Das neue Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin (LImSchG Bln), vom Abgeordnetenhaus am 24. November 2005 verabschiedet, dokumentiert, dass Lärmvermeidung und -schutz immer weniger als öffentliche Aufgabe verstanden werden. „Von der Vorsorgeverwaltung zur Beschwerdeverwaltung“ bringt Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, die politische Absicht auf den Punkt.
Seit dem Dezember 2005 ist es amtlich: Berlin darf noch lauter werden. Die geschützte Nachtruhe wurde um drei Stunden verkürzt. Läden dürfen bereits ab 6 Uhr (bisher 7 Uhr) und bis 22 Uhr (bisher 20 Uhr) beliefert werden. Auch die Stadtreinigung darf eine Stunde früher die Müllcontainer leeren. Nur noch acht Stunden lang ist es verboten, „Lärm zu verursachen, durch den jemand in seiner Nachtruhe gestört werden kann“. An Sonn- und gesetzlichen Feiertagen ist Lärm nur noch verboten, wenn „jemand in seiner Ruhe erheblich gestört wird“.
Im Vorfeld hatte es heftige Proteste der SPD, der Linkspartei, der Grünen und von Umweltverbänden gegeben. Auch der Rat der Bürgermeister hatte das Gesetz abgelehnt. „Die Senatsverwaltung macht Lärmschutz zum Schutz der Investoren – leider nicht zum Schutz der Anwohner“, erklärt Felicitas Kubala, umweltpolitische Sprecherin der Grünen. Laut Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer soll das neue Gesetz dem „notwendigen Rückzug des Staates dienen und auf eine übermäßige Regulierungswut verzichten“. In der Tat: Viele der bisher erteilten circa 500 Ausnahmegenehmigungen werden nicht mehr notwendig sein – erlaubt ist jetzt sowieso (fast) alles, was Lärm macht. Der Maßstab, der zum Beispiel an die Genehmigung lärmintensiver Großveranstaltungen gelegt wird, ist niedriger als in der bisher gültigen Verordnung. Nur in reinen Wohngebieten wird es ruhig bleiben – hier garantieren Bundesgesetze weiterhin den bisherigen Lärmschutz.
Seit Sommer 2004 sind die Regelungen der Europäischen Umgebungslärmrichtlinie unmittelbar geltendes Recht. Bis Mitte 2007 muss auch Berlin die Lärmbelastung in Strategischen Lärmkarten erfassen. Dabei sind neue, EU-weit einheitliche Lärmindizes zu beachten. Bis Mitte 2008 sind unter Beteiligung der Öffentlichkeit Aktionspläne zu erarbeiten, die Lärmminderungsmaßnahmen enthalten. Fazit: Die Bürokratie nimmt zu – der Lärm allerdings auch.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 1+2/06
Ruhezeiten verkürzt: Läden dürfen morgens früher und abends später beliefert werden
Foto: Rolf Schulten
24.11.2016