Die Aufspaltung Berlins in arme und reiche Stadtteile schreitet weiter voran. Das ist das Hauptergebnis des „Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2009“, das der Senat im Januar vorgelegt hat. Schon die Studien der vergangenen Jahre haben diese Entwicklung aufgezeigt. Der Senat verspricht nun erneut eine behördenübergreifende Reaktion. Früheren gleichlautenden Ankündigungen waren kaum bemerkenswerte Taten gefolgt – zu wenig jedenfalls, um das Auseinanderdriften aufhalten zu können.
Das Monitoring bestätigte den Trend, der schon in den Vorjahren festgestellt wurde: Arm und reich entfernen sich weiter voneinander und die sozialen Probleme konzentrieren sich immer mehr in bestimmten Stadtteilen (unsere Karte weiter unten). Die Senatsverwaltung hat fünf großflächige Problemgebiete ausgemacht: Wedding/Moabit, Kreuzberg-Nordost, Neukölln-Nord, Spandau-Mitte und Nord-Marzahn/Nord-Hellersdorf. Hier haben besonders viele Menschen keine Arbeit und beziehen ihr Einkommen von der Arbeitsagentur oder vom Sozialamt, es gibt viele Kinder, die in Armut aufwachsen, sowie viele junge Migranten im Alter unter 18 Jahren.
© Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2009
Das Monitoring basiert auf Zahlen von 2008. Vom leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit haben in diesem Zeitraum alle Stadtteile profitiert, die Menschen in den benachteiligten Vierteln aber deutlich weniger als die in den wohlhabenderen Stadtquartieren. Im Jahr 2009, in dem die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise erst Wirkung zeigten, dürfte sich die Situation insgesamt weiter verschlechtert haben.
Ein Häufung von Menschen mit geringem Einkommen, mangelnder Bildung und schlechten Lebensperspektiven in einem Stadtviertel mündet nicht selten in einer sich selbst verstärkenden Abwärtsentwicklung. Wenn an den Schulen die Mehrheit der Schüler schlecht deutsch sprechende Migrantenkinder sind, ziehen Mittelschichtsfamilien, die es sich leisten können, weg, um ihren Kindern woanders bessere Bildungschancen zu verschaffen.
Dass die Spaltung einer Stadt in Arm und Reich großen gesellschaftlichen Sprengstoff birgt, kann man nicht zuletzt an den immer wieder aufflammenden Jugendunruhen in den Pariser Banlieus sehen. Pariser Verhältnisse herrschen in Berlin noch nicht, die Stadt nähert sich diesen aber mit großen Schritten an.
Senat: Wir liegen richtig
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer stellt indessen die Ergebnisse des Monitorings als positives Resultat ihrer Arbeit dar: „Wir liegen mit dem Einsatz der Instrumente der Sozialen Stadtentwicklung wie Quartiersmanagement oder Städtebauförderung richtig. Durch das Monitoring wissen wir, wohin wir unsere finanziellen Mittel vorrangig lenken müssen, und wir registrieren, wie dieser Mitteleinsatz langfristig seine Wirkung entfaltet.“
Für die fünf großräumigen Problemschwerpunkte, in denen 25 Prozent aller Berliner leben, hat die Senatsverwaltung das Konzept „Aktionsräume plus“ aus der Taufe gehoben – eine Art Über-Quartiersmanagement. In den „Aktionsräumen“ soll je ein Gebietsbeauftragter die Maßnahmen der Stadterneuerung, des Stadtumbaus und die Arbeit der Quartiersmanagements fach- und gebietsübergreifend koordinieren. In Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Bildung soll vor allem der Zugang zur Schulbildung verbessert werden. Ziel ist laut Junge-Reyer, dass die „Aktionsräume“ die besten Schulen der Stadt erhalten. Der „Campus Rütli“ in Neukölln steht dafür als Vorbild.
Für die „Aktionsräume“ will der Senat insgesamt 50 Millionen Euro jährlich ausgeben – das sind 20 Millionen mehr, als 2008 in diesen Gebieten eingesetzt wurde. Junge-Reyer bewertet dies als Beweis, „dass der Berliner Senat der Stabilisierung problematischer Gebiete absolute Priorität einräumt“.
