Vor 20 Jahren, im Januar 1988, begann im Westteil des geteilten Berlin die Ära des „Weißen Kreises“. Der vorherige schwarze Kreis West-Berlin, die letzte Bastion einer – nach offizieller Lesart – nachkriegsbedingten Zwangswirtschaft im Wohnungssektor, war geschliffen. Das MieterMagazin kommentierte mit trauerndem Unterton: „Fast auf den Tag genau 70 Jahre alt, ein Menschenleben also, wurde die Mietpreisbindung in Berlin zu Grabe getragen.“ Zwei Seiten, zwei Sprachregelungen. Für die einen ein überkommenes Stück marktfeindlicher Wohnungszwangswirtschaft, für die anderen ein wichtiges Stück Sozialstaat. Der Fall selbst, seine Vorgeschichte und seine Nachwirkungen sind ein spannendes Kapitel Berliner Wirtschaftsgeschichte, für den Berliner Mieterverein ist es ein memorables Fragment der Vereinshistorie und für das MieterMagazin eine wichtige Episode hauseigener Zeit- und Zeitungsgeschichte. Zeit für eine Bilanz.
Wir schreiben den Sommer 1987. Das „Gesetz über die dauerhafte soziale Verbesserung der Wohnungssituation in Berlin“ wird am 25. Juni 1987 in einer abschließenden Lesung des Deutschen Bundestages beschlossen. In dieser aufgehübschten Verpackung verbirgt sich die Aufhebung der Mietpreisbindung im West-Berliner Altbau. An ihre Stelle wird ab Januar 1988 eine spezielle Variante des Übergangs in das Vergleichsmietensystem in Kraft treten, die der schwarzen Stadt- und Bundesregierung in einer beispiellosen Kampagne abgerungen wurde. Beim Schlussakt dieses langen Abschieds dankt der damalige Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) dem Berliner Mieterverein öffentlich für die „gewährte Unterstützung“ bei seinen Vorstößen in Bonn, um den Kompromiss zu ermöglichen. Politik hat bekanntlich ihre eigene Logik. Die kurz vorher als „Panikmacher und Volksverdummer“ – so der damalige Bausenator Klaus Franke – beschimpfte Mieterorganisation wird damit unverhofft zum Helfer geadelt. Dem vorangegangen war die Sammlung einer halben Million Unterschriften, zusammengetragen bei einer Aktion, die man getrost als die letzte wohnungspolitische Großkampagne in Berlin bezeichnen kann. Der regierenden CDU nutzt der mit dieser Mobilisierung erzwungene Schwenk wenig, denn die SPD mit ihrem „Kampagnero“ und späteren Bausenator Wolfgang Nagel und die Alternative Liste schwimmen auf der Protestwelle gegen den Weißen Kreis kurz vor Mauerfall ihrem rot-grünen Wahlsieg 1989 entgegen.
Zum Zeitpunkt der rot-grünen Koalition war das Kapitel Mietpreisbindung in West-Berlin bereits endgültig abgeschlossen. Aber wie kaum ein anderes Thema der Berliner Wohnungspolitik hat es Politik-, Zeitungs- und Vereinsgeschichte geschrieben. Verständlich wird die durchschlagende Mobilisierung rückschauend nur für den, der weiß, dass Altbauwohnungen, die vor 1949 gebaut wurden, sich über Jahrzehnte zum eigentlichen sozialen Wohnungsbau West-Berlins entwickelt hatten. Während die freifinanzierten Neubaumieten 1980 als längst preisfreie Flecken bei 7,07 DM lagen und damit bundesweites Spitzenniveau aufwiesen, lagen die Sozialmieten des öffentlich geförderten Wohnungsbaus in Berlin bei 5,13 DM. Die damalige Durchschnittsmiete von 3,81 DM war ausschließlich dem in seiner Miethöhe staatlich gekappten Altbau geschuldet, der rund die Hälfte des Wohnungsangebots bestimmte. Damit waren die Altbaumieten die sozialpolitisch relevante Größe in der Inselstadt, die mit niedrigem Einkommensniveau, hohen Studentenanteilen und schlechten Wirtschaftsdaten am Dauertropf bundesdeutscher Subventionszufuhr hing.
