Die Stadt ist wieder da, das Wohnen am Rand ist out! In den Medien wird eine Trendwende beschworen, die von einer Renaissance der Stadt kündet. Noch eilt die Trendumkehr im Denken der realen Entwicklung weit voraus und die von MieterMagazin-Autor Armin Hentschel geprüften empirischen Indikatoren halten der These kaum Stand. Dennoch haben die stadtformenden Rahmenbedingungen historisch einmalige Optionen geöffnet. Es ist denkbar, dass in punkto Stadt diesmal das Bewusstsein das (städtische) Sein bestimmen wird.
Die Zentren der Großstadtregionen – so melden TU-Wissenschaftler – erleben zurzeit ein unübersehbares Comeback. In einer Vergleichsuntersuchung für die Metropolen Berlin und London sprechen die Autoren von stadtpolitischen Strategien der Rezentralisierung und von privaten Investoren, die massiv in die Zentren drängen. Ähnlich eine Difu-Studie mit dem Titel „Wohnen in der Innenstadt – eine Trendumkehr?“ Das Fragezeichen geflissentlich ignorierend, toppt ein großes Hamburger Nachrichtenmagazin die Trendmeldungen mit der Headline „Triumph der City“ und berichtet darüber, dass „der Traum vom Haus im Grünen ausgeträumt“ sei.
Ist sie wieder da, die verschiedentlich bereits tot gesagte, weil vom Umland leer gesaugte Stadt? Wird mit ihrer Renaissance auch das schmerzensreiche Berlin wieder hoch getragen in die Top-Ten der für Arbeiten, Shoppen und Wohnen gleichermaßen attraktiven Städte? Wer die angeführten Indikatoren für diese Trendumkehr in Berlin ansieht, den beschleichen Zweifel. Zwar ist die Abwanderung aus Berlin in den engeren Verflechtungsraum abgeflaut. Während 1998, auf dem Gipfel der Abwanderung, Berlin netto knapp 30.000 Bürger an das Umland verloren hat, waren es 2004 nur noch knapp 13.000. Negativ ist der Saldo aus Zu- und Abwanderung für Berlin aber nach wie vor. Zudem hat die Grenzöffnung eine Nachholbewegung angestoßen, die jetzt abebbt. Der Prozentsatz derjenigen Alters- und Einkommensgruppen in der Berliner Gesamtbevölkerung, die Umlandwanderungsprozesse in allen Städten tragen, ist auf einen Sockel abgeschmolzen. Mit anderen Worten: Es gibt weniger Abwanderung, weil es weniger Abwanderungspotenzial gibt.
Ende der Nachholbewegung
Dagegen stehen Zahlen, die die Trendwendethese zu stützen scheinen. Es ziehen nämlich deutlich mehr junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren aus dem engeren Verflechtungsraum in die Innenstadtbezirke als in die umgekehrte Richtung. Dabei handelt es sich um die traditionell großstadtorientierten Jüngeren, die das Umland an die Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnstätten der preußischen Metropole zurückliefert. Allerdings ist dieser Trend nicht neu und schon seit 2000 zu beobachten. Nicht überprüft, aber plausibel ist, dass ein guter Teil dieser Rückwanderung aus Nestflüchtern jener Ex-Berliner besteht, die nach der Wende ihren Wohntraum im Brandenburger Grünen verwirklicht haben.
Die Debatte krankt auch an einer unscharfen Verwendung des Begriffs Stadt. Während die TU-Wissenschaftler ausdrücklich über Zentren reden und damit die K-Zentren von Kommerz, Kinos, Kneipen und Kultur meinen, reden die anderen von Innenstadt, zu denen zwar auch die Szeneviertel von Prenzlauer Berg und Friedrichshain gehören, aber eben auch die dahindümpelnden alten Wohnbezirke von Charlottenburg, Wilmersdorf, Neukölln und Wedding. Deren Entwicklungspfade und -perspektiven könnten unterschiedlicher kaum sein. Aber selbst die wohnbezirkübergreifende Analyse stützt die Stadtrenaissance-These nicht. Im Jahr 2004 hatten nur drei von insgesamt 12 Berliner Bezirken – Pankow, Treptow-Köpenick und Friedrichshain-Kreuzberg – leichte Bevölkerungszuwächse. Und innerhalb der genannten Gebiete Pankow, Treptow und Köpenick gibt es große Gebiete mit überwiegend vorstädtischer Bebauung. Sie haben am meisten vom Zuwachs profitiert. Die pauschale Rede von „Stadt“ verdeckt, dass auch bei der innerstädtischen Binnenwanderung vor allem die Innenstadtbezirke Berlins Verlierer des Bevölkerungsaustausches waren.
Die Lektüre des Belegmaterials verweist denn auch auf eine ganz andere Diskussionsebene, die in der Hauptsache prognostischen Charakter besitzt.
