Die schwarz-gelbe Koalition hat angekündigt, eines der „drängendsten wohnungswirtschaftlichen und mietrechtlichen Probleme“ anzugehen. Guido Westerwelle und seine FDP meinen damit das „Mietnomadentum“, bestens bekannt aus dramatischen Reportagen in Privatsendern und Boulevardblättern. Im wirklichen Leben dagegen sind Mietnomaden „so selten wie der Satanspilz“, meint ausgerechnet der Herausgeber der Vermieterzeitschrift „Das Grundeigentum“. Doch die Hysterie wird immer wieder geschürt – zu Lasten der 99,9 Prozent vertragstreuen Mieter.
„Wo sind sie denn, ja wo sind sie denn …?“ lautet die Überschrift einer Kolumne von Dieter Blümmel, Herausgeber des „Grundeigentum“. Offenbar genervt von den häufigen Anrufen von Fernsehsendern auf der Suche nach betroffenen Vermietern schreibt der Sprecher von „Haus und Grund“ wörtlich: „In den letzten sieben Jahren ist es mir ein einziges Mal gelungen, so ein scheues Exemplar aufzutreiben.“ Das Problem werde von den Medien aufgebauscht. Häufig handele es sich um ein und denselben „Mietnomaden“, der durch die Sender durchgereicht wird: „An einem einzigen Fall kann man offenbar ein ganzes Fernsehjahr nagen, bis die armen Knochen blank sind und auch dem besten Kameramann keine neue Einstellung mehr einfällt.“
Deutliche Worte von einem Vermieterfunktionär, dessen Bundesverband in den letzten Jahren keine Gelegenheit ungenutzt ließ, um vor dem angeblichen Anstieg des Mietnomadentums zu warnen – meist verbunden mit Forderungen nach Gesetzesänderungen. Allerdings steht Blümmel mit seiner Einschätzung in den eigenen Reihen weitgehend alleine da, wie er gegenüber dem MieterMagazin einräumt. Auf seinen Artikel habe er viele böse Leserbriefe bis hin zu Beschimpfungen bekommen.
Niemand bestreitet, dass es Mietnomaden gibt. Doch die öffentliche Diskussion strotzt nur so vor Übertreibungen und Ungenauigkeiten. Das fängt schon bei der Begriffsbezeichnung an. Eigentlich versteht man unter Mietnomaden Personen, die in der Absicht, keine Miete zu zahlen, von einer Wohnung in die andere ziehen und diese meist völlig verwüstet hinterlassen. „Einmietbetrug“ heißt das strafrechtlich, wobei es auf den Vorsatz ankommt. Doch häufig werden auch gewöhnliche Mietschuldner oder sogenannte Messies, die ihre Wohnung zumüllen, unter die Bezeichnung Mietnomade subsumiert. Viele Medien nehmen es da mitunter nicht so genau. Beispiel: In einer Kolumne der „Rheinischen Post“ vom 29. Juli 2006 bezifferte „Haus & Grund“-Präsident Rüdiger Dorn die jährlichen Mietausfälle in Deutschland auf rund 2,2 Milliarden Euro. Auch Mietnomaden würden in zunehmendem Maße zu dieser Schadenssumme beitragen, schreibt Dorn. Seitdem geistert durch RTL, SAT 1 & Co. die Summe von 2,2 Milliarden Euro, die skrupellose Mietnomaden jährlich an Schäden verursachen. Sogar das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ widmete sich kürzlich der „existenziellen Bedrohung“. Auf fünf Seiten wird ein Einzelfall geschildert, nach dem ein Mieter offenbar – der „Spiegel“ verlässt sich überwiegend auf die Darstellung des Vermieters – Wohnungsmängel erfunden hat, um keine Miete zahlen zu müssen. Tenor des Artikels: Das deutsche Mietrecht schützt die Mietnomaden.
