Die Zahl der Spielhallen in Berlin hat sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Zugeklebte Schaufenster und grelle Leuchtreklamen prägen mittlerweile ganze Straßenzüge. Beschwerden einzelner Mieter über Lärm- und sonstige Belästigungen häufen sich. Selbst der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, prangert die „negativen Folgeerscheinungen des Glücksspiels wie Spielsucht, Kriminalität und Quartiersverelendung durch Spielhallen“ mittlerweile an.
288 offizielle Spielhallen mit 393 Konzessionen gab es Ende 2009 in Berlin, in rund doppelt so vielen Gaststätten, Kulturvereinen, Spätkauf-Shops und Imbiss-Lokalen hängen ebenfalls Geldspielautomaten. Dazu kommen die zwei staatlich konzessionierten Spielcasinos am Fernsehturm und am Potsdamer Platz. Über 10000 Geldspielautomaten, offiziell „Unterhaltungsspielgeräte mit Gewinnabsicht“, wetteifern darum, Berlinern und Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen. 3561 davon stehen in den konzessionierten Spielhallen. Die Entwicklung ist rasant: 2008 waren es nur 2427 Automaten an 229 Standorten mit 262 Spielhallenkonzessionen.
Rund 37.000 Spielsüchtige gibt es in Berlin. Der jährliche Spielverlust pro Einwohner betrug 2009 22,43 Euro. Reich werden nur die Betreiber der Spielhallen: Die Automatenwirtschaft konnte ihren Umsatz in den vergangenen fünf Jahren nahezu verdoppeln. Rund 83 Millionen Euro wurden 2009 umgesetzt.
Über 25 Prozent aller Berliner Spielhallen befinden sich im Bezirk Mitte, davon im Wedding 38 und in Tiergarten 26. Allein die Müllerstraße kann sich mit 12 Spielhallen „schmücken“. Dabei soll diese traditionelle Geschäftsstraße gerade mit jährlich einer Million Euro im Rahmen des Programms „Aktive Zentren“ aufgewertet werden. In Neukölln okkupieren Spielhallen mittlerweile die Erdgeschosse ganzer Häuserblocks. Überdies werden weitere Spielhallen-Lizenzen beantragt, die Spielhallen-Monokultur grassiert stadtweit.
Über 20 Spielhallen gibt es auch in Moabit. Sie heißen „Nevada“, „Merkur“, „Vulkan Stern“ oder einfach nur „Spielcasino“, „Spielsalon“, „Spielothek“ oder „Automatencasino“. Als das Quartiersmanagement Moabit West im September 2010 zu einem Stadtteilplenum zum Thema „Spielhallen“ lud, wurde es im Nachbarschaftshaus in der Rostocker Straße eng. Das Thema sorgt seit Monaten für erregte Diskussionen im Kiez. Inzwischen hat sich eine Bürgerinitiative formiert.
„Die sich ausbreitenden Spielhallen sind ein neues Problem“, bestätigt auch Gebietskoordinatorin Derya Kilic aus dem Neuköllner Bezirksamt. Zu den bekannten Alkohol- und Drogenproblemen komme eine wachsende Zahl von Spielsüchtigen, zudem ziehen Automaten-Casinos ein gewisses Halbweltmilieu an, konstatiert auch das Quartiersmanagement Flughafenstraße.
Das Szenario ist immer gleich
Die steigende Zahl der Spielhallen ist ein Indikator für Änderungen der Sozialstruktur, für den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang im Kiez. Das bestätigt auch Rolf Wesselhöfft vom Stadtplanungsamt Mitte: „Durch umfangreiche Erhebungen und Untersuchungen konnte eine Verdrängung von angestammten Nutzungen durch Spielhallen und damit ein Abwärtstrend der Einkaufsstraßen nachgewiesen werden.“ Denn Spielhallen siedeln sich bevorzugt dort an, wo potenzielle Nutzer wohnen. Das Szenario ist immer gleich: Lässt die Kaufkraft nach, schließen die Geschäfte. Als neue Gewerbemieter finden sich oft nur Spielhallenbetreiber. Sie zahlen jede Miete. Bewohner mit niedrigen Einkommen und Hartz-IV-Empfänger mit viel freier Zeit erliegen dann nur allzu leicht den Verlockungen des Spiels und geraten noch tiefer in die Armuts- beziehungsweise Schuldenfalle. Der Kiez Körnerpark hat die höchste Verschuldungsrate des Bezirks Neukölln – und wesentlich mehr Spielhallen als benachbarte Wohngebiete.
