beschlossen am 15.8.2022
Bruttomiete regulieren, leistbaren Wohnraum schaffen!
Nach mehr als zwei sehr schwierigen Jahren der Corona-Pandemie mit ungeahnten gesundheitlichen Risiken, teils extremen psychischen Belastungen und vielen wirtschaftlichen Katastrophen für Menschen, Haushalte und Gewerbe führt nun die rapide ansteigende Inflation, teilweise bedingt durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine, zu massiven neuen Problemen, vor allem für die Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Stärkste Inflationstreiber sind die Energie- und Lebensmittelpreise. Davon sind die Haushalte direkt betroffen. Mit dem Gas- und Ölpreisanstieg verteuert sich das Wohnen in 2022 erheblich. Nach den erheblichen Preiserhöhungen der Nettokaltmiete in den vergangenen Jahren werden alsbald mit der Heiz- und Warmwasserkostenabrechnung für 2022 Nachzahlungen in Höhe eines Jahresbetrages bisheriger Wärmekosten auf Mieter und Mieterinnen zukommen. Dies wird bei Haushalten mit niedrigem Einkommen die Armutsgefährdung erhöhen, denn die hohen Energiepreise werden mit großer Sicherheit länger anhalten. Reallohnverluste werden zudem die Situation vieler Haushalte verschärfen.
Während durch den Anstieg der Heiz- und Warmwasserkosten die Betriebskosten nun fast zur zweiten Miete werden, ist gleichzeitig mit einem weiteren Druck der Vermieter auf Erhöhung der Nettokaltmiete zu rechnen. Denn Baukostensteigerungen wie auch der Zinsanstieg werden als Argument für die Forderung weiterer Mieterhöhungen benannt, selbst wenn der Vermieter ein reiner Bestandshalter ist, Baukosten und Zinsen kaum eine Rolle spielen. Während bis vor wenigen Monaten von der Bau- und Immobilienwirtschaft, unterstützt von CDU, FDP und Teilen der SPD „Bauen, bauen, bauen“ als einzig probates Mittel gegen hohe Mieten angesehen wurde, scheint nun im Hinblick auf Lieferengpässe, Ressourcenknappheit und Baukostenanstieg die Neubaunotwendigkeit teilweise wie weggeblasen, als gäbe es das Defizit vor allem an preisgünstigem Wohnraum aufgrund des Bevölkerungszuwachses der letzten Jahre nicht. Es steht also zu befürchten, dass auch weiterhin in Berlin der Neubau von Sozialwohnungen oder anderen preisgünstigen Wohnungen deutlich hinter den Notwendigkeiten zurückbleibt. Mit nur 1.011 bewilligten Neubauwohnungen im Sozialen Wohnungsbau wurde in 2021 seit Wiedereinführung der Förderung in 2014 ein Tiefstand erreicht. Dabei wohnen weiterhin viele Menschen in prekären Mietverhältnissen. Familien leben zunehmend auf in beengten Wohnverhältnissen und können immer seltener einen Wohnungswechsel in einer der Anzahl der Haushaltsangehörigen angemessene Wohnungen realisieren. Geflüchtete aus vielen Ländern des arabischen und nordafrikanischen Raums sowie aktuell aus der Ukraine leben in Heimen, Pensionen oder Notunterkünften. Die private Wohnungswirtschaft hat sich bislang wegen Preis- und Belegungsbindungen und der damit verbundenen Beschränkung der Renditen nahezu gar nicht am Sozialen Wohnungsneubau beteiligt. Baukosten- und Zinsanstieg dürfen aber nicht den Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre verstellen. Der massive Anstieg der Mieten bei Wiedervermietung und teilweise auch in Bestandsmietverhältnissen sowie die erheblichen Spekulationsgewinne vor allem der kapitalmarktgetriebenen Anbieter haben die Immobilienvermögen ansteigen lassen. Die Kassen der Wohnungsanbieter sind daher gut gefüllt, Baugeld trotz des aktuellen Zinssatzes von rund 3,5% immer noch günstig. Kein Argument daher, Instandsetzung hinauszuzögern oder nicht für energetische Modernisierung das notwendige Eigenkapital aufzubringen.
So wichtig die Angebotsausweitung mit Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung auch ist, im Kern entscheidet sich die soziale Wohnraumversorgung im Wohngebäudebestand. Gerade hier haben die Privatisierung öffentlicher Wohnungsunternehmen und Wohnanlagen sowie die Finanzialisierung des Wohnens durch finanzmarktgetriebene Investoren zu einem deutlichen Anstieg der Wohnkostenbelastung geführt. Aufgrund unzureichenden Mietpreisrechts, wie zum Beispiel der überwiegend wirkungslosen Mietpreisbremse, gehen in Berlin bei Wiedervermietung jährlich mehrere Zehntausend preiswerte Wohnungen als Angebot verloren.
