In diesem Jahr wird es eine EU-weite Volkszählung geben. In Deutschland ist das die erste Erhebung seit der heftig umstrittenen Volkszählung von 1987. Anders als damals werden jetzt jedoch nicht alle Bürger befragt. Deshalb wird offiziell nicht von einer Volkszählung, sondern von einem Zensus gesprochen.
Politische Entscheidungen brauchen eine verlässliche Zahlengrundlage. Müssen mehr Wohnungen gebaut werden? Wo werden in den nächsten Jahren wie viele Kinder eingeschult? Wie viele Menschen leben überhaupt in Deutschland? So genau kann das zurzeit niemand beantworten.
Die Einwohnerzahl Berlins wird zwar für den 30. Juni 2010 mit 3440400 angegeben, aber ob es nicht ein paar Tausend mehr oder weniger sind, ist ungewiss. Die Zahlen beruhen auf der bundesdeutschen Volkszählung von 1987 und der DDR-Volkszählung von 1981. Seither wurden die Daten fortgeschrieben. Jährlich wird stichprobenartig ein Prozent der Bevölkerung im sogenannten Mikrozensus befragt. Je länger jedoch die letzte Vollerhebung zurückliegt, desto ungenauer werden die Fortschreibungen. So kam bei der Volkszählung 1987 heraus, dass es in der Realität eine Million Wohnungen weniger gab als errechnet worden war. Heute schätzt man, dass die Einwohnerstatistik in Deutschland etwa 1,3 Millionen Menschen mehr verzeichnet als tatsächlich hierzulande leben.
Anders als bei den früheren Volkszählungen muss beim Zensus 2011 nicht jeder Bürger einen Fragebogen ausfüllen. Am Stichtag 9. Mai 2011 werden bundesweit aus den Melderegistern der Städte und Gemeinden sowie aus den Registern der Bundesagentur für Arbeit die gewünschten Daten aller Einwohner erhoben und zusammengestellt. Wie weit diese Daten stimmig sind, wird in einer Stichprobe überprüft: Etwa 7,9 Millionen Einwohner müssen dazu einen Fragebogen ausfüllen. Bei der Haushaltebefragung wird auch um Auskünfte gebeten, die nicht aus den Melderegistern hervorgehen, etwa zum Bildungsstand, zur Erwerbstätigkeit und zur Herkunft von Zuwanderern.
Die Interviewer kommen ins Haus
Mit einem Zufallsverfahren wird ermittelt, wer in die Stichprobe kommt. Ausgewählt werden dabei nicht Personen, sondern Anschriften. In der Regel müssen sich also alle Bewohner eines ausgewählten Hauses an der Haushaltebefragung beteiligen. In Wohnheimen und Gemeinschaftsunterkünften wie Studenten- und Seniorenwohnheimen, Internaten und Klöstern werden alle Bewohner befragt, denn bei diesen Anschriften ist die Fehlerrate in den Melderegistern besonders hoch.
Die Bürger, die zur Befragung ausgewählt wurden, bekommen Besuch von einem Interviewer, der beim Ausfüllen des Fragebogens hilft. Man kann den Bogen auch per Post verschicken oder die Angaben online machen. Der Befragungstermin wird ein bis zwei Wochen vor dem Stichtag schriftlich angekündigt. Die Befragung kann nicht verweigert werden, es besteht Auskunftspflicht.
Ein zentraler Teil des Zensus ist die Gebäude- und Wohnungszählung. Alle Eigentümer oder Verwalter werden im Mai 2011 einen Fragebogen zu ihren Immobilien geschickt bekommen. Um sicherzugehen, dass die richtigen Eigentümer angeschrieben werden können, hat das Statistische Landesamt bereits im letzten Jahr mit einer Vorbefragung der Eigentümer begonnen.
Das Statistische Bundesamt versichert, dass der Datenschutz „oberstes Gebot“ ist. Alle Einwohner sollen sicher sein, dass sowohl die von ihnen abgefragten Daten als auch ihre Registerdaten die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder nicht mehr verlassen. Die gesetzlichen Grundlagen des Zensus und des Datenschutzes verbieten es, die erhobenen Informationen an andere Behörden oder private Institutionen und Personen weiterzureichen.
Anders als in den 80er Jahren in West-Deutschland hat sich dieser Tage noch kein breiter Anti-Volkszählungsprotest formiert. Ob es daran liegt, dass die Bürger dem Datenschutz vertrauen oder angesichts der allgemeinen Datensammelwut längst resigniert haben, sei dahingestellt.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/11
Erstmals seit den 80er Jahren werden die Deutschen wieder gezählt
Foto: Christian Muhrbeck
Ausführliche Informationen zum Zensus und Musterfragebögen im Internet unter
www.zensus2011.de
Zum Thema
Zählung alle zehn Jahre
Die Europäische Union schreibt ab 2011 die Durchführung von Volks- und Wohnungszählungen im Abstand von zehn Jahren vor (Verordnung EG Nr. 763/2008). Damit die Ergebnisse auf europäischer Ebene vergleichbar sind, müssen alle Mitgliedstaaten einen festgelegten Umfang von Daten liefern. Wie diese erhoben werden, bleibt ihnen überlassen. In den skandinavischen Ländern ist der Zensus, der auf einer reinen Auswertung von Verwaltungsregistern beruht, seit langem üblich. Dagegen sind Länder ohne Meldepflicht grundsätzlich auf die traditionelle Befragung der gesamten Bevölkerung angewiesen. Reine Stichprobenbefragungen werden von der EU nicht akzeptiert.
js
25.11.2015