Mieter im Umfeld der Spielhallen klagen zunehmend über unzumutbare Belästigungen. Die grellen Leuchtreklamen blinken oft ziemlich aggressiv. Nicht selten stehen nachts Gruppen von Besuchern vor dem Eingang einer Spielhalle und diskutieren lautstark. Mieter, die direkt über Spielhallen wohnen, klagen über die ratternden Geräusche der Spielautomaten, die ihre Wohnqualität beeinträchtigen. Die meisten Spielhallen haben 23 Stunden am Tag geöffnet. Kommt es zu einer Ortsbegehung, stellen die Betreiber ihre Spielgeräte leiser. Mieter in der Nachbarschaft von Spielhallen fühlen sich verunsichert und sind teilweise sogar verängstigt. 2009 gab es allein in Mitte 12 Raubüberfälle auf Spielhallen und Wettbüros. Wenn es um die Geldspielautomaten geht, ist immer auch von Geldwäsche und illegalem Glücksspiel die Rede. Dass die Spielhallen die organisierte Kriminalität anziehen und dort Gelder aus „kriminalitätsnahen Quellen“ gewaschen werden, ist laut Landeskriminalamt allerdings nicht explizit nachweisbar.
In Stuttgart konnte das Abrutschen von Straßenzügen oder Stadtteilen durch die Versagung der Spielstätten-Lizenz verhindert werden – ein nachahmenswertes Beispiel. Carsten-Michael Röding, Baustadtrat in Spandau: „Soweit es gewerbe- und planungsrechtlich möglich ist, müssen Spielhallen in reinen Wohngebieten außen vor bleiben.“ Gesobau und Degewo vermieten in reinen Wohngebieten nicht an Spielhallenbetreiber – ein Beispiel, das Schule machen sollte. Auch eine Obergrenze der Zahl der Spielhallen pro Einwohner wäre denkbar. In der Diskussion sind eine Spielhalle pro 50.000 Einwohner und ein Abstand von 1000 Metern zwischen zwei Spielhallen. Derzeit kommen in Berlin 12.000 Einwohner auf einen Spielhallenstandort.
Landesgesetz auf dem Weg
Berlin hat inzwischen zwar die positive Grundsatzentscheidung getroffen, bei Glücksspielen dem Jugend- und Spielerschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einzuräumen, viel mehr ist allerdings nicht passiert. Viele Betreiber vertrauen darauf, dass die wenigen Vorgaben nicht kontrolliert werden.
Notwendig sind ein Landesgesetz zur Regelung des Rechts der Spielhallen und die Installation entsprechender Kontrollmechanismen. Darin könnten zum Beispiel die Vergabe von Konzessionen, die personellen Voraussetzungen für den Betrieb einer Spielhalle, Sperrsysteme für Problemspieler, eingeschränkte Öffnungszeiten, der Betrieb von Spielhallen in der Nähe von Jugendeinrichtungen und Schulen und der Lärmschutz geregelt werden.
Bereits im September 2010 hat die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus einen Antrag zu einem Spielhallengesetz eingebracht. Die SPD-Fraktion hat gleich mehrere Anträge beschlossen. Die Linkspartei hat angekündigt, diese Anträge zu unterstützen. Auch von der FDP in Mitte liegt ein Antrag vor. Der Berliner Senat hat mittlerweile angekündigt, sowohl mit einem Landesgesetz als auch mit zwei Bundesratsinitiativen dem Problem des Spielhallenbooms auf den Leib zu rücken. Das Landesgesetz soll bis zum Sommer beschlossen sein.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 1+2/11
Die Automaten- wirtschaft hat ihren Umsatz in den letzten fünf Jahren verdoppelt
alle Fotos: Sabine Münch
Anwohner beklagen Belästigungen durch Lärm, Licht und Verkehr
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Jugendschutz? Fehlanzeige!
Die Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin hat 2010 44 Spielhallen in Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte besucht und überprüft, ob und inwieweit das Jugendschutzgesetz, die Spielverordnung und der Nichtraucherschutz eingehalten werden. Die Ergebnisse sind erschreckend: In keiner der Spielhallen war sichtbar Informationsmaterial über Risiken des übermäßigen Spielens ausgelegt. In Friedrichshain-Kreuzberg waren die geltenden Jugendschutzbestimmungen in nahezu der Hälfte der Spielhallen nicht ausgehängt. In fünf Spielhallen wurde die höchstzulässige Anzahl an Geldspielgeräten überschritten und mehr als zwölf Geräte aufgestellt. Die für Spielhallen geltenden Bestimmungen zum Nichtraucherschutz wurden in 34 von 44 besuchten Spielhallen missachtet.
rb
03.04.2013