Die dringend erforderliche Reduktion des CO2-Ausstoßes beim Wohngebäudebestand scheint aktuell aus dem Fokus zu geraten. Das ist für die Erreichung der Klimaschutzziele ein Desaster, das zukünftige Generationen massiv belasten wird. Deshalb darf hier nicht nachgelassen werden. Bei der Umsetzung der CO2-Reduktion wird es aber selbst bei Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel zu weiteren finanziellen Belastungen der Mieter und Mieterinnen kommen, weshalb eine Mietpreisrechtsreform nach wie vor dringend geboten ist.
Die zukünftige Mieten- und Wohnungspolitik muss daher folgende Schwerpunkte setzen:
1. Die Wohnkosten, die für die MieterInnen eine Einheit von Nettokaltmieten und Betriebskosten sind, werden in jedem Fall ansteigen. Bund und Länder sind als Ebenen des Sozialstaats zu verpflichten, die Wohnkostenbelastungen bei Haushalten mit niedrigen und mittlernen Einkommen insoweit bezahlbar zu halten, dass die Bruttomietbelastung nicht über 20%-30% des Haushaltsnetto-Einkommens steigt. Während der Corona-Pandemie mussten viele Haushalte bei ihrer Lebensführung erheblich einsparen, um die Wohnkosten zu tragen. So kamen Immobilienwirtschaft und Vermieter als eine der wenigen Branchen nahezu unbetroffen durch die Krise. Der private Vermögenszuwachs durch Immobilien hat sogar zugenommen, die Immobilienwerte stiegen deutlich an. Eine bundesweite Ermächtigung zur Deckelung der Mieten ist deshalb notwendiger als je zuvor. Dafür muss die Berliner Landesregierung sich auf Bundesebene einsetzen.
2. Die Heiz- und Warmwasserkosten explodieren und werden spätestens im Frühjahr 2023 nach der Betriebskostenabrechnung zu massiven Zahlungsschwierigkeiten bei Mieterinnen und Mietern führen. Der vielfach spekulativ verursachte Anstieg der Energiepreise muss EU-weit sofort gestoppt, ein Energiepreisdeckel eingeführt werden. Zusätzlich müssen die bei den weniger zahlungskräftigen Endverbrauchern ankommenden Energiekosten durch nationalstaatliche Hilfen gesenkt werden. Wettbewerb und Marktpreise werden das Problem nicht lösen. Eine Gewinnbeschränkung, wie z.B. die Übergewinnsteuer der Energieunternehmen ist dringend erforderlich. Auch die Vergesellschaftung ist zu prüfen.
3. Die Klimaschutzanstrengungen für den Wohngebäudesektor müssen kurzfristig erheblich gesteigert werden. Dafür ist ein schnell wirksamer ordnungspolitischer Eingriff notwendig, der eine Befristung und Verstetigung nachhaltig energiesparender Investitionen in Stufen zwingend macht. Damit Verdrängungseffekte und hohe Wohnkostenbelastungen vermieden werden, muss die Mieterhöhungsmöglichkeit nach Modernisierung reduziert werden. Sich allein auf staatliche Förderanreize und Beratungen zu verlassen, hat sich in der Vergangenheit als untaugliches Mittel erwiesen.
4. Angesichts des weiterhin bestehenden Defizits von mehreren zehntausend Wohnungen und der vermutlich anhaltenden Zuwanderung ist eine Verstetigung des Wohnungsneubaus bei deutlichem Anstieg des öffentlich geförderten und gemeinwohlorientierten Anteils zwingend notwendig. Die vom Land Berlin angestrebte Beschleunigung des Neubaus kann sich im Hinblick auf die aktuellen und vermutlich auch längerfristigen Probleme wie Ressourcenknappheit, Lieferengpässen, Mangel an preisgünstigen Grundstücken und fehlenden Arbeitskräften als ‚Tropfen auf den heißen Stein‘ erweisen.
