Seniorengerechtes Wohnen in gepflegter Umgebung, mit angenehmen Nachbarn und vielen Serviceleistungen: Bunte Prospekte von Residenzen, Apartmenthäusern und Wohnanlagen versprechen gute Betreuung bis ins hohe Alter. Aber Vorsicht: Auf dem Service-Wohnungsmarkt tummeln sich viele Anbieter. Nicht wenigen geht es in erster Linie ums Geldverdienen.
Als Elisabeth L. 2017 in das Spandauer Seniorenzentrum zog, war sie sich sicher, eine gute Entscheidung getroffen zu haben. Zwar lagen die Kosten deutlich über denen ihrer alten Mietwohnung, aber dafür war hier alles barrierefrei, und im Vertrag wurden viele Serviceleistungen angeboten, die ihr Leben erleichtern sollten: ein 24-Stunden-Notruf, hauseigene Gemeinschaftsräume und Treffs, das Café und der Friseur in der Einrichtung, mobilisierende Selbsthilfe für Hochbetagte durch geschultes Personal, ein Auskunfts- und Beratungsdienst, die Vermittlung von Hausmeister und Putzhilfen. So nahm es die 76-Jährige auch erst einmal hin, dass schon bald die erste Mieterhöhung auf dem Tisch lag. Aber dann folgte 2019 die zweite – und wenige Monate darauf die dritte. Dabei bezahlte die Seniorin bereits 1547 Euro für das 50,5 Quadratmeter große Zweizimmerapartment. Begründet wurde die erneute Mietanhebung mit steigenden Kosten für die Serviceleistungen. Diese könnten die Betreiber – so gaben sie an – weder beeinflussen noch durch Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen.
„Betreutes Wohnen“ ist kein geschützter Begriff
„Kein seltener Fall“, kommentiert Ulrike Kempchen von der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA). „Seniorinnen und Senioren ziehen in solche Einrichtungen, weil sie den Versprechen glauben und darauf vertrauen: Hier werden wir betreut, hier kümmern sie sich um uns bis zum Schluss!“ Aber hinter dem sogenannten „Betreuten Wohnen“, das sich seit Beginn der 1990er Jahre mehr und mehr im wahrsten Sinne des Wortes einen „Silbermarkt“ erschlossen hat, verbergen sich die unterschiedlichsten Wohnangebote – und viele, längst nicht immer seriöse Investoren. Die bauen auf den schlechten Ruf von Pflegeheimen, die Finanzkraft älterer Menschen und das Fehlen klarer gesetzlicher Regelungen. Denn der Begriff „Betreutes Wohnen“ ist bis heute juristisch nicht geschützt, im Gegensatz zu Pflegeheimen gilt hier nicht das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG). Letzteres regelt als Verbraucherschutzgesetz unter anderem Vertragsschluss, Vertragsinhalt, die Mängelgewährleistung und Kündigungsmöglichkeiten.
Das sogenannte „Betreute Wohnen“ setze dagegen keinerlei verbindliche Anforderungen voraus – insbesondere nicht hinsichtlich der Betreuung, so die Leiterin der Rechtsabteilung von BIVA. „Deshalb ist schon der Name irreführend: Korrekterweise müsste es Service-Wohnen heißen.“ Es schließt zwar eine wichtige Versorgungslücke im vorstationären Bereich und kann für ältere Menschen durchaus die Lösung ihrer Wohnprobleme sein, aber es ist eben auch ein gewinnversprechendes Geschäftsmodell. Denn die Preise für solches Service-Wohnen liegen deutlich über den üblichen Mietpreisen vor Ort.
Den neuen Mietvertrag genau prüfen
„Wer über einen Umzug in ein Seniorenzentrum oder eine Seniorenresidenz nachdenkt, sollte sich auf jeden Fall den Mietvertrag vorher genauestens ansehen“, erläutert Ulrike Kempchen. Der enthält oft neben Wohn- und Wohnnebenkosten eine Pauschale für den Grundservice, aus der einzelne Angebote oder Dienstleistungen nicht einfach abgewählt und herausgerechnet werden können. Man müsse sich fragen, so die Rechtsvertreterin des Pflegeschutzbundes, ob man die Leistungen dort wirklich in Anspruch nehmen will, oder ob der Notrufknopf, eine Reinigungshilfe, die Fußpflegerin und der Friseur nicht billiger zu haben sind, wenn man sie sich selbst sucht.
„Es gibt auch nicht wenige Fälle, da stellen ältere Menschen enttäuscht fest, dass Versprochenes nicht eingehalten wird, Erwartungen nicht erfüllt werden oder der Service im Laufe der Zeit nachlässt“, ergänzt die Juristin: Das Büro des Beratungsdienstes sei dann längst nicht so oft besetzt wie versprochen, Kulturabende fänden nur selten statt oder entsprächen nicht den eigenen Interessen, und pflegerisch geschultes Personal gäbe es im Haus gar nicht. Kempchen: „Auf meinem Tisch lag die Beschwerde einer betagten Seniorin, die mit akuter Atemnot an der Pforte ihres Wohnkomplexes um einen Notarzt bat – und von dort nur zu hören bekam, dafür sei man nicht zuständig.“
Wichtige Frage: Wer ist der Ansprechpartner?
