Berlin gilt vor allem wegen der vielen Wälder als eine grüne Stadt. In den innerstädtischen Kiezen und Straßen sind es die Grünanlagen, die Natur zwischen die Häuser und Autos bringen – und die Straßenbäume. Statistisch kommen in Berlin 80 Bäume auf einen Straßenkilometer, insgesamt 416.279 Bäume waren es Ende 2002. Diese leisten ganze Arbeit und sorgen für ein erträgliches Mikroklima. Sie tragen aber auch zu unserem Wohlgefühl und unserer Erholung bei. Bäume prägen das Straßenbild entscheidend mit. Nach einer Hochrechnung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklunng aus dem Jahr 2000 waren zwei Drittel der Baumkronen ungeschädigt oder wiesen nur leichte Schäden auf, insgesamt hatte sich die Vitalität der Bäume aber verschlechtert.
So ein typischer Berliner Straßenbaum wie die Linde oder der eher seltene Rotdorn haben es nicht leicht. Ihr sichtbarer Teil oberhalb des Bodens wird angefahren, als Toilette, Müllplatz oder Fahrradständer benutzt. Der Stamm dient dem Aushang öffentlicher Bekanntmachungen – von der Wohnungssuche bis zu entlaufenen Katzen. Im Geäst nisten sich Vögel ein. Der Baum muss die saure Luft aufnehmen und sie von vielerlei Schadstoffen und Schmutz reinigen. Manche gut gemeinte Pflege versetzt ihm große Wunden, die gar nicht mehr heilen wollen. Seine Äste werden gemäß dem Licht-Raum-Profil beschnitten: Bei Gehwegen muss bis 2,50 Meter Baumfreiheit herrschen, bei Parkstreifen bis 3 Meter, an einer Bundesstraße bis 4,50 Meter. Oft sind die Äste bis 6 Meter Höhe abgesägt. Der Baum hat sich dem Autoverkehr unterzuordnen. Durch enge Straßen pfeift der Wind und trocknet das kleine Erdreich aus.
Unter dem befestigten Straßenland geht es weiter. Die Baumwurzeln, so groß wie die Baumkrone, sind im Weg. Bei Tiefbauarbeiten wird manche Wurzel so stark beschädigt, dass der Baum nicht überlebt. Aus undichten Leitungen austretendes Gas ist eine andere Todesursache.
Nach dem Bericht 2000 der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist die Hälfte aller Baumkronen ungeschädigt, ein gutes Drittel weist leichte Schäden auf. Die Untersuchung ergab tendenziell eine Verschlechterung zu 1995, so in Charlottenburg und Tiergarten. Einzig in Friedrichshain zeigte sich eine „signifikante Baumzustandsverbesserung“.
Die meisten Bäume – wer hätte es anders erwartet – wachsen in den Straßen des Bezirks Steglitz-Zehlendorf: 63.000. Friedrichshain-Kreuzberg hat dagegen nur 14.000 Bäume in seinem Bestand. Erstaunlicherweise sind in beiden Bezirken mehr als 60 Prozent in einem guten Zustand.
Neupflanzungen verbessern die Bilanz
Die Pflege der Bäume liegt in der Zuständigkeit der Bezirke. Baustadtrat Franz Schulz aus Friedrichshain-Kreuzberg erklärt das herausragende Ergebnis mit der „Menge an überfälliger Instandsetzung des öffentlichen Straßenlandes in Friedrichshain“. Insbesondere die Sanierung alter Gehwege führt zur Pflanzung neuer, junger Bäume, „und die sind eben noch gesund.“
Auch in Hellersdorf wurde die Bilanz der Straßenbäume durch Jungbäume stark verbessert. In den 90ern pflanzten sowohl das Bezirksamt als auch Wohnungsbaugesellschaften speziell in den Plattenbaugebieten viele neue Bäume. Detlef Jenisch von der Hellersdorfer Grüninspektion befindet den gesundheitlichen Zustand, die Vitalität der Bäume aktuell als gut, denn „wir pflegen regelmäßig mit Fachleuten“. Eine „gleichbleibende Qualität der Bäume“ verzeichnet auch Hans-Gottfried Walter, zuständig für die Grünunterhaltung in Mitte. Er führt es darauf zurück, dass man mit gelernten Gärtnern arbeite und nur wenige Aufträge an Firmen vergebe, die oft mit angelernten Kräften arbeiten. Für Charlottenburg-Wilmersdorf bescheinigt Christoph Maasberg vom Grünflächenamt den Bäumen einen guten Zustand.
