Die Überlastung der Kommunen und die desolate Lage in den Massenunterkünften rückt die Nutzung von Mietwohnungen zur Unterbringung von Geflüchteten in den Fokus. Von rechts kommt der Aufschrei, man würde „Einheimische“ damit verdrängen. Eine gefährliche Erzählung, die die eigentlichen Ursachen verschweigt und den Konflikt auf dem Rücken der Schwächsten austrägt.
Skandalisierung gängiger Praxis
Anfang des Jahres berief die AfD im Bundestag eine Debatte über die angebliche Verdrängung von „Einheimischen“ aus ihren Wohnungen zur Schaffung von Flüchtlingsunterkünften ein. Mediale Wellen schlug dabei besonders ein Fall: Mieter:innen im süddeutschen Lörrach sollten aus ihren heruntergekommenen Sozialwohnungen in modernere, weiterhin bezahlbare Wohnungen umziehen, damit die alten Wohnungen abgerissen und neu gebaut werden können. Eine Praxis, die sich in der Vergangenheit bereits für Stadt und Mieter:innen bewährt hat. In den alten Wohnungen sollten nun bis zum Abrisstermin Geflüchtete untergebracht werden. Rechte Boulevardblätter griffen den Fall auf und skandalisierten ihn als „Vertreibung Deutscher“ zugunsten von Geflüchteten. Abgeordnete fast aller Fraktionen widersprachen. Auch der Gemeinderat der Stadt Lörrach verurteilte die Instrumentalisierung der Diskussion über die Wohnraumbeschaffung.
Zwei-Klassen-System unter den Geflüchteten
In Wahrheit sieht die Wohnraum-Beschaffung für Geflüchtete anders aus. Zunächst ist festzuhalten: Niemandem wird einfach der Mietvertrag gekündigt, um aus der Wohnung ein Flüchtlingsheim zu machen. Und welche Gruppen Geflüchteter überhaupt ihr Glück auf den Wohnungsmarkt versuchen können, unterscheidet sich stark: Wer aus der Ukraine geflüchtet ist, muss keinen Asylantrag stellen und kann den Wohnort frei wählen, bei Familie oder Bekannten unterkommen oder eine eigene Wohnung anmieten. Ukrainer:innen dürfen auch direkt arbeiten und beziehen ihre Leistungen nicht vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, sondern vom Jobcenter oder Sozialamt, wodurch sie in Berlin Zugang zur sozialen Wohnhilfe der Bezirke haben.
Für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung aus anderen Ländern wie Afghanistan oder Syrien fliehen, gelten hingegen strenge Einschränkungen. Die Asylsuchenden beziehen ihre Leistungen vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten und bekommen meist lange Zeit keine Arbeitserlaubnis; das mindert ihre Chance auf eine eigene Wohnung stark. Sie müssen zunächst in einer zugeteilten Erstaufnahme-Einrichtung wohnen – mindestens die ersten drei Monate nach Ankunft, häufig bis zur Annahme des Asylantrags, die sich oft lange hinzieht. In diesen Massenunterkünften mangelt es den Menschen häufig an Privatsphäre, Hygiene und Kontakt zur Außenwelt. Eine Studie von Unicef und dem Deutschen Institut für Menschenrechte belegt desaströse Zustände in deutschen Flüchtlingsunterkünften. Die Verfasser:innen fordern deshalb die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in Wohnungen.
Derweil ächzen Kommunen in ganz Deutschland unter den hohen Zahlen von Schutzsuchenden und entwickeln ihrerseits neue Konzepte für deren Unterbringung abseits der überfüllten Massenunterkünfte. Die Ansätze reichen von der Nutzung leerer WG-Zimmer über die Anmietung von Wohnungen durch den Staat bis zur Anmietung einer Wohnung durch die Geflüchteten selbst. Manche Kommunen bieten Vermietenden Mietausfallgarantien an, zahlen Renovierungszuschüsse, um Leerstand nutzbar zu machen und schließen sich auf der Suche nach Wohnraum mit anderen Kommunen zusammen.
Ganz hinten in der Reihe
Insbesondere in Städten und Ballungsgebieten gibt es zu wenig Wohnraum. Bei einem schwindenden Angebot an bezahlbaren Wohnungen und steigender Nachfrage gehen immer mehr Menschen auf der Suche nach einem Zuhause leer aus. Dabei darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die derzeitige Mangellage sich seit mindestens zehn Jahren zuspitzt und das Resultat einer Politik ist, die den tatsächlichen Bedarf an preisgünstigen Mietwohnungen an den Wohnungsmärkten lange verschlafen hat. Wenn Immobilien größtenteils in privater Hand sind, sind die sozial Schwächsten am stärksten betroffen, in diesem Fall die Geflüchteten. Denn selbst wenn sie die Erlaubnis zum Mieten einer eigenen Wohnung erhalten, steht ihnen noch ein langer Weg bevor.
Insbesondere private Eigentümer:innen wollen oft nicht an Geflüchtete vermieten, vor allem wenn diese keine Arbeitserlaubnis haben und Sozialleistungen beziehen. Sie stehen dadurch ganz hinten in der Reihe aller Menschen, die auf der Suche nach einer Wohnung sind. Das führt dazu, dass 40 Prozent der Bewohner:innen von Massenunterkünften immer noch dort feststecken, obwohl sie bereits ausziehen könnten. Daher stehen Geflüchtete in der Regel eher selten mit „Einheimischen“ in Konkurrenz um eine Wohnung – es sei denn, Vermieter:innen nutzen Sprachbarrieren und die Unkenntnis des deutschen Rechts schamlos aus, um Geflüchteten schlechte Wohnungen zu sittenwidrigen Preisen zu vermieten, wie einige Beispiele in Berlin zeigen.
Gemeinsame Interessen statt Spaltung
Der Ist-Zustand passt daher nicht in das Bild, das rechte Akteure gerne von der Situation zeichnen. Mit ihrer Debatte im Bundestag verdeutlicht die AfD, dass es ihr nicht um das Wohl von Sozialmieter:innen geht. Im Gegenteil: Als einzige Fraktion im Bundestag hat die Partei gegen die Verlängerung des sozialen Wohnungsbaus gestimmt und sich konsequent gegen Mietpreisbegrenzungen positioniert. Die Anliegen von Sozialmieter:innen sind für die AfD nur dann von Interesse, wenn sie sie zur Stimmungsmache gegen Geflüchtete instrumentalisieren kann. Eine perfide Strategie: Die AfD will hier zwei Gruppen gegeneinander ausspielen, die im Grunde beide dasselbe Interesse haben – die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.
Anstatt sich spalten zu lassen und nach unten zu treten, sollten Mieter:innen daher den Kampf Geflüchteter für eine menschenwürdige Unterbringung als Teil ihrer eigenen Bewegung sehen und gemeinsam für die Schaffung neuen Wohnraums, die Begrenzung von Mieten und die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne kämpfen.
Ein Text von Moritz Lang
21.09.2023