Noch nie war es in Berlin so lukrativ wie heute, umzuziehen. Man muss sich nur von der Vorstellung einer trendigen Altbauwohnung im Szenebezirk trennen. Denn in weniger beliebten Kiezen werden Neumieter seit einiger Zeit mit Geschenken belohnt. Fahrräder, Einbauküchen, Kinokarten und ganze Wohnungen gibt es für einen bestimmten Zeitraum umsonst oder zu deutlich reduzierten Preisen.
Er sieht sympathisch aus, dieser propere kleine Junge mit dem spitzbübischen Lächeln. „Ich bin ein Zechpreller! Denn ich bezahle keine Miete für mein Kinderzimmer“, lässt er den Betrachter des Werbeflyers wissen, auf dem er abgebildet ist. Der so genannte Zechpreller-Bonus für Nesthäkchen ist eines von vielen Lockangeboten der „Stadt und Land“. Familien und allein Erziehenden soll damit die Entscheidung für eine Drei- beziehungsweise Vierzimmerwohnung in Altglienicke, Hellersdorf oder Neukölln leichter gemacht werden. Drei Jahre lang zahlen sie keine Nettokaltmiete auf die Quadratmeter des Kinderzimmers. Auch Senioren werden von Stadt und Land umworben. Familien, die Oma und Opa ganz in ihrer Nähe haben möchten, mieten zwei Wohnungen, zahlen aber nur eine. Für die zweite fallen lediglich die Betriebskosten an. Arbeitnehmer benachbarter Betriebe erhalten nach dem Motto „Wohn-Power statt Rush-Hour“ ein Fahrrad im Wert von 300 Euro gratis zum Mietvertrag. Und auch Sportler oder solche, die es werden wollen, kommen nicht zu kurz. Als Ausgleich für den Einzug in eine höher gelegene Wohnung in einem Haus ohne Aufzug gibt es den Treppenstepper-Bonus. Dahinter verbirgt sich ein kostenloser Jahresvertrag mit einem Fitnessstudio.
Sämtliche Angebote gelten allerdings nur für ausgewählte Wohnungen in bestimmten Gegenden, meist in Hellersdorf oder Neukölln. Dort, wo viele erst gar nicht hinziehen wollen, stehen eine Menge Wohnungen leer. Stadt und Land verzeichnet seit Jahren eine stetig steigende Leerstandsquote. Im Jahr 2000 lag diese noch bei 8,5 Prozent, 2004 waren es bereits 10,2 Prozent. Damit liegt das Wohnungsunternehmen deutlich über der Gesamt-Berliner Quote von derzeit 5,5 Prozent. In Ost-Berlin sind es im Durchschnitt 6,8 Prozent. Tendenz: steigend.
Deshalb versuchen einige Berliner Wohnungsunternehmen dem Leerstand entgegenzusteuern. „Sicherlich müssen wir wirtschaftlich arbeiten und haben eigentlich nichts zu verschenken. Aber gewisse Bestände zu bewerben, macht einfach Sinn. Das sind Wohnungen mit kleinen Handicaps, zum Beispiel ohne Balkon oder mit einem gefangenen Zimmer“, sagt die Sprecherin von Stadt und Land, Dagmar Neidigk.
Wartelisten bei Studenten
Die Aktionen werden gut angenommen, für Studentenwohnungen ab 50 Euro Kaltmiete existieren wegen der hohen Nachfrage mittlerweile sogar Wartelisten.
