Das Hamburger Forschungsinstitut F+B präsentierte jüngst seinen bundesweiten Marktmietenindex für das Jahr 2010. Gegenüber 2009 weist die Hauptstadt den zweithöchsten Anstieg der Marktmieten in den 15 größten Städten des Landes auf. Die Analyse für Berlin zeigt für die letzten drei Jahre Steigerungen der Neuvertragsmieten im innerstädtischen Bereich von 15 Prozent im Schnitt. Der Berliner Mieterverein (BMV) sieht sich in seiner Marktbeobachtung bestätigt und bekräftigte seine Forderung nach einem besseren Mieterschutz.
„So stark steigen die Mieten“, titelte die Berliner Morgenpost, ähnliche Überschriften fanden sich Anfang Februar auch in den anderen Tageszeitungen und ließen die Vermutung aufkommen, hier würden bislang unter Verschluss gehaltene Daten aus dem neuen Berliner Mietspiegel 2011 ausgeplaudert, die doch erst Ende Mai oder Anfang Juni hochoffiziell von Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer zu erwarten sind. Der Verdacht lag insofern nahe, als der Herausgeber des jetzt veröffentlichten Marktmietenindex, das Hamburger Forschungsinstitut F+B, gerade auch mit der Erstellung des Berliner Mietspiegels 2011 vom Senat beauftragt ist. Doch aktuelle Mietwerte aus dieser Erhebung finden sich mitnichten in dem veröffentlichten Marktmietenindex. Der basiert vielmehr auf Berechnungen zu einer 75 Quadratmeter großen und zehn Jahre alten Referenzwohnung mit normaler Ausstattung und in gutem Zustand.
Außerordentliche Steigerungen 2010
Der vorgelegte Marktmietenindex belegt einmal mehr für den Berliner Wohnungsmarkt eine deutliche Anspannung. Dies zeigt sich durch deutlich höhere Mieten bei Neuverträgen gegenüber den Bestandsmieten. Stadtweit haben Neuvertragsmieten im Jahr 2010 bei 6,10 Euro pro Quadratmeter im Monat gelegen, die Bestandswohnungen hingegen nur bei 4,90 Euro pro Quadratmeter monatlich. Ob diese berechneten Werte realistisch sind und mit der Mietspiegelwirklichkeit in Einklang stehen, sei dahingestellt. Nach Veröffentlichung des auf wirklichen Mietwerten basierenden Mietspiegels im Juni dieses Jahres wird man mehr wissen.
Der F+B Marktmietenindex weist Neuvertragsmieten und Bestandsmieten sowie Trends der letzten drei Jahre nach Berliner Postleitzahlen aus. Die Neuvertragsmieten liegen zum Beispiel im Bereich der Postleitzahl 10119 (Alt-Bezirk Mitte) um 38 Prozent, in 10247 (Alt-Bezirk Friedrichshain) um 27 Prozent, in 10623 (Alt-Bezirk Charlottenburg) um fast 30 Prozent und in 10997 (Alt-Bezirk Kreuzberg) um 35 Prozent über den Bestandsmieten. Die gleiche Tendenz gibt es auch in Quartieren mit niedrigeren Ausgangsmieten und weiter vom Stadtkern entfernt, allerdings mit deutlich geringerer Spreizung (zum Beispiel in 12683 (Hellersdorf) um 10 Prozent, in 13581 (Spandau) um 17 Prozent).
