Wohnen ist dem Wandel der Zeit unterworfen. Was uns künftig in den eigenen vier Wänden erwartet, lässt sich schon heute im Berliner „T-Com-Haus“ testen. Eine Studie zur Zukunft des Wohnens analysiert, wie sich auch gesellschaftlicher Wandel auf unsere Wohnbedürfnisse auswirkt.
Das kleine Tätigkeitswort klingt selbstverständlich, simpel und unwandelbar: wohnen. Was es genau bedeutet, ist ganz so einfach aber nicht zu beschreiben. Die eigentliche Bedeutung des Wortes meint: „nach etwas trachten“, „gern haben“. Daraus entwickelte sich später „Gefallen finden“, „zufrieden sein“, „sich gewöhnen“. Aber von wegen: Das „sich gewöhnen“ an etwas vermeintlich Stetiges ist einem rasanten Wandel unterworfen. Wohnen spiegelt komplexe gesellschaftliche Veränderungen wider. Die Studie „living in the future – Die Zukunft des Wohnens“ entwirft ein Bild davon, was uns in naher Zukunft in den eigenen vier Wänden erwartet.
Harry Gatterer und Cornelia Truckenbrodt, Spezialisten aus dem Bereich Lifestyle, Architektur und Wohnen von der Lifestyle Foundation, haben einen großen Bogen geschlagen: Ein kurzer historischer Rückblick verdeutlicht zunächst, dass unsere heutige Art zu Wohnen ein recht junges Phänomen, ein Bestandteil neuzeitlicher, bürgerlicher Kultur ist. So wie sich bisher schon Vieles verändert hat, wird uns auch künftig einiges Neues ins Haus stehen. Die kommenden Trends sind widersprüchlich: Zum einen prognostiziert das Autorenduo, dass die Wohnung für uns künftig als Rückzugsort Bedeutung gewinnt. Weil die Außenwelt immer komplexer wird, soziale Unsicherheit um sich greift, erlangen die eigenen vier Wände einen gesteigerten Wert als uns schützender Raum.
Die komplexe Außenwelt erfordert von vielen ein hohes Maß an Flexibilität, auch regelmäßige Umzüge wegen des Jobs. Das Heim wird mobiler, das Leben nomadischer. Zugleich wird der Intimbereich des Heims immer stärker von außen durchdrungen: „New Work“ nennen die Autoren die Entwicklung, dass immer mehr Menschen teilweise oder gänzlich zu Hause ihrer Arbeit nachgehen. Technologien, die das „home office“ möglich machen, bescheren uns auch privat neue Möglichkeiten: Die Einkaufstour der Zukunft kann im Wohnzimmer gemacht werden. So wie Waschmaschine, Fernbedienung und Internet schon jetzt unseren Alltag verändert haben, wird es bald das „smarte“ Eigenheim tun. „In den Labors der Technologie-Entwickler basteln Freunde der Zukunft an scheinbar utopischen Gerätschaften: vom „Dishmaker“, der zu Hause täglich die Anzahl an recycelbaren Wegwerf-Tellern produzieren kann, die man gerade braucht, bis zum „smart spoon“, dem Löffel, der analysiert, was mit ihm gerührt wird, Kochtipps gibt und Rezepte speichert, prognostizieren Gatterer und Truckenbrodt.
Zur Probe im Haus der Zukunft
Die kommenden Helferlein werden die Menschen laut Studie nicht mehr mit Bedienungsfragen belästigen. Und das ist schon keine Zukunftsmusik mehr, sondern an der Leipziger Straße bereits Realität: Im digitalen und schnurlos vernetzten T-Com-Haus wird auf 240 Quadratmetern heute schon gezeigt, was morgen in jeder Wohnung alltäglich sein kann. „Die Technik erschlägt den Besucher nicht und ist nicht allgegenwärtig“, sagt Jürgen Rindt. Der 29-jährige Kulturwirt aus München und seine Freunde Catrin Fröhlich (30), Barbara Schick (30) und Sascha Bruss (28) haben im vergangenen Jahr als erste Bewohner die Wohnideen der Zukunft ausprobiert. Dabei geht es nicht um abgehobene Science-Fiction: Anwendungen wie Telefonie, Internet, Video on Demand oder Musikdownload sind heute schon verfügbar – meist aber nicht aufeinander abgestimmt. Im T-Com-Haus ist der Grundgedanke die einheitliche Bedienung – einfach zu handhaben, unabhängig von Alter, Geschlecht oder besonderem Bezug zu technischen Vorgängen. Sämtliche Anwendungen im Haus basieren auf DSL (extrem schnelle Internetverbindung) und WLAN (kabellose Datenübertragung).
