Im Bezirk Mitte wird seit Jahren an einem Bebauungsplan gearbeitet, der das Wohnen im „Szeneviertel“ Spandauer Vorstadt schützen soll. Ein umstrittenes Vorhaben. Die Anwohner fordern eine Eindämmung der ausufernden Gaststätten-Monokultur, andere warnen vor einem „Kneipenverhinderungsplan“.
Eigentlich sollte es nur noch eine Formsache sein: Der Bebauungsplan für die Spandauer Vorstadt, mit dem das Wohnen vor Umnutzungen und den Belastungen der um sich greifenden Kneipenkultur geschützt wird, sollte demnächst amtlich festgesetzt werden. Doch das Bezirksamt Mitte beschloss im September 2004 überraschend, die Planaufstellung nicht weiter zu verfolgen. In der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) bildete sich daraufhin eine breite Koalition aus SPD, PDS und Grünen, die mit ihrer Mehrheit im Dezember das Bezirksamt beauftragte, den Plan weiter zu bearbeiten. Nur die Verordneten von CDU und FDP halten das für unnötig.
An dem Bebauungsplan wird schon seit 1998 gearbeitet. Ende der 90er Jahre wurden vor allem in der Oranienburger und Auguststraße sowie rund um den Hackeschen Markt die Klagen der Anwohner über den nächtlichen Kneipenlärm immer lauter. Der Bebauungsplan, mit dem das Problem behoben werden soll, war anfangs sehr einfach gedacht: Im Wesentlichen beschränkte er sich darauf, die vorherrschende Nutzungsart festzusetzen und die Zahl der Gaststättenplätze auf 50 pro Grundstück zu begrenzen. Der Plan bekam daher schnell seinen Namen „Kneipen-B-Plan“. Kneipen-Neuansiedlungen wurden damit nicht verhindert, aber auf ein verträgliches Maß beschränkt. Bestehende Schankwirtschaften sollten Bestandsschutz genießen. Viele sahen darin jedoch einen „Kneipenverhinderungsplan“, mit dem der Wirtschaftsfaktor Tourismus unnötig behindert werde.
Seit der frühzeitigen Bürgerbeteiligung 1999 wurde mit dem Plan schon gearbeitet, doch es zeigte sich, dass eine feste Höchstgrenze für Kneipenplätze in der Praxis nicht durchzusetzen ist. Das Problem bekam indessen eine neue Dimension: Immer mehr Wohnraum wird zu Gewerbezwecken umgenutzt. Der Erhalt der Wohnnutzung ist im Sanierungsgebiet Spandauer Vorstadt zwar als eines der wichtigsten Ziele formuliert. Mit dem B-Plan soll der Schutz für das Wohnen auch nach dem absehbaren Ende der Sanierungssatzung gewährt werden. Seit im Jahr 2002 das Zweckentfremdungsverbot in Berlin aufgehoben wurde, gibt es kaum andere Möglichkeiten, die Umnutzung von Wohn- zu Gewerbeflächen zu beschränken.
Mehrere Einzelpläne
Daher soll der Bebauungsplan nun sehr viel differenzierter werden: Die Blöcke werden der überwiegenden Nutzung entsprechend in die planerischen Kategorien „Allgemeines Wohngebiet“, „Besonderes Wohngebiet“, „Mischgebiet“ oder „Kerngebiet“ unterteilt. Damit werden die erlaubten Nutzungen festgeschrieben. Für jedes einzelne Grundstück ist dann geregelt, welche Einrichtungen generell zulässig sind oder ausnahmsweise genehmigt werden können. Weil viel mehr Einzelheiten als ursprünglich gedacht geregelt werden sollen, wird der Plan der besseren Handhabbarkeit voraussichtlich in mehrere Einzelpläne aufgeteilt werden. Er ist damit auch längst nicht mehr nur ein „Kneipen-B-Plan“.
„Das ist ein B-Plan zum Schutz des Wohnens“, betont Betroffenenvertreterin Uschka Thierfelder, die auch für die Grünen in der BVV sitzt, „und ich finde ihn gut.“ Für sie ist der Beschluss des Bezirksamts, den Plan nicht weiter zu verfolgen, „nicht verständlich“. Wenn das Bezirksamt jetzt dem Votum der BVV folgt, soll der Plan in Kürze den „Trägern öffentlicher Belange“ vorgelegt werden. Vorsichtig geschätzt könnte er dann in einem Jahr in Kraft treten.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/05
Mehr Kneipenstühle als Bewohner: Oranienburger Straße
Foto: Rolf Schulten
Der Kneipenstreit
Ende der 90er Jahre hat die Zahl der Kneipenplätze in der Spandauer Vorstadt die Zahl der Einwohner überflügelt. In Reiseführern firmierte die Oranienburger Straße als „Kneipenmeile“, zwischen Tacheles und Hackeschen Höfen entwickelte sich eine Touristenrennstrecke. Lebensmittelläden starben hingegen fast aus. Anwohner kamen sich plötzlich wie Fremdlinge im eigenen Wohngebiet vor und forderten, der Gaststättenausbreitung einen Riegel vorzuschieben. Die Emotionen kochten hoch: Szenegänger hielten den Alteingesessenen vor, die Totenstille der Zeit vor 1989 wiederhaben zu wollen, Anwohner äußerten die Befürchtung, das Viertel wolle der Düsseldorfer Altstadt den Titel „längste Theke der Welt“ streitig machen.
js
04.08.2013