Im Januar hat der Senat fünf Sanierungsgebiete aufgehoben. Die Bilanz für die Gebiete Traveplatz/Ostkreuz (Friedrichshain), Winsstraße (Prenzlauer Berg), Komponistenviertel (Weißensee), Oberschöneweide (Köpenick) und Wederstraße (Neukölln) fällt gemischt aus. Vor allem in den innerstädtischen Vierteln ist die soziale Seite der Stadterneuerung weitgehend auf der Strecke geblieben.
Insgesamt 18.400 Wohnungen mit 30.200 Bewohnern sind aus der Sanierung entlassen worden. Nach 14 beziehungsweise 15 Jahren intensiver Stadterneuerung sind in den fünf Gebieten mindestens zwei Drittel der Wohnungen instandgesetzt und modernisiert sowie ein Großteil der öffentlichen Infrastruktur auf Vordermann gebracht worden.
Die Ausgangslage war in den vier Ost-Berliner Sanierungsgebieten ziemlich schlecht: Ein Großteil der Altbauten war heruntergekommen, kohlebetriebene Ofenheizungen waren noch die Regel, oft fehlten in den Wohnungen Bäder und vor allem in den Hinterhäusern waren noch Außenklos an der Tagesordnung, die von mehreren Mietparteien genutzt wurden. Dass große Teile der ansässigen Mieterschaft die zweifellos notwendigen Modernisierungen nicht hätte bezahlen können, wenn die Kosten wie üblich in voller Höhe auf die Miete umgelegt worden wären, war ebenfalls von Anfang an klar.
In den Häusern, die mit öffentlichen Fördergeldern saniert wurden, sicherten sich die Bezirke ein Belegungsrecht für sanierungsbetroffene und einkommensschwache Mieter, außerdem sind hier die Mieten über einen Zeitraum von meist 20 Jahren an den Mietspiegel gebunden. Spätestens als der Senat immer weniger Fördermittel vergab und 2001 die Gelder ganz strich, mussten neue Instrumente her, um die Bewohner vor einer Verdrängung zu bewahren. Die Bezirke erließen Mietobergrenzen, die nach der Sanierung nicht überschritten werden durften – egal ob Fördergelder geflossen waren oder nicht. Nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht 2006 diese Praxis jedoch für unzulässig erklärt. Seither bemühen sich die Bezirke, den Eigentümern über städtebauliche Verträge soziale Zugeständnisse für die weniger zahlungskräftige Mieterschaft abzuringen.
Das allgemeine Mietniveau zieht seit ein paar Jahren stark an. Nachdem etliche Gebiete durch die Sanierung auch für einkommensstarke Haushalte attraktiv geworden sind, langen die Vermieter vor allem bei Neuvermietungen kräftig zu: In Friedrichshain wurden Mietaufschläge von 40 Prozent festgestellt, im Gebiet Winsstraße in Prenzlauer Berg wird bei einer Neuvermietung durchschnittlich 8,17 Euro pro Quadratmeter netto-kalt verlangt. Gleichzeitig nimmt die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ungeahnte Ausmaße an.
Die Fluktuation ist enorm
Dass es hier eine Verdrängung ärmerer Bewohner gab und gibt, streitet niemand mehr ab. Besonders betroffen: die Gebiete Winsstraße und Traveplatz/Ostkreuz. Dort hat ein weitgehender Bevölkerungsaustausch stattgefunden. An der Winsstraße lebt nur noch jeder Achte seit 1990 in derselben Wohnung, 50 Prozent der Bewohner sind erst in den letzten fünf Jahren zugezogen. Im Gebiet Traveplatz/Ostkreuz lebte sogar nur noch jeder zehnte Bewohner schon vor 1994 hier. Zwei Drittel der heutigen Bewohner sind erst nach 2003 zugezogen. Die sanierungsbedingt enorme Fluktuation beruhigt sich jedoch allmählich. Doch noch immer sind beide Gebiete von Familien und einer gut verdienenden Mittelschicht gefragt, obwohl sie noch bis vor Kurzem neben den angesagten Nachbarvierteln Kollwitzplatz beziehungsweise Boxhagener Viertel als „graue Mäuse“ galten.
Anzeichen für eine Verdrängungsentwicklung sind auch im Weißenseer Komponistenviertel zu erkennen: In den letzten Jahren gab es einen vermehrten Zuzug von Haushalten aus Prenzlauer Berg, die vor den hohen Mieten in den etwas preiswerteren Nachbarortsteil ausgewichen sind. Ungewollt bringen so die „Prenzlauer-Berg-Flüchtlinge“ auch in Weißensee mit leichter Verzögerung die Mietenspirale in Schwung.