Unkomplizierte Bedienung inklusive
„Ich hatte am Anfang die Befürchtung, dass man zuerst dicke Handbücher wälzen muss, um sich zurechtzufinden und dass das Haus eine kühle Büro-Atmosphäre ausstrahlt – das ist alles Quatsch“, erzählt Bewohnerin Barbara Schick. „Denn die Kommunikations- und Unterhaltungsangebote werden ja nur aktiv, wenn man es ausdrücklich will“, beschreibt die Münchnerin. Sämtliche Unterhaltungsmedien, diverse Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Trockner oder Licht lassen sich über den persönlichen Taschen-Computer, den Personal Digital Assistant (PDA), bedienen. Ob im ganzen Haus oder unterwegs – die Geräte werden durch Klicken mit einem „Stift“ auf die Symbole des Bildschirms kontrolliert. Die quälende Frage, ob der Herd tatsächlich ausgeschaltet wurde, lässt sich also künftig in Sekundenschnelle beantworten. Auch im Urlaub könnten die Bewohner mit Hilfe von drahtlosem Internetzugang das Hausinnere per Security-Kamera überwachen oder die Jalousien herunterlassen.
„Das ist wahnsinnig komfortabel“, berichtet Sascha Bruss von seinen Erfahrungen mit dem handlichen Helfer. „Ich kann mit einem einzigen Steuerungsgerät vor dem Verlassen des Hauses mit einem Befehl alle Lichter ausschalten“, sagt Bruss. Für gute Stimmung sorgt zudem das „Mood Management“: Das T-Com-Haus passt sich der Stimmung seiner Bewohner an – mit wechselnden Farbspielen, Mustern und Klängen. Wer den „Mood-Würfel“ dreht, schafft im Handumdrehen neue Raumszenarien wie „Relax“, „Refresh“ oder „Dinner“ – mal romantisch, mal motivierend, immer nach Lust und Laune.
Insgesamt sind neun Flachbildschirme in Küche, Bad und den Wohn-, Ess- Arbeits- und Schlafzimmern installiert. „Das wäre mir in meinem eigenen Zuhause mit Sicherheit zu viel“, meint Sascha Bruss. Ein Bildschirm hat es den Freunden allerdings uneingeschränkt angetan: Das „Family Whiteboard“ in der Eingangshalle. In dieser elektronischen Pinnwand hat jeder Bewohner sein persönliches Postfach, in dem Nachrichten via E-Mail, SMS, MMS oder Telefonanruf aufgezeichnet werden. Besonders beliebt: Kurze Botschaften und Grüße für Freunde und Bekannte als Video-Memos in die Kamera sprechen. „Das ist doch viel netter und persönlicher als ein Schmierzettel“, meint Sascha Bruss. Übrigens können alle Nachrichten auch unterwegs mit dem PDA empfangen werden.
Das klingt stressig? Aus diesem Grund prognostiziert die Studie zur Zukunft des Wohnens den Trend zur Vereinfachung: Technik und Wohlstand erfüllen den meisten Menschen (fast) alle materiellen Bedürfnisse und zugleich überflutet die Außenwelt uns mit Reizen. Deshalb rücken andere Werte in den Vordergrund. Zeichen dieser „immateriellen Sinnorientierung“ sei, wegzulassen, was nicht wichtig ist. Ganz so einfach geht das aber nicht. Nach wie vor wird es kurzfristige Moden geben, mit denen auch im Wohnbereich Akzente gesetzt werden. Auch die steigende Wertigkeit von Natur wird sich im Design, bei der Architektur und im Lebensraum drum herum widerspiegeln.
Lars Klaaßen
MieterMagazin 1+2/06
Mit einem einzigen Gerät den ganzen Haushalt managen: High-Tech im T-Com-Haus in der Leipziger Straße
alle Fotos:Rolf Schulten
„Mood Management“:Licht, Musik und Farbennach Lust und Laune
Vollelektronisch ist auch das Haustier
Die Studie „living in the future – Die Zukunft des Wohnens“ kann unter
www.zukunfts institut.de
für 150 Euro bestellt werden.
Wohntypen
Der basic inhabitant orientiert sich an der Grundversorgung. Es geht ihm um ein Dach über dem Kopf und ein Bett.
Der sheltered inhabitant sucht Rückzug und Schutz. Er will sich vor allem in Sicherheit wissen.
Der community inhabitant lebt für die Gemeinschaft und schöpft seinen Sinn aus ihr.
Der individual inhabitant betrachtet seine Umgebung als Spiegel seines Selbst – und gestaltet sie bewusst.
Die Wohnung des self-fulfilling inhabitant ist Ausdruck seiner Stärke und Abbild seiner Aktivitäten.
Der spiritual inhabitant hat sich in seinem Leben verwirklicht: Wohnen ist das Ergebnis – vom Materiellen zum Höheren.
(Nach: „Die Zukunft des Wohnens“)
24.11.2016