Wer sein Fahrrad liebt, der schleppt es notfalls auch in den vierten Stock. Nur dort ist es trocken und diebstahlsicher untergebracht. Manche stellen es im Flur ab, andere hängen es im Schlafzimmer an einen Haken. Wesentlich komfortablere Varianten werden derzeit im Neubau erprobt.
Als Gegenpol zum umstrittenen „Carloft“ in Kreuzberg hat eine Baugruppe aus Lichtenberg ihr „Fahrradloft“ konzipiert. Für die Fahrräder sind eigene, überdachte Balkone zur Straße hin vorgesehen, wobei jede Wohnung zwei Balkone hat: einen direkt am Aufzug gelegenen für die Räder und einen zweiten mit Blick auf den Garten. Der Aufzug ist nicht nur ausreichend groß für Anhänger und Lastenräder, sondern hat auch zwei gegenüberliegende Türen. So kann man sein Fahrrad bequem reinschieben, ohne umständlich rangieren zu müssen. An beiden Seiten des Balkons wird es zudem elektrische Türöffner geben.
Doch warum muss das Rad unbedingt mit in die Wohnung? Wäre ein Abstellraum im Erdgeschoss nicht die bessere Lösung gewesen? „Einen entsprechenden großen Raum als Abstellfläche opfern zu müssen, hätten wir schade gefunden“, meint Architekt und Initiator Lars Göhring. Einen Keller wird es nicht geben, und der 2000 Quadratmeter große Garten soll zum Spielen und Erholen genutzt werden. Zur Baugruppe gehören viele Familien, aber auch Singles und ältere Paare. Fast alle haben mehrere Räder und nutzen diese täglich. „Wir haben richtige Fahrradfreaks, die ihr Rad gern immer in ihrer Nähe haben wollen, aber Alltagsradler gibt es auch“, berichtet Göhring. Der größte Vorteil der Fahrradbalkone sei, dass sie gleichzeitig als Abstellplatz für Kinderwagen, Rollstühle oder ähnliches genutzt werden können. Pkw-Stellplätze wird es übrigens nicht geben. Den „Tiefgaragenwahnsinn“ wolle man nicht mitmachen. 42 Wohnungen sollen am Nöldnerplatz in Lichtenberg entstehen, der Baubeginn ist für Frühjahr 2014 geplant.
Auch im Mietwohnungsbau gibt es ein erstes Beispiel für das Wohnen mit Rad. In den 48 Wohnungen, die derzeit im ehemaligen Hertie-Kaufhaus in der Turmstraße 29 entstehen, können die Räder – aber auch der Kinderwagen oder der Rollator – in einer „Bike-Box“ im Eingangsbereich verstaut werden. Damit das nagelneue „Mini-Loft“ keinem Schaden nimmt, wird der Fußboden in diesem Bereich mit einem speziellen Belag ausgestattet sein. Zudem gibt es eine Ladestation für das Elektro-Bike. „Bike-Living“ nennt der Bauherr, die „MIB AG“ ihr Konzept. Die Idee ist aus ganz pragmatischen Erwägungen entstanden: „Wir haben uns den Kiez intensiv angeschaut und dabei festgestellt, dass alle Fahrrad fahren, daher stand bald der Fahrradgedanke im Mittelpunkt“, erzählt Lars Neubauer, der als kaufmännischer Projektmanager für das Objekt verantwortlich ist. Dazu kam, dass zusätzlich zum normalen Fahrstuhl an der Turmstraße noch ein alter Lastenaufzug an der Hofseite vorhanden war. Dieser wurde nun speziell für den Fahrradtransport umgebaut. In einem Aufzugsvorraum säubern Bürsten, die in den Boden eingelassen sind, die schmutzigen Reifen. Außerdem kann man hier sein Fahrrad aufpumpen.
Gute Nachbarschaft
Nach Neubauers Überzeugung richtet sich „Bike-Living“ nicht nur an gut betuchte Mieter. „Das ist einfach eine Frage des Komforts, ganz egal, ob man ein 3000 Euro teures Mountainbike oder eine Kiezgurke für 50 Euro hat.“ Zudem gehe der Trend zu den E-Bikes, und die könne man nicht einfach in den Hof stellen. Wer will, kann die Box natürlich auch als Ankleideraum oder ähnliches nutzen. Das Konzept komme „super“ an. Obwohl die Vermietung noch gar nicht begonnen hat – Ende September sollen die Wohnungen fertig sein -, gebe es bereits viele Interessenten. Einige hätten sogar angeboten, mehr als die angesetzten 10 Euro nettokalt pro Quadratmeter zahlen zu wollen.
Ob die Fahrradlofts zum Trend werden, bleibt abzuwarten. Fest steht: Um dem Drahtesel-Chaos in Hof und Keller vorzubeugen, muss im Neubau nach kreativen Lösungen gesucht werden.
Birgit Leiß
MieterMagazin 1+2/14
Auch als Abstellfläche für Kinderwagen, Rollstühle und anderes geeignet
Foto: Wichert/Göhring
Rat und Tat
Fahrradparkplätze sind im Neubau Pflicht
Die Berliner Bauordnung schreibt für den Neubau zwei Fahrradabstellplätze pro Wohnung vor. Mindestens die Hälfte davon ist innerhalb des Gebäudes in eigens dafür bestimmten Räumen einzurichten. Die Ausführungsvorschriften enthalten außerdem Anforderungen an die Erreichbarkeit, Abschließbarkeit, Beleuchtung und Standsicherheit.
Alternativ dazu haben die Eigentümer auch die Möglichkeit, Stellplätze auf dem öffentlichen Straßenland vor dem Gebäude anzulegen oder eine Ablöse zu zahlen. Eine Stellplatzpflicht für Autos gibt es in Berlin bereits seit 1997 nicht mehr.
bl
27.02.2014