Frontstadtpolitik im Kalten Krieg
Der ausgeglichene Wohnungsmarkt als Voraussetzung des Weißen Kreises ließ in der Frontstadt Berlin auch Ende der 80er Jahre noch lange auf sich warten. Nachdem Hamburg und München als letzte bundesdeutsche Städte 1974 und 1975 zu Weißen Kreisen wurden, entspann sich an der Spree ein verbissener Kampf um die Preisbindung im Altbau. Schließlich war das Wohnungsangebot in Berlin erst durch Kriegszerstörung, dann durch Flächensanierung, autogerechte Planung und geringe Neubauraten ausgedünnt und weit entfernt von einem Marktausgleich zwischen Nachfrage und Angebot.
Der Zweite Weltkrieg hatte die Hauptstadt zu jenem „Schutthaufen bei Potsdam“ (Bertolt Brecht) gemacht, in dem ein Drittel aller Wohnungen unbewohnbar war. Der Wiederaufbau begann, die Trümmerfrauen machten den Anfang, und die wohnungspolitische Devise war von nun an: Bauen, bauen, bauen. Bis zum Ausgleich des gravierenden Mangels musste man jedoch auf jene Schutzgesetze zurückgreifen, die bereits in der Zeit des Ersten Weltkrieges geboren und in der Weimarer Republik befestigt wurden. Sie sollten die Mieter vor der Ausnutzung von Mangellagen schützen. Zusätzlich zum Kündigungsschutz und staatlich verordneten Mietpreisregelungen schuf man im Juni 1945 ein einheitliches Unterbringungsverfahren für die noch intakten knappen Unterkünfte. In zehn Monaten waren 421000 vorläufige Einweisungen das Ergebnis. Flankierend wurde der Wohnungsbau über Bau-Notabgaben und zinsvergünstigte staatliche Kredite angekurbelt. Es waren vor allem die – auch bei den Mietern ungeliebten – Zwangseinweisungen, die in den folgenden Nachkriegsjahrzehnten propagandistisch mit anderen Schutzrechten der Mieter in einen Topf geworfen wurden und als unseliges Erbe einer kriegsbedingten Wohnungszwangswirtschaft auf der Abschussliste der Marktwirtschaftsbefürworter landeten. Der somit unzulässig mit Zwangswirtschaft vermischte Mieterschutz wurde von nun an zum Spielball eines bis heute dauernden ordnungspolitischen Grundsatzstreits über die Fragen: Wohnungsmarktwirtschaft: ja oder nein – wieviel Staat, wieviel Schutzbestimmungen sind mit Marktregeln verträglich? Fest steht, dass ausgerechnet das Zusammenspiel von staatlicher Kreditvergabe, Mietpreisbindung und Subventionierung einen erheblichen Beitrag zu dem geleistet hat, was später als der kurze Traum der immerwährenden Prosperität im Wirtschaftswunderdeutschland in die Geschichte einging.
Dennoch kam es wie beim Lücke-Plan und dem System der Kündigung zur Änderung des Mietzinses 1960 zu Entgleisungen in frühliberale Verhältnisse, die in der Folgezeit vor allem durch die sozialliberale Koalition korrigiert und durch einen dauerhaften Kündigungsschutz ersetzt wurden. Anders als beim Kündigungsschutz war allerdings beim Mietpreisrecht der Burgfrieden zwischen Mietern und Vermietern nicht von Dauer. Die Erwartung, dass bis Ende der 60er Jahre die Mangellagen in den westdeutschen Großstädten beseitigt seien, führte zur Verbreitung des Vergleichsmietensystems, das bis 1975 in allen deutschen Städten eingeführt war – mit Ausnahme der Mauerstadt Berlin-West.
