Eigenbedarfskündigungen sorgen in Berlin seit Jahren für Unsicherheit bei Mieter:innen. Nun reagieren die Bezirke gemeinsam mit dem Berliner Mieterverein (BMV) mit einem neuen, erstmals bezirksübergreifenden Bündnisprojekt.
Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum ist in Berlin seit Jahren ein umstrittenes Thema. Zwar wurde die Umwandlung in Milieuschutzgebieten eingeschränkt, doch in der Praxis lässt sich feststellen, dass Ausnahmen und Schlupflöcher zur Verdrängung führen. Eigenbedarfskündigungen sind das effektivste Mittel, um Mieter:innen loszuwerden. Häufig ziehen die angeblichen Bedarfspersonen jedoch gar nicht ein – stattdessen wird die Wohnung wenige Monate später teuer vermietet oder zum Verkauf angeboten. Aus Sicht von Betroffenen, Initiativen und Mieterorganisationen eine perfide Praxis. Die Mieter:innen sind dem enormen Druck ausgesetzt, ihre Wohnung zu verlassen, obwohl der tatsächliche Eigenbedarf oft fragwürdig erscheint. Viele berichten uns von massiver Verunsicherung, psychischem Stress und großer Sorge, ihre vertraute Nachbarschaft und ihr soziales Umfeld zu verlieren. Überflüssig zu erwähnen, dass eine neue bezahlbare Wohnung im Kiez meist nicht mehr zu finden ist.

Bündnisprojekt gegen vorgeschobenen Eigenbedarf
Mit dem Bündnisprojekt “Wohnungsnot durch Umwandlungen und Eigenbedarfskündigungen stoppen” wollen die Bezirke in Zusammenarbeit mit dem Berliner Mieterverein solche Fälle des sogenannten „vorgeschobenen“ Eigenbedarfs aufdecken. Erstmals soll eine Datensammlung entstehen, um Muster zu erkennen und Strategien zu entwickeln. Langfristig könnte eine berlinweite Datenbank entstehen, die Eigentümer:innen mit auffälligen Kündigungen erfasst. Wir sehen darin einen wichtigen Hebel für mehr Transparenz, um unter anderem Wiederholungsfälle besser verfolgen zu können.
Initiator:innen des Projekts sind die Baustadträte der Bezirke Neukölln, Pankow, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg in Kooperation mit dem BMV. Weiterhin beteiligt sind die Mieterberatungsgesellschaften Asum, Mieterberatung Prenzlauer Berg sowie die AKS Gemeinwohl. Die Baustadträt:innen der Bezirke Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf wollen sich ebenfalls anschließen. Das Projekt soll betroffenen Mieter:innen kostenlose Beratung bieten. Es ist wichtig zu betonen, dass breite Informationen und Beratung zum Thema Eigenbedarfskündigungen in Berlin keineswegs neu sind. Zahlreiche Initiativen, Vereine und Projekte – vor allem wir als Berliner Mieterverein – haben umfangreiches Material erarbeitet, das Betroffenen hilft. Was neu ist: Die Bezirke arbeiten jetzt endlich zusammen – und das in Kooperation mit uns. Weitere Städte und Kommunen anderer Bundesländer sollen folgen.
Besorgniserregende Zahlen
Der Handlungsbedarf ist dringender denn je: 2024 stieg die Zahl der Eigenbedarfskündigungen in einigen Bezirken um bis zu 20 Prozent. In unserer Rechtsberatung haben wir seit 2022 mehr als 5.000 Beratungen zum Thema durchgeführt. Besonders betroffen sind Altbauquartiere, in denen hunderttausende Mietwohnungen seit 2013 in Eigentum umgewandelt wurden. Hier schieben die Eigentümer:innen häufig Eigenbedarf vor, um die alten Mietverträge loszuwerden und die Wohnung nach dem Auszug der Mieter:innen deutlich teurer zu vermieten oder sogar weiterzuverkaufen. Häufig trifft es ältere und einkommensschwächere Menschen.
Obwohl der Handlungsbedarf offensichtlich ist, stehen einige Mieter:innen bei der Auftaktveranstaltung den Zielen des Projekts skeptisch gegenüber. Zwar begrüßen sie Beratungsangebote und eine verbesserte Kontrolle, doch sie befürchten, dass die Hilfe zu spät kommt. Viele sehen sich trotz Beratung gezwungen, langwierige und nervenaufreibende Gerichtsverfahren zu führen. Es fehlt aus ihrer Sicht an wirksamen, präventiven Schutzmaßnahmen gegen Kündigungen. Immer wieder wird daher zu Recht gefordert, das Mietrecht auf Bundesebene zu verschärfen und Eigenbedarfskündigungen insgesamt strenger zu regeln. Wichtige Forderungen, die das entstehende Bündnis in den bundespolitischen Raum tragen wird.
Ein Schulterschluss in den Bezirken
Bemerkenswert ist die bezirks- und parteiübergreifende Unterstützung des Projekts. SPD, Grüne, Linke und voraussichtlich auch die CDU ziehen in den Bezirken an einem Strang – ein seltenes Signal der Einigkeit in der oft zerstrittenen Berliner Wohnungspolitik. Der Neuköllner Baustadtrat Jochen Biedermann betonte, dass die Zusammenarbeit der Bezirke ein wichtiges Zeichen sei: „Wir lassen unsere Mieter:innen nicht im Stich.“ Auch der Pankower Baustadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) sieht in der Initiative einen wichtigen Schritt hin zu einer aktiveren Mieter:innenpolitik der Bezirke.
Wie geht es weiter?
Die Bezirke setzen darauf, dass das Bündnisprojekt zum Vorbild für ganz Berlin wird. Weitere Bezirke haben bereits Interesse signalisiert. Die Projektbeteiligten hoffen, dass weitere Bezirke dazustoßen. Auch der Deutsche Mieterbund hat sich dem Bündnisprojekt mittlerweile angeschlossen. Sollte sich der Erfolg zeigen, könnte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das Modell langfristig berlinweit etablieren und finanziell unterstützen.
Eigenbedarfskündigungen dürfen nicht länger ein Freibrief für Verdrängung sein. Mieter:innen brauchen vor allem eins: mehr Sicherheit in unsicheren Zeiten. Wir als Berliner Mieterverein fordern seit Jahren stärkere Kontrollen und besseren Schutz für Betroffene. Das Bündnisprojekt könnte endlich Bewegung in die Sache bringen – auch auf Bundesebene.
vc, fs
12.03.2025