Die FDP hat in den vergangenen Jahren zweimal per Kleiner Anfrage im Bundestag beantragt, eine Untersuchung über das Mietnomadentum in Auftrag zu geben. Die Antwort der Bundesregierung fiel deutlich aus: Es handele sich um eine Randerscheinung, gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehe man nicht. Die vorliegenden Zahlen bestätigten nicht den Eindruck, dass das Phänomen zunehme. So weist die polizeiliche Kriminalstatistik für die Jahre 2006 und 2007 weiterhin rückläufige Zahlen für den Einmietbetrug aus (2006: minus 1,1 Prozent, 2007: minus 19,9 Prozent). Auch die Mietschulden sind stark zurückgegangen, so die Antwort der Bundesregierung vom Dezember 2008. Zwar ist die Zahl der Einmietbetrüger im Jahr 2008 erstmals leicht angestiegen, von 9360 Fällen auf 9682 bundesweit. Doch von einem in der Masse auftretenden Problem kann keine Rede sein, vor allem wenn man bedenkt, dass zu Mietnomaden auch Leute gezählt werden, die sich in ein Hotel einmieten und dann verschwinden, ohne die Rechnung zu bezahlen.
Zwar wird nicht jeder geprellte Vermieter Strafanzeige stellen, doch einiges deutet darauf hin, dass die Dunkelziffer nicht allzu hoch ist. Wer wirklich Opfer eines Mietnomaden geworden ist, hat nicht selten einen Schaden zu beklagen, der in die Tausende geht. Warum sollte man da nicht zur Polizei gehen? Beim Bund Deutscher Kriminalbeamten (BDK) spricht man sogar von einem „hochfreudigen Anzeigeverhalten“, so der stellvertretende Vorsitzende Michael Böhl: „Immer mehr Eigentümer wählen den einfachen Weg und lassen die Polizei ermitteln statt einen Zivilrechtstreit in Gang zu setzen.“ Selbst bei Mietern, die einfach nur mit der Miete zwei Monate im Rückstand sind, werde Strafanzeige wegen Einmietbetrugs gestellt, um Druck zu machen. Böhl bestätigt, dass sehr viele dieser Verfahren eingestellt werden – was von Vermieterseite wiederum gern als Beleg für eine angeblich mieterfreundliche Justiz gewertet wird. Jedoch: „Meist fehlt es bei den Mietern am Vorsatz, nur dann liegt Einmietbetrug vor“, erklärt Michael Böhl. In Berlin spiele das Mietnomadentum jedenfalls keine große Rolle, wie Böhls Umfrage unter mehreren Polizeidirektionen ergab.
Offenbar werden am ehesten noch die neuen Bundesländer sowie ländliche Gebiete von den Nomaden heimgesucht – jedenfalls, wenn man der Sensationsberichterstattung in den Medien Glauben schenken darf. Und fast immer trifft es kleine Privateigentümer. Städtische Wohnungsbaugesellschaften und große Immobilienunternehmen haben kaum mit dem Problem zu tun. „Wir haben häufig Anfragen von Journalisten, aber wir hatten noch nie einen Fall“, erklärt etwa das Wohnungsunternehmen Howoge. Durch ein umsichtiges Vorgehen bei der Vermietung und eine aufsuchende Mietschuldenberatung sei man weitgehend gefeit gegen Mietnomaden.
Einzeleigentümer verzichten dagegen schon mal auf die Verdienstbescheinigung, wenn der Wohnungsinteressent mit dem Porsche vorfährt und sich als Manager eines großen Konzerns vorstellt. Kriminelle Mietbetrüger verstehen es, durch ihr Äußeres zu blenden und treten häufig ausgesprochen höflich und souverän auf. Kleinere, unerfahrene Vermieter fallen darauf eher herein als eine professionelle Vermietungsabteilung.
Gerade deswegen treffen auch die herzzerreißenden Geschichten der Medien über verzweifelte Opfer von Mietnomaden auf offene Ohren. Häufig handelt es sich um Eigentümer, die das Haus vielleicht geerbt oder sich die Eigentumswohnung mühsam zusammengespart haben. Und dann stehen sie in der verwahrlosten Wohnung, in der Küche türmt sich der Müll, Badewanne und Waschbecken wurden zerschlagen und der Mieter ist über alle Berge. Zu den Mietrückständen kommen in solchen Fällen die Kosten für Renovierung und Entrümpelung der Wohnung, dazu das Räumungsverfahren – für einen Privatbesitzer kann das den Ruin bedeuten.
