Schon länger hatte Ruth Müller* aus Spandau den Verdacht, dass ihre Dachgeschosswohnung kleiner ist als im Mietvertrag angegeben. Die Vermessung durch einen Architekten bestätigte das: Statt 100 waren es lediglich 90,57 Quadratmeter. Bis vor Kurzem hätte Mieterin Müller nun von ihrem Vermieter verlangen können, dass er ihr die zu viel gezahlten Nebenkosten zurückerstattet. Doch damit ist nach einer neuen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) Schluss. Abweichungen von weniger als zehn Prozent, so befand das Gericht, spielen keine Rolle.
Für die Berechnung der Nebenkosten ist die vertraglich vereinbarte Quadratmeterzahl maßgeblich, so das Gericht (VIII ZR 261/06, BGH vom 31. Oktober 2007, WuM 07, Seite 700). Erst bei einer Abweichung von mehr als zehn Prozent muss die Kostenabrechnung geändert werden. Der Deutsche Mieterbund (DMB) kritisierte das Urteil als falsch und forderte eine Korrektur. „Das führt dazu, dass die Abrechnung im Hinblick auf die Gesamtfläche nicht mehr plausibel ist“, gibt auch der Rechtsexperte des Berliner Mietervereins (BMV), Frank Maciejewski, zu bedenken. Bis auf Weiteres ist die Entscheidung des höchsten Gerichts jedoch bindend für alle Auseinandersetzungen. Für den Mieter bedeutet dies: Nur wenn die festgestellte Abweichung größer als zehn Prozent ist, kann er etwas unternehmen. Nach wie vor gilt, dass in diesem Fall auch die Miete gemindert und die in der Vergangenheit zu viel gezahlte Miete zurückgefordert werden kann. Hat eine Wohnung beispielsweise statt 100 nur 85 Quadratmeter, kann die Miete um 15 Prozent gekürzt werden.
Vorsicht bei Dachwohnungen
Ruth Müller vermutet, dass ihr Vermieter bewusst ganz knapp unter den zehn Prozent geblieben ist: „Er ist Bauingenieur, er hat das garantiert gewusst.“ In der Regel steckt jedoch ein laxer Umgang mit dem Berechnungsverfahren dahinter. Häufig werden beispielsweise bei Neubauten die Flächen einfach anhand der Bauskizzen berechnet, ohne ein sogenanntes Aufmaß zu nehmen. Das Unternehmen „Dekra Real Estate“ hat unlängst bei einer Kontrolle festgestellt, dass bei mehr als 80 Prozent der Wohnungen und Büros die Wohnfläche falsch angegeben war. Allerdings wurden bei dieser Untersuchung auch geringfügige Unterschreitungen erfasst. „Extrem viel Abweichungen gibt es bei Dachgeschoss- und Maisonettewohnungen“, so die Erfahrung von Hans-Jörg Maier. Der Architekt, der für Mitglieder des BMV Gutachten zur Wohnfläche erstellt, hat es vor allem mit kniffligen Fällen zu tun, etwa Wohnungen mit vielen Schrägen und Treppen. Auch die Anrechnung von Wintergärten oder Abstellräumen führt häufig zum Streit. Auf etwa 30 Prozent schätzt Maier die Fehlerquote. Sein Tipp: Jeder Mieter sollte zuerst selber mit einem Zollstock grob vermessen. Ergeben sich Anhaltspunkte für Fehler, lohnt es sich, einen Fachmann einzuschalten. Die Vermessung einer Zweizimmerwohnung mit einem Lasergerät kostet 130 Euro, bei Dachgeschossen ist ein Aufschlag von 30 Prozent fällig (mehr zu diesem Service finden Sie auf Seite 33 dieser Ausgabe des MieterMagazin).
Ein Service, der sich häufig rechnet
Für Karin Lehmann* hat sich diese Investition gelohnt. Wohnflächenvermesser Hans-Jörg Maier kam beim Ausmessen ihrer Dachgeschosswohnung lediglich auf 66,94 Quadratmeter statt der im Mietvertrag angegebenen 84 Quadratmeter. „Damit weicht die tatsächliche Fläche um mehr als zehn Prozent ab – das gilt als Mangel, und die Mieterin ist zur Mietminderung berechtigt“, erklärt BMV-Rechtsberater Volker Hegemann. Außerdem ist der Vermieter verpflichtet, die in der Vergangenheit zuviel gezahlte Miete zurückzuzahlen. Dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob im Mietvertrag Formulierungen stehen wie „Die Wohnfläche wird mit circa 84 Quadratmeter vereinbart.“ Der Vermieter von Frau Lehmann bot an, die Miete ab sofort um zehn Prozent zu reduzieren. Eine Rückerstattung aus den vergangenen Jahren lehnte er jedoch ab. Er sei finanziell dazu nicht in der Lage, die Wohnung werde für ihn zum Verlustgeschäft, erklärte er. Karin Lehmann ließ sich nicht beeindrucken. Durch die ihr zustehende Herabsetzung ihrer Miete spart sie jetzt immerhin jährlich 429 Euro.
