Das Berliner Projekt Social B&B unterstützt benachteiligte junge Menschen auf dem Weg in eine eigene Wohnung. Kooperationen mit der Wohnungswirtschaft spielen dabei eine zentrale Rolle. Ein Interview über die Herausforderungen, Erfolge und Wünsche einer oft übersehenen Gruppe.
Der Berliner Wohnungsmarkt stellt alle Mieter:innen vor große Herausforderungen – für benachteiligte junge Menschen (ohne materielle Sicherheiten) ist die Lage oft aussichtslos. Um ihnen eine Chance auf ein eigenes Zuhause zu geben, hat Gangway, der größte Träger für Straßensozialarbeit in Deutschland, das Projekt Social B&B ins Leben gerufen. Mit ihrem Projekt möchte der Träger der Aussichtslosigkeit entgegenwirken und die Jugendlichen bei der Wohnungssuche und damit auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben unterstützen. Social B&B setzt dabei zum einen auf Kooperationen mit der Wohnungswirtschaft, um von Gangway betreute Jugendliche in Wohnraum zu vermitteln, und zum anderen auf Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit, um für die Situation junger Menschen auf dem Wohnungsmarkt zu sensibilisieren und strukturelle Verbesserungen anzustoßen.
Wir haben mit Michelle von Ruschinski, Projektkoordinatorin von Social B&B mit Schwerpunkt Wohnen, und Matthias Gutjahr, langjähriger Straßensozialarbeiter bei Gangway Berlin, gesprochen.
Lieber Matthias, was macht Gangway und wie lange gibt es euch schon?
MG: Die Geschichte von Gangway ist eine Geschichte Berlins und gleichzeitig eine Geschichte der Straßensozialarbeit. Nach dem Mauerfall gingen viele geschützte Räume verloren, Jugendliche aus Ost- und Westberlin fanden sich auf der Straße wieder, bildeten „Gangs“. Schnell entstanden Konflikte zwischen den verschiedenen Jugendgruppen. Die damalige Jugendhilfe erreichte diese Jugendlichen nicht mehr. Gangway nahm deshalb ab dem Herbst 1990 in Kreuzberg, Wedding und Neukölln Kontakt zu den Jugendlichen auf, um sie und ihre Bedürfnisse kennenzulernen. So entwickelte sich eine Zusammenarbeit, in der wir gemeinsam Wünsche realisiert haben, zum Beispiel ein Bauwagenprojekt oder die Bereitstellung eines Raumes für die Gruppe in einem Jugendclub. Dadurch entstanden wieder zugängliche Räume.
Inzwischen sind wir 30 Teams mit 125 Mitarbeiter:innen, die in fast allen Berliner Bezirken unterwegs sind. Ich selbst arbeite seit vielen Jahren als Streetworker bei Gangway im Startpunkt-Projekt, das junge Menschen kurz vor, während und unmittelbar nach ihrer Haftentlassung begleitet. Wohnen ist dabei ein wichtiges Thema.
Liebe Michelle, „Wohnen ohne Aussicht“ titelt ihr auch in eurem Jahresbericht. Wann wurde euch klar, dass ihr im Bereich Wohnen dringend etwas anbieten müsst?
MvR: Vor 20 Jahren war es einfacher, jungen Menschen Wohnraum zu vermitteln. Der Mietmarkt war anders. Doch mit der starken Gentrifizierung und dem steten Zuwachs in der Stadt wird das Thema Wohnen für Gangway immer wichtiger. Deshalb haben wir Social B&B ins Leben gerufen, um auf die Bedürfnisse der von uns begleiteten jungen Erwachsenen aufmerksam zu machen. Das sind junge Menschen in Gangway-Unterstützung, die finanziell nicht gut genug dastehen, um eigenständig auf dem Wohnungsmarkt erfolgreich zu sein, aber auch nicht in einer so schlechten Situation sind, dass sie im System der sozialen Hilfen landen. Unser Ziel ist es, diesen Menschen mit Vermittlungsproblemen eine eigene Wohnung zu verschaffen. Das ist für junge, überforderte Menschen schwierig. Viele von ihnen haben Schwierigkeiten, den Zugang zu Ämtern und Behörden zu finden. Auch bei den Wohnungsbaugesellschaften stehen diese Jugendlichen ganz hinten in der Schlange.
