Mit neuen Weichenstellungen in der Förderung können die Bezirke zu mehr Klimaschutz in Milieuschutzgebieten beitragen – ohne dass Bewohner:innen verdrängt werden. Bund und Land sind gefordert, die Verhandlungsmacht der Stadtentwicklungsämter in den Bezirken zu stärken. Denn die Genehmigungsvorbehalte in Milieuschutzgebieten könnten als Chance für die Einflussnahme auf Maßnahmen wirken.
Uns allen ist klar: Wir müssen Treibhausgasemissionen reduzieren, um unser Klima zu schützen. Vielen ist jedoch nicht bewusst, dass Wohnungs- und Bauwirtschaft dabei eine große Rolle spielen. Denn mehr als 40 Prozent der CO2-Emissionen kommen in Berlin allein aus dem Gebäudesektor. Die energetische Sanierung von Gebäuden spielt daher eine wichtige Rolle, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Auch die Wohnungswirtschaft muss ihren Beitrag leisten. Viele Mieter:innen fürchten sich vor einer energetischen Sanierung, weil sie danach hohe Mietsteigerungen zu erwarten haben.
Es besteht ein Zielkonflikt: Einerseits müssen die Emissionen im Wohngebäudebereich sinken. Dies darf aber andererseits nicht dazu führen, Haushalte wirtschaftlich zu überfordern. Der Zielkonflikt kommt besonders in Milieuschutzgebieten zum Tragen, weil in diesen Gebieten ein erhöhtes Risiko besteht, dass infolge von Mieterhöhungen aus Modernisierungsmaßnahmen Mieter:innen verdrängt werden. Der Berliner Mieterverein ist jedoch überzeugt, dass verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen für den gesamten Wohngebäudebereich diesen Zielkonflikt lösen können. Zusätzlich müssen dann aber in Milieuschutzgebieten die Bedingungen für energetische Maßnahmen geändert werden.
Enorme Mietsteigerungen in der Vergangenheit
Bis zum Jahr 2018 haben tausende Mieter:innen in Berlin erfahren müssen, dass energetische Modernisierungen nicht nur enorme Mietsteigerungen mit sich brachten, sondern oft auch Kosten und Nutzen in keinem guten Verhältnis standen. Die Mieten stiegen im dreistelligen Bereich sprunghaft an, eine nennenswerte Reduktion der Energiekosten gab es jedoch nicht. Zum Teil wenig bis gar nicht auf die individuelle Bausubstanz zugeschnittene Baumaßnahmen sowie die Vernachlässigung von Nachhaltigkeitserwägungen bei den eingesetzten Baustoffen und häufiger Pfusch am Bau haben den Mieter:innen zugesetzt. Die Refinanzierung dieser Maßnahmen schultern die Haushalte bis heute.
Seit 2019 sind Mieterhöhungen „nur noch“ bis zu acht Prozent der Modernisierungskosten pro Jahr möglich, zuvor konnten Eigentümer:innen sogar elf Prozent auf die Mieter:innen umlegen. Die Änderung des entsprechenden Paragrafen 559 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zum 1. Januar 2019 sowie die strikten Preisvorgaben für energetische Modernisierungen unter dem Mietendeckel im Jahr 2020 und im ersten Quartal 2021 haben auch in den Bezirken mit Milieuschutzgebieten zu einem Rückgang der Vermieter:innen-Anträge geführt. Aus unserer Sicht ist das ein weiterer Beleg dafür, dass es einigen Eigentümer:innen nicht um das gesellschaftliche Ziel des Klimaschutzes geht – vielmehr um Rendite- und Wertsteigerungen zu erzielen, die in Folge häufig zur Verdrängung der Bewohner:innen führte.
