Gender Mainstreaming (GM) ist ein sperriger Begriff, aber der Inhalt ist ein Thema mit Zukunft: Wahrnehmung der sozialen Geschlechterrollen, ein sensibler Umgang mit ihnen und stetige Veränderung der Rollen von Frau und Mann. Seit drei Jahren laufen Pilotprojekte zur Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Nun zog diese gemeinsam mit dem Frauenbeirat des Senats und dem Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung Zwischenbilanz. Fazit: Weitermachen.
„Der Öffentliche Personennahverkehr kann zur sozialen Entwicklung der Stadt beitragen“, führt Georg Müller, Referatsleiter bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aus. Denn dort liegen vielfältige Untersuchungen vor: Wie gut oder schlecht sind Bus und Bahn für Schulkinder oder Senioren erreichbar, wie sieht es mit der Anbindung von Krankenhäusern aus. Die Hauptnutzer von BVG und S-Bahn, 57 Prozent, sind Frauen. Sie fahren überwiegend im Nahbereich und zunehmend am Wochenende, als Schichtarbeitende im boomenden Dienstleistungsgewerbe. Frauen gaben an, dass die nächtliche Bushaltestelle bei 20 Minuten Wartezeit auf den nächsten Bus zu einem Angstraum wird. Müller wünscht sich deshalb entweder kürzere Taktzeiten oder mehr Kiez- und Rufbusse. Außerhalb des City-Bereichs dünnt die BVG aber ihr Angebot aus. So steigen notgedrungen wieder mehr Menschen ins Auto, die Fahrgastzahlen der BVG gehen runter. Das Ergebnis – noch mehr Lärm und Dreck – reduziert die Qualität der Stadt. Müller hofft auf „eine neue vertragliche Vereinbarung zwischen BVG und Senat“, die auf die Belange der Fahrgäste eingeht, „auch unter dem Gender-Aspekt“.
Ein Element der Demokratie
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend orientiert sich an der EU-Definition: „GM bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechterneutrale Wirklichkeit gibt.“ Gender Mainstreaming wird als konstituierendes Element einer Demokratie angesehen und darüber hinaus als Voraussetzung für soziale und ökologische Entwicklung.
Bei der Einführung von GM in der Senatsverwaltung und den Bezirksämtern treffen die Grundsätze auf teilweise schon Praktiziertes. In den Problemkiezen versuchen Quartiersmanagements (QM) sozialer Benachteiligung entgegen zu wirken. „Wir gendern nicht strategisch, sondern richten uns nach den Zielgruppen“, berichtet Birgit Hunkenschroer vom QM Moabit West, „das heißt dann für die Zielgruppe Jungen: Antigewalttraining.“
Wenn Bürgerbeteiligung an einer städtebaulichen Planung schon in der Verwaltung mit Respekt vor den Beiträgen der Bürger geschieht, ist ein Grundstein gelegt. „Natürlich greifen bei Entscheidungen auch die Gender-Kriterien!“ garantiert Hilmar von Lojewski, Abteilungsleiter bei der Senatsverwaltung.
Für Sibylle Kröhnert, Genderbeauftragte bei der Senatsverwaltung, trägt die Einführung von GM auch dazu bei, dass „Verwaltungshandeln kraftvoller und förderlicher im Interesse der Bürger wird.“ Ab 2006 muss in allen Berliner Ämtern „gegendert“ werden. Vorher bedarf es noch einiger Arbeit, die Inhalte und Vorzüge den Akteuren in den Behörden und den Bürgerinnen und Bürgern verständlich zu machen.
Clara Luckmann
MieterMagazin 1+2/06
Frauen stellen die Mehrheit der BVG-Benutzer – doch ihre Belange werden unterproportional berücksichtigt
Foto: Maik Jespersen
Zum Thema
Was bedeutet Gender Mainstreaming?
Gender kommt aus dem Englischen und bezeichnet die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechtsrollen von Frauen und Männern. Diese sind – anders als das biologische Geschlecht – erlernt und damit auch veränderbar. Mainstreaming bedeutet, dass eine bestimmte inhaltliche Vorgabe, die bisher nicht das Handeln bestimmt hat, nun zum zentralen Bestandteil bei allen Entscheidungen und Prozessen gemacht wird (Definition der Bundesregierung, 2003).
Ausgangspunkt war die Erkenntnis in den 70er und 80er Jahren, dass gesellschaftlich relevante Entscheidungen in Politik, Wissenschaft, Bildung und so weiter überwiegend auf männlicher Sicht basierten. Damit zielten sie aber am Erleben und am Alltag von Frauen vorbei – denn diese unterscheiden sich vom männlichen Erleben. So erarbeitet der Deutsche Städtetag seit 1992 Handlungsempfehlungen zur Berücksichtigung von Frauenbelangen in der Stadtplanung. Seit 1996 ist die EU dem GM-Ansatz verpflichtet, um die Chancengleichheit zu fördern. Im Jahre 2000 nahm die Bundesregierung GM als Leitgedanken zum Start ihres Programms „Moderne Verwaltung“ auf.
cl
01.08.2013