Trotzdem: Die Furcht der Eigentümer vor dem „Albtraum Mietnomade“ steht in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Risiko. Drei von vier Vermietern haben nach einer Umfrage des Internet-Portals „ImmobilienScout24“ Angst vor Mietnomaden. An der Befragung hatten im Mai 2009 über 2260 private und gewerbliche Vermieter teilgenommen.
Ein weiteres Ergebnis, das aufhorchen lässt: Jedes zehnte Betrugsopfer greift zur Selbstjustiz, um einen Mietnomaden wieder loszuwerden. Vermieter räumen die Wohnung ohne Gerichtsbeschluss, indem sie das Schloss austauschen, Strom und Wasser abstellen oder dem zahlungsunwilligen Mieter drohen. Den vorgeschriebenen und einzig akzeptablen – wenn auch langwierigen – Rechtsweg mit außerordentlicher Kündigung und Räumungsklage beschreiten inzwischen nur noch 58 Prozent der Opfer.
Die Folgen der geradezu grotesken Furcht vor dem Phantom Mietnomade bekommen alle Mieter zu spüren. Die Solvenz-Checks bei der Anmietung einer Wohnung werden immer strenger. Längst muss man nicht nur eine Kaution zahlen und eine Verdienstbescheinigung vorlegen. Da wird eine Schufa-Auskunft, eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung und ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt – einige Vermieterverbände rufen bereits nach dem „Mieterführerschein“. Längst gibt es Versicherungen gegen Mietnomaden und ein Mietnomadenregister im Internet, das allerdings aus datenschutzrechtlichen Gründen untersagt wurde.
Sicherlich ist es nachvollziehbar, dass sich Vermieter absichern wollen, doch mittlerweile können Mieter, die sich verschuldet haben oder die all diese Papiere nicht vorlegen können, kaum noch eine Wohnung bekommen. Am Ende dieser Entwicklung steht der „gläserne Mieter“, von dem man weiß, ob er schon mal sein Konto überzogen oder eine Mietminderung geltend gemacht hat.
Unterdessen ist das Thema auch auf die politische Agenda gelangt. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag wurde auf Drängen der FDP vereinbart, dem Mietnomadentum „wirksam zu begegnen“. Unter dem Vorwand, Mietnomaden das Handwerk zu legen, soll offenbar das Mietrecht verschärft werden „Uns ist schleierhaft, was hier eine Gesetzesänderung bringen soll“, meint der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV) Reiner Wild. Schon jetzt kann bei zwei Monatsmieten Rückstand gekündigt werden. „Das gesetzliche Instrumentarium reicht aus, um den Machenschaften der Mietnomaden zu begegnen“, meint sogar der Geschäftsführer des Wiesbadener Vereins „Haus und Grund“, Wilfried Woidich. Oft würden die Vermieter die rechtlichen Möglichkeiten schlecht ausschöpfen und zu spät oder nicht formgerecht kündigen, so dass das Verfahren in die Länge gezogen wird. Gegen Änderungen im Vollstreckungsrecht habe man grundsätzlich nichts einzuwenden, so Wild: „Es muss aber gewährleistet sein, dass dem Mieter ausreichend Zeit bleibt, seine Rechte wahrzunehmen.“
Birgit Leiß
Selbst Mieterschützer räumen ein, dass es nicht so einfach ist, Mietpreller loszuwerden. Ist der Mieter mit der Miete zwei Monate im Rückstand, kann der Vermieter kündigen. Nach Zustellung der Klage hat der Mieter noch zwei Monate Zeit, die ausstehende Miete zu entrichten und die fristlose Kündigung so außer Kraft zu setzen, jedenfalls sofern er in den vergangenen zwei Jahren nicht schon einmal im Rückstand war.
