließend gilt für 26 Jahre eine Abschreibung von jeweils zwei Prozent. Nach 32 Jahren sind die Baukosten amortisiert– und die Eigentümer:innen müssen darauf keine Steuern mehr zahlen.
Diese Geschenkidee der Ministerin ist an keinerlei soziale Auflagen gebunden. Dementsprechend freut sich der Interessenverband der Immobilienwirtschaft ZIA auch uneingeschränkt über den Vorschlag. Wohnungsbau zum Nulltarif über Sonderabschreibungen – das gab es schon einmal, wir erinnern uns: Der soziale Wohnungsbau in Westberlin praktizierte in den 1970er Jahren genau dieses Modell (siehe Literaturtipp). Doch damals waren an die Super-Sonder-Abschreibungsmöglichkeiten zumindest soziale Auflagen gebunden. Der Bundesverband der großen Wohnungsunternehmen GdW fordert in dieser Tradition ebenfalls eine Sonderabschreibung für garantierte Mietbegrenzungen. Wohlgemerkt: Diese möchte er noch oben drauf auf die bereits von der Ministerin vorgeschlagenen Steuergeschenke.
Sozialwohnungen für 11,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt
Auch in Berlin setzt die aktuelle Regierung weiterhin nicht nur auf „Kooperation statt Konfrontation“, sondern unterlegt dieses Motto auch mit den im Berliner Bündnis für Neubau und bezahlbares Wohnen versprochenen Förder-Geschenken. Die im Bündnis vertretenen privaten Wohnungsunternehmen hingegen verzichten ihrerseits bislang auf die versprochene Gegenleistung im Neubau. 2022 bauten sie zwar fast die 20.000 von der Regierung geforderten Wohnungen – genauer gesagt 17.310. Diese dürften sich jedoch überwiegend im höherpreisigen Segment befinden, denn geförderte Sozialwohnungen wurden statt der versprochenen 5.000 nur 2.747 errichtet.
Dabei hat der Senat die Förderbedingungen für die Wohnbauförderung in den vergangenen fünf Jahren bereits dreimal verändert. Jedes Mal erlaubte er höhere Einstiegsmieten. Mittlerweile gelten auch Wohnungen ab 11,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt als „Sozialwohnungen“. Nach der aktuellen Erhebung des Ifo-Instituts wird ein Single-Haushalt der unteren Mitte dabei bereits 31 bis 40 Prozent des Nettoeinkommens für die Nettokaltmiete ausgeben, abhängig von der Wohnungsgröße. Dennoch baut kaum ein privates Unternehmen Wohnungen mit Sozialbindung, weil sich in anderen Segmenten immer noch größere Gewinne erhoffen lassen.
Die Anzahl der Anspruchsberechtigen steigt, die der Sozialwohnungen sinkt
Doch welche Wohnungen braucht Berlin? Welche Einkommen können sich welche Wohnungen leisten? Die Bedarfszahlen sind leider veraltet. Der letzte Wohnraumbedarfsbericht des Berliner Senats ist von 2019. Ihm liegen Zahlen von 2017 zugrunde. Demnach hatten 2017 bereits 43 Prozent der Berliner:innen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS). Inzwischen hat der Senat die WBS-Grenze bei der Förderung der Wohnungen angehoben, zunächst auf 180 Prozent der Bundeseinkommensgrenze nach Paragraf 9 WoFG (Gesetz über die soziale Wohnraumförderung) und mit den neuesten Förderbestimmungen auf 220 Prozent der Bundeseinkommensgrenze.
Unser Regierender Bürgermeister Kai Wegner hat kürzlich angekündigt, die WBS-Berechtigung weiter anzuheben. Wie viele Haushalte dann berechtigt sein werden, weiß bisher niemand. Was wir aber sehr genau wissen: Die vorhandenen Sozialwohnungen reichen schon jetzt nicht, um den Bedarf zu decken. In den kommenden zwei Jahren werden zudem 50.000 der knapp 90.000 Sozialwohnungen ihre Sozialbindungen verlieren, denn sie wurden in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren mit Fördermitteln errichtet. Und da schließt sich der Kreis wieder.
Förderung braucht Forderungen
Trotz der bisherigen Geldgeschenke gibt die Wohnungswirtschaft durchweg an, momentan so gut wie keine Wohnungen zu bauen. Da mutet es doch etwas bizarr an, wenn ihre Verbände und Unternehmen zugleich die Bundes- und Landesregierungen dafür verantwortlich machen, dass die Immobilienunternehmen nicht bauen. Diese Kritik mündet oft in der Forderung nach noch mehr „auskömmlicher“ Förderung. Die Gesellschaft soll bezahlen, was Eigentum der Immobilienwirtschaft werden wird. Da hinkt die Idee der gesellschaftlichen Umverteilung mächtig.
Wir müssen derzeit mit ansehen, wie Politik die Fehler der Vergangenheit nicht nur wiederholt, sondern sogar noch verschärft. Die Wohnungswirtschaft bekommt bereits große Geldgeschenke, hält aber trotzdem weiter die Hand auf, um vermietbare Wohnungen zum Nulltarif zu bauen. Und die Regierung? Lässt sich erpressen und packt weitere Geschenke obendrauf.
Mit diesem Umverteilungswahnsinn Schluss zu machen, erfordert einigen Mut und klare Gegenkonzepte. Förderung braucht klare Forderungen! Welche das sind, ist nach den Erfahrungen der Fehlförderung der vergangenen Jahrzehnte eindeutig: Die Neue Wohngemeinnützigkeit muss endlich kommen. Nur so schaffen wir eine Grundlage, den gemeinwohlorientierten Sektor gezielt mit Steuererleichterungen zu fördern, mit denen auch nach 30 Jahren eine vernünftige Wohnungspolitik möglich ist.
Als Gesellschaft würden wir dabei das gemeinsam durch Steuern erhobene Geld für Zwecke ausgeben, die das Gemeinwohl stärken. Wir brauchen einen großen Sektor bezahlbaren Wohnraums mit dauerhaften Sozialbindungen, damit die Wohnung nicht zum Armutsrisiko für viele wird.
Ein Beitrag von Ulrike Hamann
Literaturtipp:
Das Abschreibungs-Dschungelbuch. Geschäfte mit dem Wohnungsbau von Micha Ulsen & Susanne Claasen
17.08.2023