Von Schwarz zu Rosa
Hier herrschten durch Kalten Krieg, „Schaufenster-des-Westens-Politik“ und Insellage andere Regeln und Verhältnisse. Bereits Ende der 70er Jahre, erst recht aber in den 80ern war daher die Mieten- und Baupolitik immer Chefsache. Für die Abschaffung der Mietpreisbindung wurden zwischen Inselstadt und Bund immer wieder Schonfristen ausgehandelt. Die Einräumung neuer Fristen wurde jeweils von verordneten Mieterhöhungen begleitet, die den Abstand zwischen den Berliner und den bundesdeutschen Mieten zunehmend verringerten. Mietpreisbindung bedeutete schon deshalb keineswegs Mietenstopp. Mitte der 80er Jahre rückte dann das Ende der Schutzvorschriften in greifbare Nähe. Allerdings wich der ursprünglich angekündigte „kompromisslose Einstieg in den Mietenfreihandel“ (MieterMagazin) im Frühjahr 1987 veränderten Vorstellungen. Auch den Schwarzen war der Weiße Kreis zunehmend suspekt geworden. Der Jungunionist und aus dem sanierungsgeplagten Kreuzberg stammende Abgeordnete Otto Pöppelmeier sah – angetrieben durch Bürgerbegehren und Massenmobilisierung – plötzlich Schwachstellen bei der Aufhebung der Mietpreisbindung. Es war eine Sicht, die in seine Partei hineinwirkte. Als besonders problematisch wurde die völlige Freigabe der Neuabschlussmieten gesehen. Über veränderte Regelungen wurde nun auch in der Union laut nachgedacht. Der damalige Bausenator Georg Wittwer taufte den schließlich Kontur gewinnenden Kompromiss zwischen schwarz und weiß in verwirrender Farbsicht „Rosa Kreis“. Als wäre es ein allgemeines Ansinnen, grauen Mieteralltag durch Farbe aufzumöbeln, erschien das MieterMagazin ab März 1987 mit farbigen Titeln – im April und im Mai jeweils zum Thema Weißer Kreis. Lea Rosh, Otto Sander und andere Prominente warben für die Beibehaltung der Mietpreisbindung. Es sollte nicht die letzte Nummer zu diesem Thema sein. Zahlreiche Großaktionen wie „Berlin wird helle“ – eine nächtliche Dia-Show gegen den Weißen Kreis, verhalfen dem Thema zu immer neuen Schlagzeilen, die es bis in die Tagesschau schafften.
Dennoch war das Ende der Preisbindung besiegelt. Bereits in der Juli-August-Ausgabe 1987 betitelte das MieterMagazin den nunmehr beschlossenen Übergang in den Weißen Kreis als inhaltsloses „Ei des Kolumbus“ und stellte nach dem Ergebnis der letzten Lesung im Bundestag die Diagnose Exitus. Aus dem für tot Erklärten war allerdings wie Phönix aus der Asche eine juristische Synthese geworden, die fatal viele Züge des Totgesagten ins zweite Leben hinüber rettete. Das Kernstück des 1987 erkämpften Kompromisses war ein verbindlicher Mietspiegel, der auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Erhebung noch preisgebundenen Altbaumieten erstellt wurde. Zweiter Eckpfeiler des Kompromisses war, dass bei Mietvertragsneuabschlüssen eine Kappungsgrenze von maximal zehn Prozent über der bis dahin preisrechtlich zulässigen Miete eingeführt wurde. Mieterhöhungen in bestehenden Mietverhältnissen durften in drei Jahren 15 Prozent nicht überschreiten. In einer aufwendigen Aktion schaffte es der Berliner Mieterverein (BMV) in der Folgezeit sogar, einen kompletten Entwurf des Berliner Altbaumietspiegels auf der Basis von selbst erhobenen Mietdaten in die Verhandlungsrunde zu werfen. Der dann ausgehandelte Kompromiss war allerdings für die einzelnen Regelungen zeitlich begrenzt. Als erstes sollte die Kappungsgrenze für Neuvermietungsmieten fallen. Insgesamt aber sei das Ergebnis „ein Instrument zur Schadensbegrenzung“, kommentierte damals der Hauptgeschäftsführer des BMV, Hartmann Vetter.