Neben Einrichtungen, in denen sich die Älteren wohlfühlen, wo man sich um ihre Belange kümmert und um ihr Wohlergehen sorgt, gibt es eben auch unengagierte und sogar dubiose Anbieter mit einem unseriösen Geschäftsgebaren. Dazu zählt die BIVA-Vertreterin den Wechsel von Dienstleistungs- und Pflegeanbietern und die Veränderung des Serviceangebotes, ohne die Betroffenen darüber zu informieren und die Verträge anzupassen. Besonders kritisch sieht sie den Verkauf ganzer Anlagen oder auch einzelner Apartments als Eigentumswohnungen aus Renditegründen. „Aus unserer Sicht sind Eigentumswohnungen mit verschiedenen Eigentümern eine ungünstige Wohnform für ein Service-Wohnen – wissen die Bewohner doch oft nicht mehr, wer denn nun ihr Ansprechpartner ist.“ Wer kümmert sich bei technischen Problemen vor Ort und repariert die defekte Hauseingangstür oder holt schnell eine Firma, wenn der Fahrstuhl kaputt ist?
Auch die Wohnungseigentümer seien oftmals ahnungslos, worauf sie sich einließen. Sie wüssten nichts über die besonderen Bedürfnisse alter und pflegebedürftiger Menschen – und nichts über deren besondere Rechte im Falle einer Kündigung, etwa wegen Eigenbedarfs.
Großen Widerstand haben Investoren, die aus rein wirtschaftlichen Erwägungen handeln, bei den Bewohnerinnen und Bewohnern von Service-Wohnanlagen dennoch in aller Regel nicht zu fürchten. Alte Menschen reagieren eher zurückhaltend und ängstlich. Kempchen: „Wer keine durchsetzungsfähigen Verwandten an seiner Seite hat, setzt sich kaum zur Wehr, geht einem Rechtsstreit aus dem Weg und wird auf keinen Fall einen langjährigen Prozess riskieren.“ Nicht nur aus Scheu vor Konflikten, sondern auch aus dem Wissen heraus, dass man auf einem schwierigen Wohnungsmarkt wie Berlin nicht so ohne Weiteres einen Platz in einer anderen Einrichtung des Service-Wohnens findet – und einen weiteren Umzug wahrscheinlich auch nicht mehr verkraftet.
So verleiht die Schwäche des einen Vertragspartners dem anderen die Macht, seine Interessen durchzusetzen. Es sei denn, die Mieter haben Verbündete an ihrer Seite: Elisabeth L. wandte sich nach ihrer zweiten Mieterhöhung an den Berliner Mieterverein, dessen Mitglied sie seit vielen Jahren ist. Nach einem Schreiben an den Betreiber des Seniorenzentrums, in dem der Rechtsberater des BMV darlegte, dass eine solche Mieterhöhung unwirksam sei, zog dieser sie erst einmal zurück.
„Aber klar ist: Die derzeitige Rechtslage bietet keinen ausreichenden Schutz für hilfebedürftige Senioren vor unredlichen Leistungsanbietern“, so Ulrike Kempchen. Sie rät allen, die in eine solche Wohnform ziehen, genau hinzuschauen und auch die eigenen Finanzen zu prüfen. Wer nach vielen Jahren feststellt, dass er weitere Mieterhöhungen nicht mehr verkraftet, wird wohl oder übel ausziehen müssen.
Rosemarie Mieder
Vier Schritte zum Betreuten Wohnen
1. Klären Sie, wo Sie wohnen möchten: in Ihrem alten Kiez oder doch lieber näher bei den Kindern? Erkundigen Sie sich dann vor Ort und holen Sie Informationen ein, etwa bei Seniorenberatungsstellen, Wohlfahrtsverbänden oder auch kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen.
2. Lassen Sie sich die Häuser zeigen und sprechen Sie mit anderen Bewohnern. Fragen Sie die Betreiber nach einem möglichen Probewohnen.
3. Seien Sie mit einer Checkliste unterwegs, auf der steht, was Ihnen wichtig ist. Vergleichen Sie damit Leistungen und Kosten. Überlegen Sie, was Sie tatsächlich brauchen.
4. Prüfen Sie den Miet- und Betreuungsvertrag. Ziehen Sie wenn möglich Kinder oder auch Freunde hinzu.
Mitglieder im Berliner Mieterverein, aber auch im Pflegeschutzbund BIVA, können den Vertrag von Fachanwälten prüfen lassen.
rm
www.biva.de/dokumente/broschueren/Checkliste_Betreutes_Wohnen.pdf
www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-144-wohnen-im-altenheim-und-betreutes-wohnen-rechtslage-und-checkliste-fuer-den-vertragsabschluss.htm
29.01.2021