Das Wohnraumversorgungsgesetz braucht dringend eine Novellierung, um die Mitwirkungsrechte von Mieter:innen zu verankern. Die Weigerung der SPD akzeptieren wir nicht.
Um die Mitwirkungsrechte von Mieterinnen und Mietern bei den kommunalen Wohnungsunternehmen zu stärken, tritt der Berliner Mieterverein für eine Novelle des Wohnraumversorgungsgesetzes ein. Die Novellierung soll die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Mietern und Mieterinnen gesetzlich absichern und erweitern. Doch bisher scheitert dies am Widerstand des Finanzsenators und der SPD. „Diese grundsätzliche Weigerung können wir nicht akzeptieren“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Mit dieser Ansicht steht der BMV nicht allein.
„Seid gegrüßt ihr Trauergäste und Passanten und an die Adresse der Berliner Genossinnen und Genossen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, ihr habt unser tief empfundenes Mitgefühl, weil ihr die Novelle des Wohnraumversorgungsgesetzes nicht mittragen wollt und wir sie deshalb hier und heute zu Grabe tragen müssen. In der Arbeitsgruppe zur Novellierung haben wir uns […], trotz großer Kompromisse, wohl vergebens für die Verankerung von Mieterbeiräten und Mietermitbestimmung engagiert.“
Alfons S. von der Initiativgruppe der Mieterbeiräte für ein neues Wohnraumversorgungsgesetz
Am Vormittag des 11. August 2021 versammeln sich rund 30 Mieterinnen und Mieter als Trauergäste gekleidet vor dem Kurt-Schumacher-Haus in der Müllerstraße. Mozarts Requiem erklingt aus einem Lautsprecher als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der performativen Aktion die verkehrsreiche Straße im Wedding entlang schreiten und mit ihren Sarg mit der Aufschrift „Mieter:innenmitbestimmung“ vor der Landesparteizentrale der SPD das Wohnraumversorgungsgesetz „zu Grabe tragen“.
Der BMV unterstützt das MiMi Netz Berlin
Mit dem Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG), das 2016 in Kraft trat, wollte der Berliner Senat die Grundlage für eine sozialere Ausrichtung der sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen Berlins schaffen. Die Mieterbeiräte und Mieter:inneninitiativen sowie die Wohnraumversorgung Berlin setzen sich seither ebenso wie der Berliner Mieterverein für eine gesetzliche Absicherung der Mieterbeiräte und erweiterte Mitbestimmungsmöglichkeiten ein.
Eine dieser Initiativen ist das Mieter:innen Mitbestimmung Netzwerk Berlin, kurz MiMi Netz Berlin. Es hat sich Anfang des Jahres gegründet, um die offenbar schwierige Novellierung des Wohnraumversorgungsgesetzes in der rot-rot-grünen Koalition voranzutreiben, aber auch auf andere Missstände bei den LWU hinzuweisen. Im MiMi Netz haben sich neben Mieterbeiräten auch die Initiativen der rekommunalisierten Wohnungsbestände zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Mit der Unterstützung des BMV setzt das MiMi Netz den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die gesetzliche Implementierung der Mieter:innenmitbestimmung. Als den Beteiligten im Rahmen der Anhörung zur Gesetzesnovelle deutlich wurde, dass die SPD-Fraktion und mit ihr der SPD-geführte Senat für Finanzen die gesetzliche Regelung zur Mitbestimmung der Mieterbeiräte nicht für nötig erachten, beschloss das Netzwerk die satirische Aktion „Das Wohnraumversorgungsgesetz zu Grabe tragen.“
„Wir beerdigen hier die Novelle des Wohnraumversorgungsgesetzes. Wir beerdigen damit auch die zarten Pflänzchen der Mietermitbestimmung, das heißt einen wichtigen Teil der sozialen Wohnraumversorgung generell. Und weil die SPD dafür politisch die Verantwortung trägt, sind wir genau hier vor der Berliner SPD-Zentrale und ich persönlich sehe keine andere Möglichkeit, als auch die über viele Jahre bewahrte Rest-Sympathie für diese Partei gleich mit zu beerdigen. Unser Kampf für Mieterrechte allerdings, erhält neuen Schwung.“
Eberhard E., Mieterbeirat bei der Howoge
Dabei hätte es eine gute Chance gegeben, die Novelle des Wohnraumversorgungsgesetzes und mit ihr die gesetzliche Verankerung der Mieter:innenmitbestimmung – oder wenigstens der Mieter:innenmitwirkung – noch in dieser Legislatur zu verabschieden. Derzeit gibt es 118 Mieterbeiräte mit mehr als 530 Mitgliedern in Berlin. Es besteht also heute schon eine breite Basis für die Beteiligung der Mieter:innen, der aber die gesetzliche Grundlage fehlt.
Eine Arbeitsgruppe in der unter anderem die Mieterbeiräte aber auch die Landeswohnungsunternehmen, die Verwaltung und die Wohnraumversorgung vertreten waren, hatten einen entsprechenden Entwurf für die Novelle vorgelegt, der in abgemilderter Form nun auch in den Referentenentwurf der Senatsverwaltung eingeflossen ist. „Man hätte die Ergebnisse der Arbeitsgruppe unter fachlicher Begleitung der Verwaltung auch als Parlamentsentwurf erarbeiten können“, meint Jan Kuhnert, der Ende 2020 ausgeschiedene Vorstand der Wohnraumversorgung Berlin. „Dann wäre man sicher gewesen, dass es in dieser Wahlperiode beschlossen wird.“ Doch dem hat sich die SPD widersetzt.
Die SPD trägt einfache Mitwirkungsrechte beim Wohnen nicht mit
„Es ist erschreckend, dass eine Partei, die sich rühmt, den Kern der heutigen betrieblichen Mitbestimmung durch eine Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 im Rahmen der sozialliberalen Koalition wesentlich geprägt zu haben, heute nicht einmal einfache Mitwirkungsrechte beim Wohnen mitträgt“, erklärt Reiner Wild.
Dabei sind unserer Meinung nach die aktuellen Vorschläge zur Novelle des Gesetzes – auch der von Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) – von einer wirklichen Mitbestimmung der Mieterinnen und Mieter weit entfernt. Denn wir brauchen deutlich weitergehende Regeln. Das Bundesverfassungsgericht hat uns Mieterinnen und Mietern ein quasi „grundrechtliches Eigentum“ an der selbst bewohnten Wohnung zugestanden. Ein Eigentumsbegriff, der die Freiheit der gemeinschaftlichen Nutzung massiv beschränkt, ist aus unserer Sicht historisch überholt. Das gilt aus Sicht des BMV auch für die Mieter:innenmitbestimmung im frei finanzierten Wohnungsbau. Der Sprecher der Mieterinitiative Mehringplatz West – eine jüngst von der Berliner Howoge angekaufte Wohnanlage – beendet seine Trauerrede am 11. August mit der Forderung der Mitwirkungsmöglichkeit für alle Mieter:innen.
„Mieter dürfen keine Bittsteller sein, sondern sollten Partner sein. Sie zahlen Miete und Steuern.“
18.08.2021