Immer noch hält sich hartnäckig das Gerücht, Hartz-IV-Empfänger würden von vielen Vermietern gern als Mieter genommen – schließlich zahlt das Amt die Miete. Die Realität sieht anders aus, selbst im Sozialen Wohnungsbau. Das belegt eine aktuelle Berliner Studie.
Von den sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften wollte die Soziologin Christine Barwick Näheres zu den Kriterien der Wohnungsvergabe wissen. Bemerkenswert: Nur die Hälfte davon war zur Teilnahme an dem Forschungsprojekt bereit. Insgesamt wurden sieben Mitarbeiter von drei Wohnungsbaugesellschaften interviewt, zwei davon wurden außerdem einen Tag lang bei der Arbeit begleitet. Für die Soziologin sind die Angestellten wichtige „Kontrollposten“, die den Zugang zum Wohnungsmarkt kontrollieren und letztendlich auch die sozialräumliche Struktur der Stadt beeinflussen.
„Am meisten hat mich überrascht, dass Hartz-IV-Empfänger so wenig Chancen haben, dabei sind gerade sie auf den Sozialen Wohnungsbau angewiesen“, kommentiert Barwick die Ergebnisse der Studie. Das liege vor allem an den stadtpolitischen Rahmenbedingungen. Viele Sozialwohnungen sind schlicht zu teuer, das heißt sie überschreiten die von den Jobcentern übernommenen Obergrenzen. Zum anderen habe die 2002 beschlossene Gebietsfreistellung dazu geführt, dass Einkommensschwache zunehmend „draußen vor der Tür“ bleiben. Für bestimmte Siedlungen ist seitdem kein Wohnberechtigungsschein mehr erforderlich. Die interviewten Wohnungsunternehmen nutzen diesen Spielraum und vermieten lieber an Berufstätige. Dazu kommt, dass die Jobcenter oft Wochen brauchen, um die erforderliche Mietübernahmebescheinigung auszustellen. In dieser Zeit ist die ins Auge gefasste Wohnung meist schon anderweitig vergeben.
Aber auch Vorurteile spielen offenbar eine Rolle. „Die Mitarbeiter tendieren dazu, ihre Kunden zu kategorisieren und dementsprechend Wohnungen zu vergeben“, hat Barwick herausgefunden. Insbesondere Hartz-IV-Bezieher und Migranten werden benachteiligt. Eine Mitarbeiterin sagte ganz offen, dass ihrer Meinung nach Hartz-IV-Empfänger kein Recht auf eine Wohnung in Innenstadtlage haben. Vor allem in attraktiven Gegenden wie Kreuzberg werde darauf geachtet, dass keine weiteren Migrantenfamilien in ein Haus einziehen. Begründet wird dies mit den Interessen der deutschen Mieterschaft.
Diese Einstellung, so Barwick, laufe Sinn und Zweck des Sozialen Wohnungsbaus zuwider: bezahlbaren Wohnraum speziell für sozial Schwächere bereitzustellen.
Birgit Leiß
MieterMagazin 1+2/12
In Innenstadtbezirken ist für Hartz-IV-Empfänger auch die Tür zu Sozialwohnungen zu (hier: „Baller“-Häuser am Kreuzberger Fraenkelufer)
Foto: Christian Muhrbeck
19.03.2013