Der Blick zurück – mit Abstand
Heute, aus der Rückschau, steht die Frage, ob die Freigabe der Mieten Folgewirkungen gehabt hat, von denen die Wohnungspolitiker in Bund und Berlin nichts geahnt und vor denen sie auch nicht gewarnt hatten. Zunächst bleibt festzuhalten, dass eine 70 Quadratmeter große Altbauwohnung, vor 1918 gebaut und in einfacher Lage mit Vollausstattung (Bad, WC, Sammelheizung) zum Zeitpunkt des ersten Mietspiegels noch 2,73 Euro kostete. Zehn Jahre später, im Jahre 1998, kostete diese West-Berliner Altbauwohnung im Mittel und nettokalt 4,17 Euro und im Jahr 2005 im Mittel 4,39 Euro – eine Steigerung, die in zehn Jahren fast 100 Prozent ausmacht. Fest steht aber auch, dass der Abstand zwischen den Mieten in München – Deutschlands nach wie vor teuerster Stadt – und Berlin sich trotz Hauptstadtstatus kaum verändert hat. Während die Münchner Mieten laut dem Hamburger Forschungsinstitut F+B mit 9,41 Euro um 62 Prozent über dem Bundesdurchschnitt von 5,81 Euro liegen, wohnt man im Berliner Westen mit 5,58 Euro fünf Prozent unter dem bundesdeutschen Niveau der Mieten in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern – für die Wohnungsforschung die kaum überraschende Auswirkung einer deutlich geringeren Kaufkraft, schlechterer Wirtschaftsdaten und einem quantitativen Überhang im Wohnungsangebot, der sich heute in einem dauerhaften Leerstand von knapp 100.000 Wohnungen niederschlägt. Dass man in Berlin billiger wohnt als in der südlichen Metropole, ist zudem ein Attraktivitätsfaktor, der Junge, Kreative, wenn auch (noch) nicht Einkommensstarke aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt nach Berlin lockt. Mittelfristig kann dieser Trend sich durchaus in einer Kauf- und Mietpreisspirale nach oben niederschlagen. „Arm aber sexy“ muss kein Dauerstatus bleiben. Umso weniger, als international agierende Analysten die Mietenlücke zwischen Deutschland, Berlin im Besonderen und dem Rest der Welt längst entdeckt haben und deshalb Investoren für ihre Fonds in der ganzen Welt sammeln, um sie in den vermeintlich zukunftssicheren Berliner Wohnungsmarkt zu lenken.
Umgekehrt lässt sich die Frage, ob die Freigabe der Mieten den Wohnungsbau nachhaltig angekurbelt hat, klar verneinen. Der Auf- oder Abbau des Mieterschutzes war und wird nie eine Instrument zur Drosselung oder Ankurbelung von Investitionen im Wohnungsbau sein. Der beispiellose Bauboom, der den Osten Berlins bis 1997 erfasste, geht auf das Konto der Sonderabschreibungen und Fördermaßnahmen im Rahmen des Wiederaufbaus Ost und hat West-Berlin wenig tangiert. Auch der 1998 beginnende Einbruch bei den Baugenehmigungszahlen in Ost wie West steht in keinem Zusammenhang mit den Veränderungen im ost- und westdeutschen Mietrecht, sondern ist den wachsenden Leerständen und dessen Rahmenbedingungen geschuldet: abwanderungsbedingten Bevölkerungsverlusten und den Vorboten des demographischen Wandels.