Mietspiegelfeld prüfen
Um ganz andere Summen geht es bei Willi Schwarz*. Über 15.000 Euro fordert er von seinem Vermieter zurück, weil seine Neubauwohnung statt 120 gerade mal 82 Quadratmeter groß ist. „Ich hatte schon lange Zweifel, dass das nicht stimmen kann, alle Wohnungen in unserer Siedlung sind falsch vermessen“, so der Mieter. Hauptfehlerquelle ist in diesem Fall, dass die Deckenhöhe im oberen Geschoss nur 2,25 Meter beträgt und dieses somit nicht zur anrechenbaren Wohnfläche zählt. „Das ist meinem Vermieter seit Jahren bekannt, schließlich hat er selber mehrere Gutachten in Auftrag gegeben, ohne uns das Ergebnis mitzuteilen“, empört sich Willi Schwarz. Während er von „arglistiger Täuschung“ spricht, weist die Hausverwaltung seine Ansprüche mit einer dreisten Argumentation zurück: „Der Mieter hätte von Anfang an merken müssen, dass die Wohnung wesentlich kleiner ist, gleichwohl hat er sie angemietet und den Mangel erst Jahre später gerügt.“ Daher, so die eigenwillige Rechtsauffassung des Vermieters, sei keine Mietminderung möglich. Der Anwalt des Mieters entgegnete: „Von grober Fahrlässigkeit im Sinne des Paragraphen 536 b BGB mit der Folge des Forderungsverlustes kann keine Rede sein, schließlich hat sich mein Mandant von Anfang an um Klärung bemüht.“ Der Rechtsstreit wird demnächst vor Gericht verhandelt. Das Problem in diesem Fall: Willi Schwarz ist nicht rechtsschutzversichert, daher ist die Klage nicht ohne Risiko (siehe auch Kasten: „Auf den Rechtsschutz kommt es an“). Derweil legt sein Vermieter bei jeder neuen Nebenkostenabrechnung wieder die falsche Wohnfläche zugrunde, obwohl die Abweichung um fast 40 Quadratmeter unstrittig ist. BMV-Rechtsberaterin Marlies Lau rechnet Jahr für Jahr die zuviel angesetzten Kosten heraus und der Mieter verrechnet das Guthaben mit der laufenden Miete. Auch bei Mieterhöhungen wird stets auf die falsche Wohnfläche Bezug genommen. „Hier sollten Mieter generell aufpassen, ob die Wohnung wegen der falschen Quadratmeterzahl nicht in ein anderes Mietspiegelfeld fällt“, empfiehlt Marlies Lau.
Birgit Leiß
* Name von der Redaktion geändert.
MieterMagazin 3/08
Laut „Dekra“ sind vier von fünf Flächen falsch vermessen
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Im Fall von Dachschrägen, Balkonen und niedrigen Decken tauchen häufig Berechnungsfehler beim Ausmessen auf
In kniffligen Fragen lohnt es sich, den Experten zu Rate zu ziehen: BMV-Gutachter Hans-Jörg Maier
Rechtsschutz
Auf den Rechtsschutz kommt es an
Nur Mieter, die bereits vor Abschluss des Mietvertrages drei Monate Mitglied im Berliner Mieterverein waren, genießen im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung um die Wohnfläche Rechtsschutz. Hintergrund: Eine falsche Wohnfläche gilt mietrechtlich als Mangel, der Versicherungsfall tritt mit Beginn des Mietverhältnisses ein. Die Prozesskostenversicherung kann aber erst drei Monate nach Beitritt zum Berliner Mieterverein in Anspruch genommen werden. Unabhängig davon werden natürlich alle Mitglieder des Berliner Mietervereins beraten, und es wird der Schriftverkehr übernommen.
bl
Wissenswertes
Wie wird die Wohnfläche gemessen?
Es gibt zwei Arten der Wohnflächenberechnung: die Zweite Berechnungsverordnung (II. BV) und die Wohnflächenverordnung (WoFIV), die zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist. In den meisten Fällen ist die alte II. BV anwendbar, es sei denn, es wurde mietvertraglich etwas anderes vereinbart. Die Unterschiede sind nicht sehr groß, im Wesentlichen geht es um die unterschiedliche Berechnung von Wohnflächen im Fall von Balkonen. So wird der Balkon in der WoFIV grundsätzlich mit einem Viertel berechnet, nur bei besonders großem Wohnwert mit der Hälfte. In der II. BV werden nicht beheizbare Balkone, Loggien und Dachgärten dagegen immer halb angerechnet. Außerdem ist in der WoFIV ein genereller Abzug für Putz nicht mehr vorgesehen. Zulässig ist nur noch die Berechnung nach dem „lichten Maß“ zwischen den Bauteilen.
bl
02.06.2018