Vielleicht aber greifen erstmals in der Stadtgeschichte die subjektiven den objektiven Realitäten vor. Drei Viertel bis über 80 Prozent der Bewohner, die das Difu (Deutsches Institut für Urbanistik) in innenstadtnahen Gebieten von München und Leipzig befragt hatten, finden das „Wohnen im innenstadtnahen Bereich“ sehr gut, weil das Zentrum nicht weit sei. „In den Untersuchungsgebieten ist zu beobachten, dass junge Familien oder Haushalte, die vor der Familiengründung stehen, in ihrem innenstadtnahen Quartieren verbleiben wollen und nur aus Gründen des steigenden Flächenbedarfs eine größere Wohnung suchen“, so der Difu-Forscher Hasso von Brühl. Wohl wahr, aber eben dieses Preisgefälle zwischen Stadt und Umland gehört seit Jahrzehnten zu den wichtigen Push-Faktoren für den Exodus von großstädtischen Familien.
Stadt mit Vorstadtqualität?
Nur wenn es auf Grund rückläufiger Nachfrage und einer intelligenten Entwicklungspolitik der Städte gelingt, qualitativ und kostenmäßig ein echtes Konkurrenzangebot an preiswerten und guten Wohnungen in der Innenstadt bereit zu stellen, könnte ein Teil der abwanderungsbereiten Familien in den Städten gehalten werden. Nur wenige Städte sind hier bislang über den Konjunktiv hinaus gekommen. Meist gelang es dort, wo – wie in Leipzig – der Bevölkerungsrückgang zu Leerständen, sinkenden Immobilienpreisen, stadtentwicklungspolitischem und bautypologischem Umdenken geführt hat und in der Folge auch zu neuen Wohnungsangeboten.
Vor allem ein drastischer Wechsel in der Angebotsstrategie wird sich Nachfrager in und für die Stadt erobern können: Der Bau oder Umbau von Häusern, die preiswert sind, für wenige Haushalte große Flächen bereitstellen und die gleichermaßen stadt- wie freiflächenorientiert sind. „Entwerft Häuser mit zwei Gesichtern. Zum städtischen Gartenhof große Fenster, Balkone und Terrassen zur Erweiterung des privaten Wohnraums, zur Straße prägnante Fassaden mit auffälligem Eingang, guten Proportionen und starken Materialien“, so der Architekt Klaus Theo Brenner. Bislang liegen die geplanten oder bereits gebauten Einfamilien-Stadthäuser bei Preisen um 400.000 Euro und mehr und sind nur der Typologie, nicht aber dem Preis nach echte Konkurrenzangebote zu den Umlandhäusern.
Was hier propagiert wird, ist so etwas wie die Quadratur des Kreises: städtische Häuser mit vorstädtischer Qualität und ebensolchen Preisen. Gelungen ist dies bisher nur, wo innerstädtischer Boden durch einen drastischen Rückgang der Nachfrage und hohen Leerstand verbilligt wurde. Nicht nur in Leipzig, auch in Berlin gibt es solche Gebiete, aber sie liegen nicht auf dem Friedrichswerder, sondern im Neuköllner Norden oder in Wedding sowie auf zahlreichen Brach- und Industrieflächen, die nur eine sehr weitsichtige Stadtpolitik günstig aus der Hand geben dürfte. Bislang ist diese Weisheit nicht in Sicht.
Armin Hentschel
MieterMagazin 1+2/06
Konkurrierende Modelle: das Reihenhaus am Stadtrand (oben),
das „Town-Haus“ im Zentrum (hier: Neubau der Luxus-Wohnanlage auf dem Friedrichswerder
Fotos: Rolf Schulten
Wohnen in der Innenstadt hat viele Gesichter: Familienfreundlich am Steglitzer Woltmannweg …
Foto: Rolf Schulten
Wohnen in der Innenstadt hat viele Gesichter: exklusiv an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg
Foto: Kerstin Zillmer
Engerer Verflechtungsraum
Die Abkürzung eV könnte auf den „eingetragenen Verein“ verweisen. Unter Stadtplanern und Statistikern ist der eV jedoch ein häufig verwandtes Kürzel, das für die an Berlin angrenzenden Landkreise benutzt wird. Zum engeren Verflechtungsraum gehören die kreisfreie Stadt Potsdam und Gemeinden aus folgenden Landkreisen: Barnim, Dahme-Spreewald, Havelland, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Oder-Spree, Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming.
Im Jahr 2004 lebten im eV 992.200 Personen. Etwa 15 Prozent der Fläche, 39 Prozent der Bevölkerung und 15 Prozent der Gemeinden des Landes Brandenburg gehören zum eV. Davon unterschieden wird der äußere Entwicklungsraum (äE) als Raumkategorie, in dem 1.575.504 Personen leben.
ah
01.08.2013