Auf der Habenseite des Kampfes um die Mietpreisbindung in West-Berlin steht jedoch vor allem eine beispiellose Mitgliederentwicklung beim Berliner Mieterverein. Von 2929 Mitgliedern im Jahr 1970 über 20.669 Mitglieder 1980 vertritt der BMV heute über 110.000 Haushalte, wenn es um Mietrechtsberatung und Mieterschutz geht. Nicht zuletzt der ebenso professionelle wie engagierte Einsatz der Vereinsführung gegen eine kopflose Preisgabe des preisrechtlichen Mieterschutzes hat dem Verein hohes Ansehen und eine rasante Entwicklung beschert. Seit 1990 wurde die Mitgliederentwicklung zusätzlich durch die Folgen des Mauerfalls und des Aufbaus der Mieterbewegung im Osten Berlins bestimmt.
Ein Zankapfel bleibt
Auch die Ost-Berliner haben heute in Folge der rechtlichen Angleichung „ihren Mietspiegel“. Mit Ausnahme einer Baualtersgruppe ist der Berliner Mietspiegel 2007 ein Gesamtberliner Zahlenwerk. Dem Berliner Wohnungsmarkt hat der Weiße Kreis einen ständig fortgeschriebenen Bericht zur Marktlage beschert und der Berliner Wohnungspolitik ein Instrument, das wegen seiner Handlungs- und Interpretationsspielräume im baupolitischen Hintergrund einen ständigen Zankapfel darstellt. Das „Ringen um die Ortsübliche“ (MieterMagazin-Titel September 1987) und damit um die Folgen des Weißen Kreises wird ein Thema der Wohnungs- und Stadtpolitik bleiben.
ah
Der Kampf um den Mieterschutz, das gilt vor allem für das Mietpreisrecht, war über Jahrzehnte bis heute von einem ordnungspolitischen Grundsatzstreit geprägt. Initiativen des Gesetzgebers wie das „Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen“, das „Wohnungsbauerleichterungsgesetz“ oder auch das „Gesetz über die dauerhafte soziale Verbesserung der Wohnungssituation in Berlin“ verraten den Kern des Streits. „Zuviel Mieterschutz hemmt Investitionen in den Wohnungsbau“, lautet das Argument marktliberaler Politiker und Theoretiker. Im Umkehrschluss bedeutet es, dass ein Abbau des Mieterschutzes Wohnungsbauinvestitionen fördert. In einer wenig bekannten Forschungsarbeit hat sich Hans Joachim Lutz von der Berliner Humboldt-Universität mit den Annahmen dieser Debatte befasst und kommt zu dem Schluss: „Ein Einfluss des Mieterschutzes auf den Wohnungsbau kann empirisch nicht nachgewiesen werden. In jeder Periode gibt es andere Variablen, die für Veränderungen im freifinanzierten Mietwohnungsbau allein ausschlaggebend sein könnten.“ Lutz überprüft die marktliberale These, indem er die Mietrechtsänderungen der Nachkriegszeit im zeitlichen Zusammenhang mit dem Verlauf von Wohnungsbauinvestitionen betrachtet. So merkt er beispielsweise an, den Bauboom zwischen 1970 und 1974 „als Auswirkung des Abbaugesetzes darzustellen, geht fehl: Unerklärlich bleibt dann das niedrige Niveau des Wohnungsbaus in den Jahren 1968 bis 1970.“ Ähnliches gilt für den darauf folgenden Rückgang des Wohnungsbaus ab 1974. Das Wohnraumkündigungsschutzgesetz wurde bereits 1971 bis 1974 eingeführt. Deshalb ließe sich der behauptete Einfluss des Mieterschutzes als Ursache des Rückgangs empirisch nicht belegen.
Je nach betrachtetem Zeitabschnitt fallen – so Lutz – ganz andere Faktoren ins Gewicht: das jeweilige Zinsniveau oder der Mitte der 70er Jahre einsetzende Konjunktureinbruch sowie die bundesweit 200.000 Wohnungen, die länger als drei Monate leer standen und den Investoren wenig Vertrauen in die Vermietbarkeit neu gebauter Objekte einflößten. Auch die Auf- und Abbewegungen der Folgejahre stehen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit Änderungen im Mietrecht. Dies gilt wohl auch für die Wohnungsbautätigkeit in West-Berlin. Schon vor der Freigabe der Altbaumieten waren die für Neubauinvestoren relevanten Mieten von Neubauwohnungen freigegeben. Dokumentiert wurde dies im Neubaumietspiegel 1990. Auch bei der Entwicklung von bestandsbezogenen Investitionen ist kein Zusammenhang zwischen Mietenliberalisierung und Investitionen erkennbar. Der Mieterschutz als Bremse oder sein Abbau als Instrument der Wohnungsbauförderung gehören wohl ins Märchenbuch neoliberaler Marktökonomie.