Grüne: Programme nicht mehr koordinierbar
Die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Franziska Eichstädt-Bohlig, kritisiert hingegen die „Aktionsräume plus“: „So wie dieses Konzept derzeit geplant ist, sehen wir mit Sorge, dass die schon jetzt kaum noch zu koordinierende Programmvielfalt vergrößert wird, statt eine notwendige ressortübergreifende Mittelbündelung zu organisieren.“
Ein koordiniertes Vorgehen des Senats ist weiterhin nicht in Sicht. Zwar gibt es unter der Leitung der Stadtentwicklungssenatorin diverse Lenkungsgruppen und Steuerungsrunden, an denen fast alle Senatsverwaltungen beteiligt sind, doch in deren Alltagsgeschäft ist die Problematik nicht angekommen. „Es kann nicht sein, dass Wirtschaftssenator Wolf die Wirtschaftsförderung mit der Gießkanne über die ganze Stadt verteilt“, bemängelt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Alle Senatsressorts müssten die Problemquartiere gezielt unterstützen.
Es scheint zuweilen sogar so, dass die Senatsverwaltungen mehr gegeneinander als miteinander arbeiten. So lässt die Sozialsenatorin neben dem Monitoring der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung regelmäßig einen eigenen Sozialstrukturatlas erstellen. Beide Studien erbringen im Kern dieselben Erkenntnisse und werden deshalb auch oft miteinander verwechselt.
Wo ist der Regierende?
Der Innensenator will dem nicht nachstehen und legt dann und wann einen „Kriminalitätsatlas“ vor, der die benachteiligten Stadtteile noch zusätzlich stigmatisiert. Symptomatisch für das Aneinandervorbeiarbeiten der Senatsverwaltungen ist die Panne bei der Vorstellung des Monitorings: Gleichzeitig mit der Pressekonferenz von Senatorin Ingeborg Junge-Reyer lud auch Sozialsenatorin Carola Bluhm die Presse zu einem Gespräch über die Integrationspolitik ein – was für die soziale Stadtentwicklung ein zentrales Thema ist. Ein koordiniertes, ressortübergreifendes Handeln sieht anders aus.
„Das Problem der Armut und Polarisierung betrifft die gesamte Stadt und müsste zur Chefsache gemacht werden“, fordert Reiner Wild. Doch vom Regierenden Bürgermeister ist dazu weiterhin so gut wie nichts zu vernehmen.
Jens Sethmann
MieterMagazin 3/10
Immer neue Programme ändern nichts am Grundproblem einer sozialen Entmischung der Stadtteile (hier: der neue „Aktionsraum plus“ Kreuzberg-Nordost)
Foto: Christian Muhrbeck
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Chefsache in Hamburg
In Hamburg gibt es ähnliche Segregationstendenzen wie in Berlin. Die schwarz-grüne Koalition in der Hansestadt will mit dem „Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung“ (Rise) der sozialen Spaltung der Stadt entgegentreten und verhindern, dass sich in bestimmten Vierteln Armut verfestigt. Das Konzept ähnelt in vielen Details dem Berliner Quartiersmanagement, in Hamburg ist das Thema jedoch Chefsache: Der Erste Bürgermeister Ole von Beust sitzt selbst in der Senatskommission, in der die Arbeit von fünf Senatsbehörden, der Senatskanzlei und der sieben Bezirksverwaltungen koordiniert wird. Für die Problemgebiete nimmt der Hamburger Senat in diesem Jahr 29 Millionen Euro in die Hand, im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist dies deutlich mehr als die 50 Millionen Euro, die Berlin dafür jährlich ausgeben will.
js
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Glanzlichter und Schlusslichter
Von den 447 Berliner Planungsräumen wurden 434 in das Ranking des Monitorings einbezogen. Die übrigen haben eine zu geringe Einwohnerzahl und würden die Statistik verzerren. Unter den 20 letzten Plätzen sind allein sechs von Quartieren aus dem Altbezirk Wedding belegt. Aus Neukölln und Hellersdorf sind je vier Stadtteile ganz unten dabei. Absolutes Schlusslicht ist bezeichnenderweise Helle Mitte in Hellersdorf, ein ambitioniertes Nachwende-Neubauprojekt mit teuren Sozialwohnungen, dem die Mieter davonlaufen. Am oberen Ende der Skala stehen noch im Aufbau befindliche Eigenheimgebiete wie der Alte Schlachthof an der Eldenaer Straße oder Biesdorf-Süd, in denen der Zuzug von Mittelstandsfamilien für positive Werte sorgt. Dazu gesellen sich auf den obersten Rängen dörfliche Stadtrandlagen wie Kladow, Wartenberg und Müggelheim sowie klassische Villenviertel wie Dahlem und Ruhleben.
js
02.06.2013