Wir versuchen als Kommunikator aufzutreten, Kontakt mit den Wohnungsbaugesellschaften aufzunehmen und Wohnungen zu vermitteln. Bei den Wohnungsbaugesellschaften treffen wir auch immer wieder auf sehr hilfsbereite Ansprechpartner:innen, die sich für eine erfolgreiche Vermittlung einsetzen.
Könnt ihr uns von einem Beispiel berichten, wie ihr einem jungen Menschen erfolgreich Wohnraum vermittelt habt?
MvR: Ja, ein Fall ist mir noch sehr präsent. Er zeigt auch die Problematik, dass die Vergabe von Wohnraum in dieser Stadt oft an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist. Kürzlich benötigte eine junge Frau neuen Wohnraum. Die Wohnung, in der sie bisher lebte, war an die Zeit ihrer Ausbildung gebunden. Mit Ausbildungsende endete auch das Mietverhältnis. Glücklicherweise hatte einer unserer Kooperationspartner tatsächlich gerade eine freie Wohnung. Die junge Frau konnte die Wohnung noch in derselben Woche besichtigen und kurz darauf einziehen. Auch ihre Mutter wurde in der Nähe fündig.
So ist es oft: Wir müssen schnell Wohnraum finden. Wohnungsneubau ist für dieses Problem nicht die Lösung. Die jungen Menschen, die bereits vor der Tür stehen, benötigen sofort Hilfe. In solchen Fällen erweisen sich unsere Kooperationspartner:innen oft als hilfreich.
Neben der praktischen Unterstützung von Jugendlichen engagiert ihr euch auch als Interessenvertretung. Welche Forderungen stellt ihr an die Politik, um die Situation von benachteiligten Jugendlichen zu verbessern?
MG: Wir sitzen in verschiedenen politischen Gremien wie der Bezirksverordnetenversammlung oder dem Jugendhilfeausschuss. Auch die Senatsverwaltung holt regelmäßig unsere Meinung ein und erkundigt sich, wo es in der Stadt nicht funktioniert.
Bei Gangway, speziell im Startpunkt-Projekt, betreuen wir Menschen aus der ganzen Welt. Viele von ihnen haben einen Asylantrag gestellt, der aber abgelehnt wurde. Aufgrund von Unklarheiten zum Geburtsdatum oder Herkunftsland werden sie hier sozusagen „verwahrt“, da sie nicht abgeschoben werden können. Das ist eine enorme Herausforderung, da sie weder arbeiten noch sich eine Existenz aufbauen können. Diese Menschen werden oft auf Dauer in mangelhaften Wohnheimen untergebracht und können nicht aus dieser Situation ausbrechen – auch, weil sie kein Geld verdienen dürfen. Dafür brauchen wir dringend eine Lösung. Ideal wären spezielle Wohnheime für junge Menschen, in denen sie Betreuung, Beratung und Vermittlung finden und die sie nicht in die gleichen Umstände bringen wie die derzeitigen Notunterkünfte.
MvR: Die Ausweitung der Wohnberechtigungsscheine (WBS) könnte hier eine positive Perspektive bieten. Der Koalitionsvertrag beinhaltet die Möglichkeit eines WBS für Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus. Das würde vielen Menschen helfen, wenn in diesem Zuge auch mehr Wohnungen mit Sozialbindungen entstehen würden.
Darüber hinaus wünschen wir uns eine politische Debatte, inwiefern erster eigener Wohnraum als Grundlage für die Verselbstständigung junger Menschen besonders gefördert werden könnte. Dass auf dem Gipfel gegen Jugendgewalt Anfang des Jahres die Konzipierung einer Jugendwohnagentur beschlossen worden ist, sehen wir als einen Schritt in die richtige Richtung.
Das Thema ist aber komplex, daher ist es so wichtig, Kontakte zu haben, die offen sind, zuhören und die pragmatisch mit Wohnungen unterstützen wollen. Dafür brauchen wir aber noch deutlich mehr Kooperationspartner:innen.
Das Interview führte Vera Colditz
Für Vermieter:innen
Sie besitzen Wohnraum in Berlin und wollen diesen fair und sozial an junge Menschen vermieten? Oder arbeiten Sie bei einer Hausverwaltung und wollen sich sozial engagieren? Dann nehmen Sie gern direkt Kontakt mit der Projektkoordinatorin Michelle von Ruschinski auf: social-bnb@gangway.de
Der Flyer von Social B&B erklärt alle wichtigen Details zum Ablauf.
19.07.2023