ah
Nach dem Mauerfall war auch die Angleichung des Mietrechts in den beiden deutschen Staaten ein Ziel der Politik. Die Lebensverhältnisse in Ost und West waren jedoch so weit voneinander entfernt, dass abweichende Regelungen notwendig wurden, die dem Gesetzgeber in einer breiten Mobilisierung abgetrotzt werden mussten. Der Zusammenschluss der Mieterorganisationen in Ost- und West-Berlin wurde 1991 besiegelt. Im Juni übergab der Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins 50.000 Protestunterschriften gegen die Mietenpläne für den Osten an den Chef der Berliner Staatskanzlei. Eine geplante Instandsetzungsumlage konnte gekippt werden. Wenn auch zeitlich befristet, wurde der Kündigungsschutz – etwa bei der Kündigung wegen Eigenbedarfs und wirtschaftlicher Verwertung – bis 1995 ausgesetzt. Die Perspektive Weißer Kreis blieb aber erhalten und wurde durch die Möglichkeit der Modernisierungsumlage nach § 3 Miethöhegesetz und zahlreiche Verordnungen zur Erhöhung der Grundmieten bei Altmietverträgen und Umlagen für Betriebskosten vorbereitet. Der immense Nachholbedarf bei der Modernisierung führte in Berlin allerdings dazu, dass große Teile des Altbaubestandes im ersten Mietspiegel für Ost-Berlin 1998 über West-Berliner Niveau lagen. Ab Juni 1995 wurden Überleitungsvorschriften für Altmietverträge eingeführt, die dazu führen sollten, dass der Sprung ins eiskalte Wasser des Vergleichsmietensystems nicht ganz so drastisch ausfiel wie ursprünglich geplant. Der erste Mietspiegel für Ost-Berlin lehnte sich am Vorbild des damaligen Übergangs in den Weißen Kreis West an und bildete die durch Preisvorschriften des Gesetzgebers und Modernisierungsumlagen entstandenen Mieten ab. Der Berliner Mietspiegel für 2007 ist mit Ausnahme der Baualtersgruppe 1973 bis 1990 ein Abbild des Gesamt-Berliner Wohnungsmarktes.
ah
MieterMagazin 3/08
Lesen Sie auch
zu diesem Thema:
Mietrechtsabbau als
Wohnungsbauförderung?
Der Weiße Kreis
im Einigungsvertrag
Die 70er und 80er Jahre waren in West-Berlin geprägt von großflächigen Abriss-Szenarien und Mieterprotesten
Fotos: Paul Glaser
Nach dem Krieg hieß es: „Bauen, bauen, bauen“, aber die Mangelsituation machte noch jahrzehntelang eine Preisbindung bei Wohnraum erforderlich
Fotos: Landesarchiv Berlin
Gegen den Weißen Kreis mobilisierte der Berliner Mieterverein eine halbe Million Menschen – auch der spätere SPD-Bausenator Wolfgang Nagel war unter den Protestierern
Fotos: Paul Glaser
Mietpreisbindung und Weißer Kreis bestimmten Ende der 80er häufig die Seite 1 des MieterMagazin
Foto: MM-Archiv
Das Engagement für den Mieterschutz bescherte dem Berliner Mieterverein politisches Gewicht und zehntausende neue Mitglieder
Foto: Paul Glaser
Das Ende der Preisbindung in West-Berlin war gerade eingeleitet, da bescherte der Fall der Mauer auch dem Osten ein marktorientiertes Mietensystem
Foto: Paul Glaser
09.09.2019