Die GAGFAH, seit Sommer 2004 im Besitz der „Fortress Investment Group LLC“, führt das Wort „gemeinnützig“ im Namen. Das hindert sie allerdings nicht, einer 94-jährigen Mieterin fristlos zu kündigen.
Dora Dick wohnt seit 1946 in der Waldsiedlung Krumme Lanke in Zehlendorf, 1937 bis 1939 von der GAGFAH als „SS-Kameradschaftssiedlung“ gebaut. Nach Kriegsende standen die circa 700 Wohnungen zum großen Teil leer, weil die Bewohner geflüchtet waren. Auf Anordnung der Alliierten blieben die Häuser für Opfer des Naziterrors reserviert. Häftlinge aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern, Widerstandskämpfer, ausgebombte Gegner des Naziregimes, politische Emigranten und jüdische Illegale, die den Holocaust überlebt hatten, zogen hier ein – darunter auch Dora Dick. Sie war 1937 über Prag nach England emigriert und dort mit Oskar Kokoschka, Alfred Kerr, Stefan Zweig und anderen Antifaschisten Mitbegründerin der „Free German League of Culture in Great Britain“, der Keimzelle des später in Berlin gegründeten Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Ihre gesamte Familie wurde Opfer des Holocaust.
Nach dem Krieg engagierte sich Dora Dick für den Aufbau eines demokratischen Staates. Jetzt soll sie aus ihrer Wohnung, in der sie seit fast 59 Jahren wohnt, ausziehen. Die fristlose Kündigung, datiert vom 7. Januar 2005, erhielt Dora Dick am 17. Januar. Das Mietverhältnis wurde ihr zum 21. Januar 2005 gekündigt, ersatzweise fristgemäß zum 31. Oktober 2005. Als Begründung werden zwei Fälle von Ruhestörung angeführt. Dora Dick ist schwerhörig und verfügt nur noch über eine sehr schwache Sehfähigkeit. Nachts holt sie manchmal ihre Vergangenheit ein. Ihre Angstgefühle resultieren aus der Kriegszeit. Wenn sie aufwacht, telefoniert sie mit ihrem Sohn, um sich zu beruhigen – auf Grund ihrer Schwerhörigkeit wahrscheinlich etwas lauter als normal. Als ihre Nachbarin auf Grund vermeintlicher Schreie einmal voreilig die Feuerwehr holte, konstatierte die einen „Fehlalarm in gutem Glauben“ – auch das wird jetzt als Kündigungsgrund angeführt.
Ihr Sohn hat im Namen der Mutter Widerspruch gegen die Kündigung eingelegt und die Jüdische Gemeinde zu Berlin, den britischen Botschafter und den Landesvorstand Berlin der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ informiert. Eine Internet-Zeitung fordert inzwischen zu Protestschreiben an die GAGFAH auf. Zurzeit schreibt Antonín Dick an einem Buch über das Leben seiner Mutter. Der GAGFAH wird darin keine gute Rolle zukommen.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 3/05
Soll wegen Ruhestörung die Wohnung verlassen: GAGFAH-Mieterin Dora Dick
Foto: privat
26.04.2013