Das isoliert gelegene Oberschöneweide war indessen eng mit den Industriebetrieben an der Spree verbunden. Nach deren Niedergang galt Oberschöneweide mit hoher Arbeitslosigkeit und wachsendem Leerstand als bauliches und soziales Notstandsgebiet. Der Abwärtsstrudel konnte gestoppt werden, unter anderem siedelte sich 2006 die Hochschule für Technik und Wirtschaft auf dem Gelände des ehemaligen Kabelwerks Oberspree an. Gegenüber der Nachwendezeit wuchs die Bevölkerungszahl um fast 50 Prozent. Das Quartiersmanagement, das hier 1999 eingerichtet wurde, konnte schon 2007 wieder aufgehoben werden.
Sonderfall Wederstraße in Neukölln
Ein Sonderfall ist das Gebiet Wederstraße in Neukölln: Hier wurden ungute Erinnerungen an die Kahlschlagsanierung in den 60er und 70er Jahren geweckt. Um für den Britzer Tunnel der Stadtautobahn A 100 Platz zu schaffen, wurde 1997 fast die gesamte Wederstraße abgerissen. Insgesamt 60 Häuser mit 260 Wohnungen und 50 Gewerbebetriebe fielen hier dem Straßenbau zum Opfer, nur zehn Altbau-Wohnhäuser haben in der Wederstraße überlebt. Die Ausweisung des Viertels als Sanierungsgebiet im Jahr 1995 hatte vor allem den Zweck, sich die Zustimmung der Anwohner zu dem schon seit Jahrzehnten geplanten Autobahndurchbruch zu erkaufen: Neue Wohnungen, Kitas, Schulen und Grünanlagen sollten mit der Sanierung entstehen. Nach dem Bau der tiefergelegten Autobahn wurde der Einschnitt gedeckelt. Auf dem „Dach“ der A 100 wurde der Carl-Weder-Park angelegt. Der kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der vor einem Jahrhundert von Carl Weder angelegte Stadtteil „Neubritz“ durch den Autobahnbau auseinandergerissen wurde.
Damit sind nun 16 der 22 Sanierungsgebiete, die zwischen 1993 und 1995 im „Ersten Gesamtberliner Stadterneuerungsprogramm“ aufgestellt worden sind, aus der Sanierung entlassen. Die sechs verbleibenden Gebiete Helmholtzplatz, Teutoburger Platz und Bötzowstraße (alle Prenzlauer Berg) sowie Wollankstraße (Pankow), Warschauer Straße (Friedrichshain) und Niederschöneweide (Treptow) sollen Anfang 2011 aufgehoben werden.
Jens Sethmann
Was ist ein Sanierungsgebiet?
In Sanierungsgebieten müssen für Modernisierungen, Um- und Neubauten sowie für Abrisse gesonderte sanierungsrechtliche Genehmigungen eingeholt werden. Die Bezirke können so sicherstellen, dass die Baumaßnahmen nicht den Zielen der Sanierung zuwiderlaufen. Grundlage dafür ist das „Besondere Städtebaurecht“ der Paragraphen 136 bis 164 b des Baugesetzbuches (BauGB). Für sanierungsbetroffene Mieter werden Sozialplanverfahren durchgeführt, um eine Verdrängung durch die Sanierung zu vermeiden. Bei Bauarbeiten werden ihnen Umsetzwohnungen oder Ersatzwohnraum bereitgestellt. Für Investitionen in Sanierungsgebieten können Eigentümer erweiterte Steuerabschreibungs- möglichkeiten in Anspruch nehmen.
js
MieterMagazin 1+2/10
Nach rund 15 Jahren sind jetzt in allen fünf aufgelösten Sanierungs- gebieten zwei Drittel des Wohnungsbestandes saniert
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Zum Thema
Neue Sanierungsrunde mit West-Schwerpunkt
Zurzeit arbeitet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung an der Aufstellung von sieben neuen Sanierungsgebieten. Der Schwerpunkt verschiebt sich dabei wieder mehr auf den Westteil der Stadt.
Die möglichen neuen Sanierungsgebiete sind
Müllerstraße (Wedding),
Turmstraße (Moabit),
Mehringplatz/Blücherstraße (Kreuzberg),
Wilhelmstadt (Spandau),
Frankfurter Allee Nord (Lichtenberg)
sowie Maybachufer/Elbestraße und
Karl-Marx-Straße (beide Neukölln).
Im Laufe dieses Jahres ist geplant, für sieben weitere erneuerungsbedürftige Stadtteile „Vorbereitende Untersuchungen“ aufzunehmen, um festzustellen, ob eine Ausweisung als Sanierungsgebiet notwendig ist.
js
03.06.2013