Die knappen Gelder für das Stadtgrün machen allen Bezirken zu schaffen. „Wir geben für die Pflege der Bäume mehr Geld aus als wir zur Verfügung haben“, resümiert Bernd Kanat, Leiter des Grünflächenamtes Neukölln. „Aber die Sicherheit der Bäume geht vor.“ Da werden dann Geldmittel innerhalb der Grünpflege umverteilt und Kinderspielplätze und Grünanlagen müssen zurückstehen. In Mitte sieht Hans Walter sich „personell am Limit“. Franz Schulz rechnet vor, dass sein Bezirk nur 30 bis 40 Prozent der erforderlichen Gelder zur Verfügung hat. In Friedrichshain-Kreuzberg werden inzwischen fast alle Arbeiten per Ausschreibung vergeben, „weil das viel billiger ist. Und wir sind zufrieden mit dem Ergebnis.“
Eine qualifizierte Pflege durch Fachkräfte bedeutet, dass im Abstand von wenigen Jahren jeder einzelne Baum betreut wird und dass möglichst auf großräumige Schnitte verzichtet wird. Denn „je nachdem, wie groß die Wunde ist, wird der Baum anfälliger für Krankheiten und damit pflegeintensiver“, begründet Detlef Jenisch sein nachhaltiges Pflegekonzept. D. Lohner vom „Bund für Umwelt und Naturschutz“ (BUND) appelliert gegen radikale Eingriffe und gegen die Tendenz zum schnellen Fällen von Bäumen. „Der ökologische Wert der Stadtbäume liegt in ihrem Alter!“
Wichtig für die Bäume ist das Wasser. Vor allem durch die Blätter und Wurzeln wird die Flüssignahrung aufgenommen. Da bis auf die Baumscheibe in der Regel die Umgebung versiegelt ist, bringen trockene Sommer unverhältnismäßig große Probleme. Sie schwächen den gesamten Baumbestand.
Seit einigen Jahren kümmern sich Bürger vermehrt selbst um den Bestand an Straßenbäumen. Ob die zusammengestrichenen Mittel zur Pflege der entscheidende Grund sind oder der Überdruss mit dem Hundekot – Anwohner begannen mit der Baumscheibenbepflanzung. Die Baumscheibe ist das Erdreich rund um den Baum. Bunt Blühendes sieht nicht nur hübsch aus, die Bepflanzung zeigt auch andere positive Wirkung: Hier landen weniger Müll und weniger Hundehinterlassenschaften. Und wenn es richtig gemacht wird, dann bekommt der Baum mehr Wasser.
Bürgerengagement willkommen
Eine falsche Bepflanzung dagegen kann den Baum schädigen. So saugen eingesetzte Gehölze viel Wasser aus dem Boden und entziehen es damit dem Baum. Auf keinen Fall sollte die Erde tief umgegraben werden, weil dies die Kapillarwurzeln zerstört, über die der Baum Wasser aufnimmt. Die Konferenz aller Berliner Gartenamtsleiter erarbeitet aktuell ein Merkblatt zur Baumscheibenbepflanzung. Ab dem Frühjahr wird es in den Bürgerbüros und Tiefbauämtern der Bezirke ausliegen. Anfangs sahen einige Tiefbauämter die Blümchen und Zäunchen um die Bäume sehr skeptisch. Inzwischen wird auf diese ehrenamtliche Bereitschaft gesetzt und um Baumpatenschaften geworben.
Wer ehrenamtlich „seinen“ Baum vor der Haustür pflegen möchte, kann sich beim Bezirksamt melden. Dort wird eine Einweisung in die Pflege erteilt.
Im Spätsommer wird die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung turnusmäßig wieder die Straßenbäume der Innenstadtbezirke durch Stichproben auf ihre Vitalität untersuchen. Dazu werden Colorinfrarot-Luftbilder aufgenommen, interpretiert und auf den gesamten Bestand der Straßenbäume hochgerechnet. Die Bewertung der Bäume ausschließlich über die Schadhaftigkeit der Kronen hat allerdings ihre Schwachpunkte. Die Krone kann hervorragend aussehen, obwohl der Wurzelbereich krank ist oder der Stamm bereits am Wurzelhals zu verrotten beginnt.
Clara Luckmann
MieterMagazin 3/05
„Gleichbleibende Qualität“: Straßenbäume am Weinbergsweg in Mitte
Foto: Rolf Schulten
Im Trend: von Anwohnern bepflanzte und betreute Baumscheiben am Straßenrand
Foto: Volker Wartmann
Die Mittel für die Baumpflege sind zu knapp: Straßenbäume auf der Schönhauser Allee
Foto: Rolf Schulten
04.08.2013