Handlungsbedarf nicht mehr zu leugnen
Der Dreijahrestrend weist in den innerstädtischen Quartieren weit überwiegend Steigerungen bei den Neuvermietungen von mehr als 10 Prozent aus. Spitzenwerte von mehr als 20 Prozent wurden für die Postleitzahlbezirke 10115 und 10119, beides in Mitte, sowie für 10437 (Prenzlauer Berg) und 10997 (Kreuzberg) berechnet. Auffällig sei, dass der Anstieg im Dreijahrestrend vor allem auf die außerordentlichen Steigerungen im Jahr 2010 zurückzuführen sind, so Professor Guido Spars von der Universität Wuppertal kürzlich auf einer Veranstaltung der Investitionsbank Berlin und „RBB inforadio“. Bei den Bestandsmieten sind die Differenzen im Dreijahrestrend weit weniger auffällig. Wohnungsmarktforscher sprechen oft zum Zwecke der Beschwichtigung von einem normalen Prozess des „Hinterherhinkens“ der Bestandsmieten. Richtig daran ist, dass die teuren Neuvertragsmieten zeitverzögert Konsequenzen auch für die Bestandsmieten haben, denn die hohen Mietvertragsabschlüsse bilden nun auch den Vergleichsmaßstab für Mieterhöhungen bei bestehenden Mietverträgen. „Normal ist das alles aber nur, wenn Druck auf dem Kessel ist und die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt“, erläutert Mietervereinsgeschäftsführer Reiner Wild. Die höchsten Neuvertragsmieten wurden mit 10 Euro pro Quadratmeter für 10117 in Mitte zwischen Brandenburger Tor und Gendarmenmarkt ermittelt, die niedrigsten Werte mit 4,50 Euro pro Quadratmeter im Monat für die Postleitzahlen 12619, 12687 und 12689 in Marzahn-Hellersdorf.
Schon eine Sonderauswertung des Berliner Mietspiegels 2009 hatte für die sogenannten dynamischen Gebiete unabhängig von der Höhe der Ausgangsmieten eine sehr deutliche Abweichung zwischen Neuvertragsmieten und Bestandsmieten belegt. Damals hatte jedoch die Berliner Landesregierung jeden Handlungsbedarf verneint. Nachdem nun diese Preisentwicklung wegen der zahlreichen Untersuchungen nicht mehr abgestritten werden kann, wird von den wohnungswirtschaftlichen Verbänden erklärt, dass diese Preisentwicklung Berlin gut tue: Es wäre ja nirgendwo festgeschrieben, dass ein Wohnungssuchender einen Rechtsanspruch auf eine Wohnung in Prenzlauer Berg habe.
Wowereit: Mietsteigerungen widerspiegeln wachsenden Wohlstand
Ermutigt werden Wohnungswirtschaft und Banken immer wieder durch die eigentümlichen Bewertungen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). Der nimmt offenkundig die Bundesratsinitiative seines eigenen Senats zur Mietenbeschränkung nicht ernst, wenn er behauptet, es sei ein „alter Reflex“, wenn steigende Mieten als Malaise bezeichnet würden. Die steigenden Wohnungsmieten in Berlin widerspiegeln nach Ansicht von Wowereit vielmehr den wachsenden Wohlstand in der Stadt. Höhere Mieten zeigten also höhere Kaufkraft. Den Beweis für diese kühne These blieb er allerdings schuldig, denn „wachsender Wohlstand kann nur aus deutlich höheren Einkommen resultieren“, konterte BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Doch dies sei eben in Berlin nicht der Fall. Da die Realeinkommen stagnieren, führe der derzeitige Anstieg der Mieten nur dazu, dass die Wohnkostenbelastung weiter steige. Leidtragende sind vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen, weil ihnen nach Abzug der Wohnkosten nur noch wenig zur Gestaltung des Alltagslebens bleibt. „Wir fordern daher nachdrücklich mehr Engagement des Senats für seine eigene Mietrechtsinitiative im Bundesrat“, so Reiner Wild, „und Vorbildlichkeit vor der eigenen Haustür, zum Beispiel bei den städtischen Wohnungsunternehmen, dem Zweckentfremdungsverbot und städtebaulichen Instrumenten“. Nach Ansicht des Mietervereins reicht im Übrigen eine reformierte Regelung des Wirtschaftsstrafgesetzes zur Verfolgung von Mietpreisüberhöhungen nicht aus. Wichtig sei zusätzlich eine zivilrechtliche Regelung, die Wiedervermietungsmieten an die ortsübliche Vergleichsmiete koppelt. „Dabei kann man sich überlegen“, so Reiner Wild, „ob man die Anwendung einer solchen bundesgesetzlichen Regelung in das Ermessen der Länder stellt.“
mm
MieterMagazin 3/11
Die heute bei Neuvertragsabschlüssen vereinbarten Mieten sind die Bestandsmieten von morgen
Foto: Christian Muhrbeck
26.03.2013