Alljährlich legt der Berliner Senat einen Bericht über die Auswirkungen der Streichung der Anschlussförderung im Sozialen Wohnungsbau vor. In schöner Regelmäßigkeit heißt es da: Die Mieten sind nur moderat angestiegen, eine Verdrängung fände nicht statt. Dem widersprechen nicht nur Mieteraktivisten, etwa am Kottbusser Tor oder im Fanny-Hensel-Kiez, sondern auch eine jüngst veröffentlichte Studie.
Im Rahmen eines Projektseminars hatten Studierende am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität (HU) die Situation in 15 Häusern in Kreuzberg unter die Lupe genommen. Nur neun davon haben noch den Status „öffentlich gefördert“. Während die Senatsstudie auf Befragungen von Vermietern basiert – mit meist schwachem Rücklauf – wurden hier die Mieter befragt. Die Kontaktaufnahme erfolgte persönlich, die Studierenden gingen in den Häusern von Tür zu Tür und baten um ein Interview. Ziel war es, sowohl Aufschluss über die individuelle Wohnsituation (Mietpreis, Wohndauer, Zufriedenheit und so weiter) als auch über die Veränderungen im jeweiligen Haus (Eigentümerwechsel, Modernisierungen, Umzüge) zu bekommen. Insgesamt 83 leitfadengestützte Interviews wurden geführt – mit erschreckenden Ergebnissen.
So lag die niedrigste Warmmiete bei 9,09 Euro pro Quadratmeter – und damit oberhalb der Bemessungsgrenzen für Hartz-IV-Bezieher. Spitzenwert war 13,75 Euro. In 80 Prozent der Häuser hat in den letzten Jahren ein Eigentümerwechsel stattgefunden. Drei Objekte wurden in Eigentumswohnungen umgewandelt, in mindestens vier Häusern gibt es Ferienwohnungen. In acht Häusern leben überwiegend neu Zugezogene. Altmieter sind wegen der gestiegenen Mieten ausgezogen. Auch wenn die Situation in Kreuzberg besonders brisant ist, belegt die Untersuchung doch einen enormen Verdrängungsdruck. „Der Austausch der Bewohnerschaft ist in vollem Gange“, lautet das Fazit des Stadtsoziologen und Projektleiters Andrej Holm.
„Da ist ein Verdrängungsdruck in diesem Gebiet, der seinesgleichen sucht“, äußert sich anonym ein Mitarbeiter der Verwaltung in einem der ergänzend geführten Experteninterviews. In seiner Senatsverwaltung konnte er sich mit dieser Einsicht aber noch nicht durchsetzen.
Birgit Leiß
28.12.2017