5. Als Nadelöhr für preisgünstigen Neubau hat sich in den letzten Jahren vor allem der Mangel an verfügbaren und preisgünstigen Grundstücken erwiesen. Die Bemühungen des Landes müssen sich auf die Verbesserung und Erweiterung der rechtlichen, finanziellen und personellen Mittel konzentrieren, die für eine vorausschauende aktive Liegenschaftspolitik und den preislimitierten Kauf von Boden notwendig sind. Der Bund bleibt aufgefordert, Lösungen für die Beschränkung der Bodenpreise zu finden. Es ist ein Armutszeugnis der „Ampel“, dass Bodenpolitik in der Koalitionsvereinbarung nicht vorkommt.
6. Die zuvor dargestellte schwierige Situation lässt Lösungen im Bereich der freiwilligen Vereinbarungen mit Bauträgern oder der anbietenden Wohnungswirtschaft unrealistisch erscheinen. Das kürzlich vom Berliner Senat initiierte Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen macht da keine Ausnahme. Auch wenn der Berliner Ansatz des Bündnisses mit der Einbeziehung des Mieterschutzes deutlich über andere Bündnisse hinausgeht, so verbleibt der Charakter der Vereinbarung doch weitgehend im Symbolischen. Die Bereitschaft der Immobilienwirtschaft zu substantiellen Mieterschutzregelungen über die gesetzliche Lage und die schon bestehenden Regelungen hinaus war nicht vorhanden. Im Hinblick auf die geringe Breitenwirkung und die weitgehende Unverbindlichkeit gab es für den BMV keine Grundlage, dem Bündnis als Partner beizutreten.
Forderungen Berlin und Bund:
1. Die notwendige Mietenregulierung bleibt ein zentrales Thema. Für Wohnungssuchende sind die extrem hohen Mieten für neue Mietvertragsabschlüsse eine Riesenhürde. Deshalb braucht es endlich eine wirksame Begrenzung der Miethöhen bei Wiedervermietung. Der Bund ist aufgefordert, dem Wohnungsmarkt mehr Durchlässigkeit zu gewähren und dem Anstieg der Wohnkostenbelastung bei Neuabschlüssen ein Ende zu setzen. Ob die Beseitigung der Ausnahmen von der Mietpreisbremse bei hoher Vormiete oder umfassender Modernisierung ausreichend wäre, ist zu prüfen. Darüber hinaus muss das Wirtschaftsstrafgesetz so verändert werden, dass zukünftig Senkungsansprüche mit Hilfe der Kommunen und deren Androhung von Bußgeldern durchgesetzt werden können, wenn der Vermieter eine Miete verlangt, die mehr als 15% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt.
2. Die Miete darf kein Inflationstreiber sein. Der Bund muss umgehend die Indexfortschreibung für Mietspiegel an andere Kriterien als den Lebenshaltungskostenindex knüpfen. Die Entwicklung der Löhne muss dabei eine zentrale Rolle spielen. Der Abschluss von Indexmietverträgen muss zukünftig untersagt werden. Mieterhöhungen in bestehenden Mietverhältnissen sind auf 2% pro Jahr zu begrenzen. Die „Marktmietenorientierung“ der ortsüblichen Vergleichsmiete ist zu beenden oder durch ein neues System zu ersetzen.
3. Im System der ortsüblichen Vergleichsmiete sind Mietspiegel von großer Bedeutung. Das Land Berlin ist aufgefordert, alle Möglichkeiten zu nutzen, um einen möglichst rechtssicheren Mietspiegel zu erstellen. Bei den verwendeten Methoden muss die Begünstigung der Marktmieten vermieden. Auf außergesetzliche Indikatoren bei der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete, die ebenfalls diesem Zweck dienen, ist zu verzichten.
4. Der Bund muss den Kündigungsschutz verbessern. Eigenbedarfskündigungen sind zu beschränken auf Eigennutzung und Familienangehörige ersten Grades. Das Bestandsinteresse des Mieters ist verstärkt bereits bei der Kündigungsberechtigung einzubeziehen. Die Schonfristzahlung muss auch bei der ordentlichen, fristgemäßen Kündigung ermöglicht werden.
5. Die Energiepreise sind zu deckeln. In Gebäuden mit schlechtem energetischem Zustand, z.B. den Energieeffizienzklassen F, G und H, sind die Vermieter an den Heizkosten zu beteiligen. Der Kündigungsschutz muss bei Zahlungsrückständen aus Heiz- und Warmwasserkosten gestärkt werden. Die CO2-Bepreisung auf fossile Energieträger ist wegen der aktuellen Entwicklung auszusetzen. Sie gibt schlicht keinen Sinn und muss grundsätzlich überprüft werden. Der aktuelle Gesetzentwurf ist zudem aus Gerechtigkeitsgründen zurückzuziehen, weil hierin die Mieter und Mieterinnen gegenüber den Vermietern grob benachteiligt werden. Zur Anregung von Einsparmaßnahmen sollen Vermieter grundsätzlich Heiz- und Warmwasserkosten zu 70% nach Verbrauch und zu 30% über die Wohnfläche abrechnen.
