Die Mietobergrenzen in den Sanierungsgebieten sind passé. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Mai 2006 das zentrale Instrument der sozialen Stadterneuerung endgültig für rechtswidrig erklärt. Wie können Mieter nun vor hohen Mietsteigerungen und Verdrängung geschützt werden? Die betroffenen Bezirke tun sich schwer, darauf eine Antwort zu finden.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte entschieden, dass ein Bezirk vom sanierungswilligen Hauseigentümer nicht die Einhaltung von Mietobergrenzen verlangen kann. Ende letzten Jahres lud deshalb der Friedrichshain-Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz Sanierungsfachleute, Rechtsanwälte und Verwaltungsmitarbeiter aus den betroffenen Bezirken ein, um die verbleibenden Handlungsspielräume auszuloten. Generell sind zwar weiterhin soziale Sanierungsziele wie der Schutz der angestammten Bevölkerung vor Verdrängung zulässig, doch die sanierungsbedingten Mietsteigerungen darf der Bezirk allein durch die Begrenzung des Sanierungsumfangs eindämmen – wobei aber ein allgemein üblicher Ausstattungszustand der Wohnung genehmigt werden muss. „Das Urteil hat uns das Hauptinstrument, das wir lange Zeit benutzt haben, aus der Hand geschlagen“, umreißt Rechtsanwalt Dr. Rainer Tietzsch die Situation.
In Zukunft wird es zwischen Eigentümern und Bezirk also nur einvernehmliche und freiwillige Vereinbarungen geben. Die Verwaltung könnte allenfalls dem Eigentümer Leistungen anbieten, die ihm die Umsetzung der Sanierung erleichtern, und dafür ein Entgegenkommen vom Eigentümer einfordern – etwa ein Umzugsmanagement oder einen finanziellen Härteausgleich für die Mieter anbieten und als Gegenleistung etwa eine Mietbegrenzung für die Altmieter oder ein Belegungsrecht für einige Wohnungen zugunsten bedürftiger Mieter einfordern.
Die Reduzierung des Ausstattungsstandards, die vom Bundesverwaltungsgericht zur Begrenzung der Mietsteigerung vorgeschlagen wurde, bringt für die einkommensschwachen Bewohner dagegen wenig. Allein ein Bad- und Heizungseinbau – Maßnahmen, die niemand verhindern will – lässt die Miete schon so steigen, dass viele sie nicht mehr zahlen können. Wenn man künftig den Anbau von Balkonen und Aufzügen untersagt, könnte die Mietsteigerung etwas gedämpft werden. In den vergangenen Jahren sind im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Mietobergrenzen Balkone und Aufzüge großzügig genehmigt worden. Für die Bauherren, die die Häuser in Eigentumswohnungen umwandeln und seit einiger Zeit das Sanierungsgeschehen beherrschen, ist eine hochwertige Ausstattung sehr wichtig. Eine Maßnahmenreduzierung wäre daher ein Hebel, mit dem man den Eigentümern soziale Zugeständnisse abringen könnte.
Letzte Sanierungswelle ohne Bremse
Dabei wäre ein wirksamer Verdrängungsschutz gerade jetzt – im letzten Viertel der Sanierung – nötiger denn je. Die soziale Stadterneuerung konnte bisher nicht verhindern, dass sich die Bewohnerschaft in den sanierten Häusern zum großen Teil ausgetauscht hat und die einkommensschwachen Mieter in noch unsanierte Bestände umgezogen sind. Diese sogenannten „Sanierungsflüchtlinge“ sehen nun die letzte Sanierungswelle ungebremst auf sich zurollen.
Die 22 Berliner Sanierungsgebiete sollen nach und nach bis 2010 aufgelöst werden. „Natürlich hätten wir gern wirksamere Instrumente“, bedauert Rainer Tietzsch, „aber da wir vom Bundesverwaltungsgericht nur Krücken zur Verfügung gestellt bekommen, müssen wir versuchen, die Krücken zu nutzen.“
Um in Zukunft besser gerüstet zu sein, will Franz Schulz darauf hinarbeiten, dass im Sanierungsrecht eine Möglichkeit zur Mietbegrenzung eingeführt wird. Dazu bedarf es allerdings der Unterstützung des Senats, der sich zu dieser Frage völlig passiv verhält.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/07
Im Kiez um das Friedrichshainer Samariterviertel nahm der Streit um die Zulässigkeit von Mietobergrenzen seinen Ausgang
Foto: Christian Muhrbeck
Wen trifft’s?
Betroffen vom Wegfall der Mietobergrenze sind vor allem die Mieter noch unsanierter Wohnungen. Ihnen drohen bei einer Modernisierung hohe Mietsteigerungen. Auch für Mieter bereits sanierter Häuser kann es Nachteile bringen: Bei privat finanzierten Modernisierungen haben viele Eigentümer die Miethöhenbegrenzung in der Anlage zum Mietvertrag mit einer Vorbehaltsklausel versehen. Die im Vertrag vereinbarte Miete bleibt zwar rechtsverbindlich, künftige Mieterhöhungen könnten nun aber nicht mehr an den Mietspiegelmittelwert gebunden sein. Für Mieter, die in Häusern wohnen, die mit öffentlichen Fördergeldern saniert worden sind, bleibt hingegen alles beim Alten.
js
21.12.2016