Status quo: Milieuschutz hemmt Klimaschutz
Aktuell gibt es in Berlin mehr als 70 Milieuschutzgebiete. In diesen abgegrenzten Gebieten soll die bestehende Bevölkerungsstruktur erhalten bleiben und die Berliner:innen nicht aus ihren angestammten Stadtvierteln verdrängt werden, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Seit 2016 machen die Berliner Bezirke stark von diesem im Baugesetzbuch verankerten Instrument Gebrauch – , auch um auf Modernisierungen sowie andere Baumaßnahmen in diesen Gebieten mehr Einfluss zu haben. Dem Klimaschutz dient dies aber offenbar nicht, wie Wissenschaftlerinnen des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung in Potsdam jetzt ermittelt haben. „In Milieuschutzgebieten gelten enge Anforderungen, wann energetische Sanierungen umgesetzt werden dürfen und in welchem Ausmaß. Ergebnisse aus dem Projekt Urbane Wärmewende zeigen, dass die derzeitigen Milieuschutzregelungen “ein relevantes Hemmnis für energetische Sanierungen und den Heizungswechsel darstellen“, schreiben die Wissenschaftlerinnen in ihrem Arbeitsbericht „Energetische Sanierungen in Milieuschutzgebieten“.
Sozialverträglichen Klimaschutz einfordern
Damit gerade in Milieuschutzgebieten Klimaschutz sozialverträglich stattfinden kann, braucht es zunächst neue bundeseinheitliche Regelungen im Mietrecht und im Baurecht. Die Kappungsgrenzen von zwei beziehungsweise drei Euro pro Quadratmeter (§ 559 BGB) sind zu hoch. Lassen sich über die gesenkten Mieterhöhungsmöglichkeiten trotz niedriger Zinsen die Maßnahmen nicht refinanzieren, muss die öffentliche Förderung einspringen. Dazu werden viele Vermieter:innen nicht bereit sein. Deshalb müssen sie in einem neuen Klimaschutzgesetz, was leider vermutlich nur der Bund erlassen kann, in Stufen dazu verpflichtet werden. Parallel sollte der Bund im Baugesetzbuch sicherstellen, dass in Milieuschutzgebieten Genehmigungen für Baumaßnahmen wieder im Hinblick auf Mietobergrenzen oder Mietbelastungsgrenzen versagt oder erteilt werden können.
Kommt es nicht zu den oben genannten Mietrechtsverbesserungen, kann aber unter Umständen in Milieuschutzgebieten eine sozialverträgliche Modernisierung auch dadurch erzielt werden, dass in Nebenbestimmungen zum Behördenbescheid Vermieter:innen zur Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel, die mietbegrenzend wirken, angehalten werden. Das schwebt den Forscher:innen vom IÖW vor. Ob dies rechtlich und praktisch möglich ist, muss geklärt werden.
Genehmigungen an Bedingungen knüpfen
Derweil haben einige Berliner Bezirke begonnen, die Genehmigungsvorbehalte als Chance zu begreifen und Genehmigungen an Bedingungen zu knüpfen. Unter den bestehenden Rahmenbedingungen bemühen sie sich zum Beispiel darum, die Kosten über die Bewilligung von Fördermitteln zu reduzieren, fordern schlüssige Maßnahmenkonzepte sowie den Einsatz nachhaltiger Baustoffe. Nur wenn wir alle notwendigen Maßnahmen sozialverträglich gestalten, kann die sozialökologische Wärmewende der Stadt gelingen und Berlin kann die vom Bund sowie die ((selbst))gesteckten Klimaschutzziele erreichen.
Es besteht jedoch die Gefahr, dass auch mit dem Anreiz einer öffentlichen Förderung die energetische Verbesserung des Gebäudebestands nicht vorankommt, nämlich dann, wenn Gebäudeeigentümer:innen kein Interesse an Maßnahmen mit öffentlicher Förderung haben.
Fazit: Nur ein paralleles Fordern und Fördern kann zu sozialverträglichem Klimaschutz führen. Die Bezirke brauchen klare Leitlinien und müssen untereinander besser zusammenarbeiten – auch um eine größere Verhandlungsmacht gegenüber Investor:innen aufzubauen. Die Devise „Fordern und Fördern“ kann gerade in den Milieuschutzgebieten zu einem positiven Ergebnis führen. Milieuschutz UND Klimaschutz müssen – und können – in Einklang gebracht werden.
17.12.2021