6. Der Klimaschutz im Wohngebäudebestand muss schnell vorangebracht werden. Der Anteil an CO2-Emissionen für den Gebäudesektor schwankt zwischen 30% und 50% in den Kommunen. Es herrscht dringender Handlungsbedarf. Bundesregierung und Bundestag sind aufgefordert, umgehend ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen und eine adäquate Aufstockung von Fördermitteln für kapitalschwache Anbieter umzusetzen. Dazu ist die in der EU geplante Energieeffizienz-Richtlinie, durch die Gebäudeeigentümer zur Reduzierung von Energieverbrauch und CO2-Emissionen ihrer Gebäude in den schlechtesten Effizienzklassen verpflichtet werden, im nationalen Recht vorzuziehen. Für die Ausgestaltung eines langfristigen Stufenmodells kann auf die Grundzüge des vom BMV, der IHK und des BUND in 2010 entwickelten Ansatzes zurückgegriffen werden. Parallel muss das Mietrecht verbessert werden. Die Mieterhöhung nach Modernisierung soll auf höchstens 4% der Investitionskosten bzw. 1,50 €/qm im Monat begrenzt werden. Das Land Berlin hätte sich im Rahmen des Bündnisses für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen die Zusicherung der Eigentümermitwirkung an der Erstellung des Wärmekatasters, der Entwicklung von Nahwärmekonzepten und vielem mehr einholen können. Diese Chance ist leider aktuell verpasst worden. Nun muss sich das Land Berlin vermutlich über das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm mühselig die notwendigen Schritte erkämpfen.
7. Neben besseren mietpreisregulierenden Maßnahmen muss zur Lösung der Wohnungsprobleme für breite Schichten der Bevölkerung ein bedarfsgerechter Wohnungsneubau mit Preis- und Belegungsbindungen vorangetrieben werden, ohne dass der Staat mit seinen Fördermitteln Spekulation, Mitnahmeeffekte und unangemessene private Vermögensbildung unterstützt. Dies wird schon wegen der hohen Grundstückspreise und des Desinteresses der privaten Immobilienunternehmen eine extrem schwierige Aufgabe. Das Land Berlin muss zum einen die Förderung durch höhere Darlehen verbessern und des Weiteren alle Eingriffsmöglichkeiten für sozialen Wohnungsneubau aus dem Baulandmobilisierungsgesetz nutzen sowie die Vergabe öffentlicher Grundstücke im Konzeptverfahren immer mit dem Gemeinwohl verknüpfen. Die Bundesregierung muss das Gemeinwohl im Neubau umgehend mit der Einführung der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit samt Investitionszuschüssen unterstützen.
8. Kapitalmarktgetriebene und stark renditeorientierte Anbieter sind aus dem Berliner Wohnungsmarkt zu verdrängen. Dies kann in unterschiedlicher Form geschehen. Gibt die vom Senat eingesetzte Expertenkommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen grünes Licht für ein rechtssicheres Gesetz, ist der Senat trotz zu erwartender gerichtlicher Auseinandersetzungen gehalten, dem erfolgreichen Volksentscheid vom September 2021 Rechnung zu tragen. Darüber hinaus ist zu prüfen, in wieweit per Landesgesetz der Wohnungsmarkt für o.g. Unternehmen und Vermieter gesperrt wird und deren Bestände zu verkaufen sind (Marktzugangsstopp).
9. Staatliche Zugriffe auf dem Wohnungsmarkt sind grundsätzlich zu erleichtern. Der Bund muss daher umgehend die Vorkaufsrechte auch in Gebieten mit sozialer Erhaltungssatzung wieder ermöglichen, die Voraussetzungen für preislimitierten Ankauf und den Rechtsrahmen für den Schutz der Wohnbevölkerung in Milieuschutzgebieten mittels Mietobergrenzen verbessern. Der Berliner Senat soll eine Sonderabgabe für Eigentümer mit hohen Mieterträgen prüfen, um ggf. dadurch weitere finanzielle Ressourcen zu erschließen.
10. Mietermitbestimmung ist im Rahmen eines Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes auf Landesebene für Wohnanlagen mit einer Mindestanzahl von Wohneinheiten für kommunale und private Anbieter einführen.
19.09.2022