Mit ihren Gratisangeboten ist Stadt und Land in guter Gesellschaft. Ende des vergangenen Jahres warb die Wohnungsgenossenschaft Fortuna mit dem Slogan „Mietfrei bis Ostern“. Sechs Monate lang sollte man für Vierzimmerwohnungen in Marzahn nur die Betriebskosten und Genossenschaftsanteile zahlen, bevor die reguläre Miete fällig wird. Obendrauf gibt es die „Fortuna ServiceCard“, mit der sich täglich Geld sparen lässt. Vor fünf Jahren wurde die Plastik-Chipkarte an die Mieter verteilt und ist seither ein Selbstläufer. So ziemlich jedes Geschäft in der Nähe von Fortuna-Häusern gewährt beim Vorzeigen der ServiceCard entweder einen Sofort-Rabatt oder eine Gutschrift, die auf der Karte gespeichert und später mit der Miete verrechnet werden. Rabatte von bis zu zehn, in Einzelfällen sogar 15 Prozent geben Autohändler, Optiker, Baumärkte, Bestatter, Fahrradhändler, Friseure, Kosmetiker, Geschenkartikelläden, Bekleidungs- und Möbelhäuser, Orthopäden, Reisebüros, Theater, Spielwarenläden, Reinigungen und so weiter. Die Liste ist schier endlos. 70 Prozent der 4300 Fortuna-Mieter nutzen die Karte beim täglichen Einkauf. Manche Angebote werden dabei mehr geschätzt, andere weniger. „Beim Autokauf haben wir kaum Resonanz. Apotheken, Parfümerien, Baumärkte und Autoreparaturwerkstätten sind dagegen die Renner. Klar vorn liegt auch der Tank-Rabatt von einem dreiviertel Cent pro getanktem Liter“, weiß Heike Vierck, Öffentlichkeitsarbeiterin bei Fortuna. Die ServiceCard verstehe ihr Unternehmen jedoch eher als ein Mittel der Mieterbindung und weniger der Neumieterwerbung. Unabhängig davon lässt es sich Fortuna nicht nehmen, für den Umzug in eine ihrer Vierzimmerwohnungen eine Umzugspauschale von bis zu 1000 Euro zu erstatten und Mietern, die neue Mieter werben, zwischen 125 und 375 Euro gutzuschreiben – je nach Größe der neu vermieteten Wohnung.
Ganz so üppig sind die „Mieter werben Mieter“-Prämien bei der städtischen Degewo nicht. Immerhin werden aber bis zu 250 Euro geboten. Auf diese Weise ist seit Ende der 90er Jahre eine dreistellige Zahl an neuen Mietverträgen abgeschlossen worden. Viel erfolgreicher sind allerdings die Sonderaktionen der zur Degewo-Gruppe gehörenden Wohnungsbaugesellschaft Marzahn. Diese spendiert bei bestimmten Wohnungen in Marzahner Hochhäusern 20 Quadratmeter. Mietet man zum Beispiel eine 90 Quadratmeter große Wohnung, wird nur eine Nettokaltmiete für 70 Quadratmeter berechnet. Der Vermieter garantiert eine 36-monatige Mietfestschreibung für diese Nettokaltmiete. Und weil das Ganze gut läuft, wurde vor kurzem eine ähnliche Aktion mit dem Titel „30 Prozent mehr Wohnung“ ins Leben gerufen. Außerdem wird ein Familienrabatt für langjährige Mieter eingeräumt, die ihre Kinder, Eltern oder Geschwister überzeugen können, ebenfalls Mieter der WBG Marzahn zu werden. Der Stamm-Mieter bekommt jeden Monat pro Quadratmeter 50 Cent seiner Miete erlassen und das, so lange der Anverwandte bei der WBG wohnen bleibt. Bei einer 60 Quadratmeter großen Wohnung sind das 360 Euro Mietersparnis pro Jahr.
„Lockangebote wie diese können eine gute Sache sein, solange man sich bewusst ist, worauf man sich einlässt. Stark beworbene Wohnungen haben meist einen Haken. Man sollte deshalb genau hinterfragen, warum die Konditionen so günstig sind und sich nicht von jedem Schnäppchen blenden lassen“, rät Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins.
