In Städten wie Berlin haben wir heute mit den Folgen der Privatisierungswelle der 1990er und 2000er Jahre zu kämpfen. Welche Instrumente gibt es, um die Wohnungswirtschaft zu beflügeln und dennoch gemeinwohlorientiert zu gestalten?
Mit der Wiedervereinigung der Stadthälften 1990 verfügte Berlin über einen großen Bestand kommunaler Wohnungen, die den Kern des Gemeinwohlangebots ausmachen. Die dann folgende Privatisierungswelle führte zu einem anderen Trend: Der kommunale Bestand sank bis 2015 auf 17 Prozent aller Mietwohnungen, das Gemeinwohlangebot auf 29 Prozent. In 2020 hat sich die Situation nach fünf Jahren rot-rot-grüner Landesregierung etwas verbessert.
Immerhin jede fünfte Mietwohnung gehört nun den Städtischen, etwa jede dritte Mietwohnung gehört zum Gemeinwohlangebot. Die Kritik an der damaligen Privatisierungspolitik von Land und Bund ist berechtigt, ändert allein jedoch nichts an der Situation. Der Notstand an bezahlbaren Mietwohnungen zeigt eindeutig, dass dieses Angebot stark erhöht werden muss. Mittelfristig strebt nicht nur der Berliner Mieterverein an, dass jede zweite Mietwohnung in Berlin von einem Gemeinwohl-Unternehmen angeboten werden soll. Vorbild ist Wien, wo es heute bereits 60 Prozent sind. Dafür wird es auch eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit geben müssen! Doch was bedeutet das konkret?
Das Prinzip ist nicht neu
Unter der Wohnungsgemeinnützigkeit ist grundsätzlich eine Art Tauschgeschäft zu verstehen. Der Wohnungsanbieter verpflichtet sich zu gemeinnütziger Bewirtschaftung des Wohnraums und erhält im Gegenzug vom Staat steuerliche Erleichterungen, die ihm Vorteile gegenüber normalen Wirtschaftsunternehmen verschafft. Bis Ende 1989 war die Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland rechtlich verankert. Der damalige Finanzminister der CDU hielt die Wohnungsgemeinnützigkeit aber für entbehrlich. Die konservativ-liberale Bundesregierung unter Helmut Kohl schaffte sie mit Hinweis auf entspannte Märkte, finanzielle Einsparungen und den Skandal um die gewerkschaftseigene Neue Heimat ab.
Wohnungsunternehmen und -baugesellschaften verpflichteten sich damals dazu, ihre Mietpreise zu begrenzen, auszuschüttende Renditen auf vier Prozent zu beschränken und das Vermögen des Unternehmens für den Bau von Wohnungen zu nutzen. Dafür gab es einen Erlass der Gewerbe-, Vermögens- und Körperschaftsteuer. In manchen Bundesländern entfiel zudem die Grunderwerbsteuer.
Eingespart wurde bei den Wohnungsbausubventionen dann letztendlich nicht, das Geld ging stattdessen in die private Eigentums- und Subjektförderung. Die Wohnungswirtschaft wird heute weiter massiv subventioniert, jedoch mit der Folge, dass diese Förderung viel mehr Einzelnen und nicht mehr dem Allgemeinwohl dient. Eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, die vermutlich der Bund erlassen müsste, soll neben den alten Prinzipien bei der Mietengestaltung unterhalb der ortsüblichen Mieten liegen und die Einkommensentwicklung berücksichtigen, Haushalte mit niedrigem Einkommen und sonstigen Marktzugangsschwierigkeiten besonders berücksichtigen, Mieterbeteiligung und Mietermitbestimmung aufnehmen und auch das Quartier im Blick haben.
Wer profitiert und wie viel kostet das den Staat?
Wie aus Medienberichten über Unternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia bekannt, gehen Überschüsse bei privaten Investoren zumeist als Rendite an einzelne Aktionäre, die Allgemeinheit hat dagegen unter den Gewinnerwartungen zu leiden. Die Summen steigen dabei stetig und erweisen sich als besonders krisenfest. Eine Gemeinwohlorientierung müsste hier auch einen Verzicht auf drei bis vier Prozent des Gewinns einschließen.
Das entfachte in den vergangenen Jahren eine Diskussion über den Ruf nach einer neuen Gemeinnützigkeit und ihrer Kosten-Nutzen-Rechnung. Die Argumente ähneln dabei stark jenen Stimmen zu Zeiten der Abschaffung: Wer profitiert und wie viel kostet das den Staat? Während die einen in ihr Chancen für einen kostengünstigeren Neubau und sozialverträglichere Entwicklungen sehen, halten sie andere für eine kostenintensive Träumerei. Umgesetzt werden könnte sie durch Ankauf, Neubau und auch Vergesellschaftung, die seit dem 26. September 2021 deutlich an Gewicht gewonnen hat.
Ein gewichtiger Eingriff in die Wohnungswirtschaft
Die Vergesellschaftung von Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen, für die sich kürzlich knapp 57 Prozent der Berliner Wahlberechtigten per Volksentscheid entschieden haben, wäre als Schritt zur Erreichung des Ziels aber zweifelsfrei ein gewichtiger Eingriff in die Wohnungswirtschaft. Auf der anderen Seite erleben wir ständig, dass verfassungsrechtlich anerkannter Schutz der Mieterinnen und Mieter mit Füßen getreten wird. Die Angst vor Kündigung und Verdrängung sind trotz bestehender Regularien für viele Menschen täglich Realität und für die Kommunen frustrierend und kostspielig.
So ist zum Beispiel das bisher vereinzelte Durchsetzen des Vorkaufsrechts der Bezirke in Milieuschutzgebieten als Instrument zum Schutz von Mieterinnen und Mietern letztlich ein Tropfen auf den heißen Stein: Bei den heutigen Verkehrswerten von Immobilien ist es eine teure Prozedur, die immer nur ein einzelnes Haus in kommunale oder gemeinwohlorientierte Hände überführt und wenige Mieter:innen schützen kann. Das muss sich ändern!
Wir brauchen mehr gemeinwohlorientierten Neubau
Doch die Vergesellschaftung und der Ankauf von Wohnraum allein wird das insgesamt bestehende Defizit an preisgünstigem Wohnraum nicht aufzulösen können. Es braucht auch deutlich mehr bedarfsgerechten Neubau der Gemeinwohl-Anbieter. Voraussetzung dafür ist jedoch bezahlbarer Boden, für den kräftige Eingriffe in die Grundstückspreisentwicklung nötig sind. Gemeinwohlorientierte und darunter auch städtische und genossenschaftliche Vermieter müssen in Zukunft leichter Grundstücke auch von privaten Eignern erhalten können.
Der Versuch zur Einführung eines Mietendeckels in Berlin durch den rot-rot-grünen Senat hat gezeigt: Es ist kein leichter Weg. Rechtliche Grundsteine auf dem Weg zu einer gemeinwohlorientierten und damit auch sozialökologischen Zukunft müssen diskutiert und ausgelotet werden. Gelernt haben wir schon jetzt, dass es dabei langfristig nicht kleinteilig vorangehen kann. Nicht jede Kommune sollte ihr eigenes Süppchen kochen müssen, vielmehr braucht es handfeste Instrumentarien auf Bundesebene. Das fehlende Gemeinwohl-Angebot ist beileibe nicht nur ein Berliner Problem. Doch gibt die Realität vor Ort die Richtung an und kann als Motor agieren. Schon die 57 Prozent Zustimmung für den Volksentscheid bedeutet schließlich: Wir brauchen und wollen eine am Gemeinwohl orientierte Wohnungspolitik!
15.10.2021