Zahlt er nicht und zieht er auch nicht freiwillig aus, muss der Vermieter Räumungsklage einreichen. Aufgrund der Überlastung der Gerichte kann es jedoch ein Jahr und länger dauern, bis der Vermieter ein vollstreckbares Räumungsurteil hat. Zieht der Mieter dann immer noch nicht aus, muss ein Gerichtsvollzieher bestellt werden. Bis ein Termin angesetzt wird, können wieder Monate vergehen. Zudem muss der Vermieter dem Gerichtsvollzieher einen hohen Vorschuss bezahlen, weil nämlich ein Transportunternehmen beauftragt werden muss, das die Mietwohnung räumt und die Möbel des Mieters einlagert.
Viele Mietbetrüger kennen zudem einen Trick: Steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür, wird plötzlich ein Untermieter präsentiert, etwa ein Bruder oder die Freundin. Nach der Rechtsprechung gilt der Räumungstitel aber nur für denjenigen, auf den er ausgestellt wurde. Der Gerichtsvollzieher muss also unverrichteter Dinge abziehen und das Verfahren beginnt von vorne.
Insgesamt kann es also Jahre dauern, einen solchen „Schmarotzer“ loszuwerden. Dazu kommt, dass der Vermieter häufig auf den ganzen Kosten sitzen bleibt. Zwar hat er 30 Jahre lang Zeit, seine Ansprüche einzufordern, doch oft ist schlicht kein pfändbares Einkommen vorhanden oder der Mieter hat sich einfach aus dem Staub gemacht. Die neue Adresse über Detekteien oder ähnliches zu ermitteln, würde wieder Kosten verursachen. Auch das Vermieterpfandrecht nutzt nur etwas, wenn Gegenstände von Wert in der Wohnung zurückgeblieben sind.
bl
MieterMagazin: Herr Dr. Rips, gibt es Mietnomaden?
Dr. Rips: Es gibt sie, aber es sind Einzelfälle und mit Sicherheit keine nennenswerte Größe auf dem deutschen Mietwohnungsmarkt. Gesicherte Zahlen hat niemand, doch die polizeiliche Kriminalstatistik sowie der allgemeine Rückgang der Mietschulden sprechen dafür, dass es sich um eine ganz kleine Ausnahmegruppe handelt. Selbst der Hauseigentümerverband kann auf Anfrage keine Fälle nennen. Aber ich sage auch ganz klar: Wir haben kein Verständnis für solche Leute.
MieterMagazin: Wie erklären Sie sich, dass dieses Randthema in den Medien Dauerbrenner ist?
Dr. Rips: Das wird von Vermieterverbänden und der FDP bewusst seit Jahren hochgekocht, um damit Forderungen nach Änderungen im Mietrecht zu begründen. Mittlerweile hat sich aber offenbar auch bei der FDP die Erkenntnis durchgesetzt, dass man solchen Betrügern nicht mit Mitteln des Mietrechts das Handwerk legen kann. In der Koalition wird jetzt lediglich über eine Beschleunigung der Räumungsverfahren diskutiert. Das findet unsere Zustimmung: Bei klarem Sachverhalt sollte die Wohnung so schnell wie möglich geräumt werden können. Auch die angekündigte Einstellung von mehr Richtern ist sinnvoll, um die Prozessdauer abzukürzen.
MieterMagazin: Von Vermieterseite wird immer wieder über das angeblich vermieterfeindliche Mietrecht gejammert, das solche Machenschaften begünstige.
Dr. Rips: Das ist Unsinn. Mieter, die den Hausfrieden stören oder die Wohnung beschädigen, können fristlos gekündigt werden. Mietrückstände oder sogar ständig unpünktliche Mietzahlungen berechtigen den Vermieter zur fristlosen Kündigung. Die Instrumente sind also vorhanden und reichen bei richtiger Anwendung aus, Mietnomaden frühzeitig und wirksam zu begegnen. Mietnomaden sind ein strafrechtliches Problem – eine Änderung des Mietrechts würde gar nichts bringen.
Das Interview führte MieterMagazin-Autorin Birgit Leiß.
MieterMagazin 1+2/10
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10.05.2017