Beworbene Wohnungen haben meist einen Haken
Auch verschiedene Berliner Wohnungsunternehmen stehen Lockangeboten kritisch gegenüber. „Für uns kommt es nicht in Frage, mehrere Monate auf die Miete zu verzichten. Wir überzeugen mit unseren Wohnungen und unserem guten Service. Sonderaktionen gibt es höchstens für eine kurze Zeit und bestimmte Zielgruppen. Dann handelt es sich aber eher um einen bescheidenen Willkommensgruß und nicht um protzige Rabatte“, erklärt Gewobag-Sprecher Volker Hartig auf Nachfrage. Auch bei der IHZ hält man nicht viel von den Sonderkonditionen. „Wir starten generell keine Werbeaktionen. Unsere Wohnungen befinden sich in guten Lagen. Deshalb können wir sie auf dem üblichen Weg vermieten“, sagt IHZ-Sprecherin Martina Kubisch.
Dieter Blümmel, Pressesprecher von „Haus & Grund“, findet die neue Entwicklung durchaus legitim: „Wir haben 150.000 leer stehende Wohnungen in Berlin. Wer seinen Leerstand verringern will, muss sich eben etwas einfallen lassen. Für Unentschlossene geben diese Aktionen unter Umständen den Ausschlag, eine Wohnung zu mieten.“
Grund genug für Mitbewerber, ihren Erfindungsreichtum mit weiteren Werbeclous unter Beweis zu stellen. So hatte die Wohnungsbaugenossenschaft Humboldt-Universität die Idee, ein Jahr lang die Kita-Kosten für die lieben Kleinen der neuen Mieter zu übernehmen. Aufsehen erregte ebenfalls die „Aktion Nestbau“ der Wohnungsgenossenschaft „Grüne Mitte“ Hellersdorf. Junge Paare, die ihre Wohnung selbst renovieren, zahlen ein Jahr lang nur die Betriebskosten. Vorstand Andrej Eckhardt hat jetzt noch einen draufgesetzt: „Auf die ,Aktion Nestbau‘ folgt die ,Aktion Liebesnest‘. Allen Nestbau-Paaren, die Nachwuchs bekommen, pflanzen wir vor dem Haus einen Baum und versehen ihn mit dem Namen des Kindes.“ Gratis, versteht sich.
Sandra Klose
MieterMagazin 3/06
‚Zechpreller-Bonus‘: Familie Beumichen aus Alt-Glienicke zahlt bei „Stadt und Land“ drei Jahre lang keine Miete für das Kinderzimmer
alle Fotos:Rolf Schulten
15 Prozent Rabatt bei Händlern und Dienstleistern: die Servicekarte der Genossenschaft Fortuna
Baby-Bäume: Für jedes Neugeborene pflanzt die „Grüne Mitte“ einen Baum
Kein Berliner Phänomen
Lange bevor die Berliner Wohnungsunternehmen ihre Gratis-Offensive starteten, haben andere Städte potenzielle Mieter bereits erfindungsreich umworben. 2001 sorgten Leipziger Vermieter landesweit für Schlagzeilen, weil sie Neumietern Mallorca-Reisen zum Einzug schenkten. Und auch heute noch wird in Leipzig nicht gekleckert, sondern geklotzt. Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft lädt Paare zum einjährigen Mietjubiläum für ein Deluxe-Wochenende auf Schloss Schkopau ein. Nachwuchs belohnt die Wohnungsgesellschaft gar mit einem Zweijahres-Abo Markenwindeln.
Auch in Frankfurt/Oder ist die Verzweiflung der Vermieter groß. Hier fragte man vor gut zwei Jahren sogar beim Potsdamer Innenministerium an, ob potenzielle Mieter aus dem Nachbarland Polen ohne Arbeitsgenehmigung in Deutschland leben können. Die Antwort war positiv, die deutschen Mieten jedoch viel zu hoch für die niedrigen Löhne der Polen.Selbst in westdeutschen Städten stehen immer mehr Wohnungen leer. Gerade endete eine Aktion der Wilhelmshavener Wohnungsbaugesellschaft „Jade“: 99 Wohnungen für 99 Euro Kaltmiete.
san
21.12.2016