Seit 1954 gibt es ein Gesetz, das es Vermietern verbietet, unangemessen hohe Mieten zu nehmen. Doch der § 5 Wirtschaftsstrafgesetz war nach einem Urteil des Bundesgerichtshof im Jahre 2004 faktisch tot. Die Chancen, dass die neue Bundesregierung das Gesetz nacharbeitet und damit wieder anwendbar macht, stehen schlecht.
Bis Ende der 1990er Jahre haben die Rechtsberater des Berliner Mietervereins Mietabsenkungen nach § 5 – umgangssprachlich fälschlicherweise auch Wucherparagraf genannt – ziemlich häufig durchgesetzt. Wann immer die ortsübliche Vergleichsmiete gemäß Mietspiegel um mehr als 20 Prozent überschritten war, wurde der Vermieter damit konfrontiert. Nach Verstreichen der gesetzten Frist konnte der Mieter Klage einreichen. Die ungerechtfertigt verlangte Miete musste dann zurückgezahlt werden. Parallel dazu konnten betroffene Mieter auch Anzeige beim Wohnungsamt erstatten. Nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz handelt nämlich ordnungswidrig, wer für die Vermietung von Wohnraum ein unangemessen hohes Entgelt fordert. Als solches gelten Mieten, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 20 Prozent übersteigen (bei Vorlegen einer Wirtschaftlichkeitsberechnung: 50 Prozent). Aber es gibt noch eine zweite, wichtige Voraussetzung: Der Vermieter muss das geringe Angebot an vergleichbarem Wohnraum ausgenutzt haben. Lange Zeit galt: In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt ist diese Bedingung automatisch erfüllt.
Auf zwei Voraussetzungen komme es an
Doch 2004 legte der Bundesgerichtshof (BGH) die Hürden so hoch, dass sich im Grunde kein Mieter mehr auf eine solche Mangellage auf dem Wohnungsmarkt berufen konnte. Denn diese müsste ursächlich sein für die Vereinbarung der überhöhten Miete (BGH vom 28. Januar 2004 – VIII ZR 190/03). Der Mieter müsse – so der BGH – nachweisen, welche Bemühungen er bei der Wohnungssuche unternommen hat und dass er mangels Alternativen auf die Anmietung der überteuerten Wohnung angewiesen war. Zudem müsse der Vermieter diese Zwangslage gekannt und ausgenutzt haben. Ein solcher Nachweis ist in der Praxis kaum möglich. Ein Jahr nach dem Richterspruch wurde zudem klargestellt, dass die Mangellage in der ganzen Stadt vorhanden sein muss.
Das Bundesland Bayern drängt seit Längerem schon auf eine Reform und hat 2019 im Bundesrat einen Gesetzentwurf zum besseren Schutz vor überhöhten Mietpreisen eingebracht. Nach diesem Entwurf soll nicht nur das Bußgeld von 50.000 auf 100.000 Euro erhöht, sondern auch das Tatbestandsmerkmal „Ausnutzung einer Zwangslage“ gestrichen werden.
Passiert ist seitdem jedoch nichts. „Damit steht ein wichtiges Steuerungsinstrument nach wie vor nicht zur Verfügung“, kritisiert Benjamin Raabe, Fachanwalt für Mietrecht: „Wenn man das Gesetz nachschärfen würde, bräuchte man keine Mietpreisbremse, die viele Ausnahmen hat und ohnehin nur bei Neuvermietung greift.“ Besonders effektiv sei zudem die öffentlich-rechtliche Funktion des Gesetzes. Ein Verstoß kann einfach beim Wohnungsamt angezeigt werden – für nicht rechtsschutzversicherte Mieter ein großer Vorteil.
Unterdessen sollte der Berliner Senat vielleicht einen Blick nach Frankfurt/Main werfen, wo man den engen rechtlichen Spielraum konsequent ausschöpft. Es gibt dort im Wohnungsamt eine Stelle, die sich darum kümmert, Verstöße gegen den § 5 als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen.
Frankfurt geht eigenen Weg
Eine Entscheidung des Frankfurter Oberlandesgerichts aus dem Jahre 2017 habe dort „eine kleine Tür geöffnet“, erklärt Conny Petzold vom Verein „Mieter helfen Mietern“ aus Frankfurt. Demnach spielt für die Auslegung des Tatbestands „Ausnutzen“ auch die Frage eine Rolle, wie hoch die Miete im Vergleich zu anderen Objekten ist. 100 bis 140 Vergleichsdaten schaut man sich dort an. Insgesamt werden aber nur wenige Mietpreisüberhöhungen vor Gericht gebracht. Das Amt versucht, im direkten Kontakt mit den Vermietern eine Absenkung der Miete durchzusetzen. Bei einer Überhöhung von über 50 Prozent wird nach § 291 Strafgesetzbuch an die Staatsanwaltschaft abgegeben.
Birgit Leiß
Zwilling im Strafgesetzbuch
Der eigentliche Mietwucherparagraf findet sich im Strafgesetzbuch. Nach § 291 wird mit Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die Willensschwäche eines anderen ausbeutet, indem er Wohnräume anbietet, die in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung stehen. Die Hürden an das Vorliegen einer Zwangslage sind also in diesem Paragrafen noch höher als beim § 5 des Wirtschaftstrafgesetzes. Eine Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete um mehr als 50 Prozent gilt lediglich als wichtiger Anhaltspunkt, der aber mit einem Gutachten überprüft werden muss.
bl
29.01.2022